Im Dschihadisten-Zoo

Härte Talal Derki schleust sich bei islamistischen Kämpfern ein und feiert seinen eigenen Heroismus
Ausgabe 12/2019

Es ist schwer zu sagen, was mehr deprimiert: die Welt, in die der Film Of Fathers and Sons Einblick gibt oder die Haltung, mit der er sich dieser Welt annähert. Dies ist ein Dokumentarfilm, der seine Zuschauer mit zwei sehr unerfreulichen Versionen der Selbstheroisierung konfrontiert, und auch wenn niemand auf die Idee käme, die beiden gleichzusetzen, so haben sie doch miteinander zu tun und sind an ein System angeschlossen, in dem Gefahr, Todesmut, körperliche Härte zu den zentralen Werten gehören, von denen das Handeln der Akteure ebenso bestimmt ist wie ihr Verständnis von Maskulinität.

Die erste Selbstheroisierung ist die des Dschihadisten: ein Krieger, ein potenzieller Märtyrer, der den Tod nicht scheut, sondern ihn (Paradies, Payoff etc.) sogar ersehnt. Ein Mann mit einer Mission, der seinem Ziel so unerbittlich anhängt, dass der Begriff des Überzeugungstäters ein paar Nummern zu klein für ihn ist. Die zweite Selbstheroisierung ist die des Dokumentaristen: auch er ein potenzieller Märtyrer, diesmal ohne Todessehnsucht, was nicht heißt, dass er nicht um Gefahr und Todesdrohung weiß und ihnen gefasst entgegensieht. Noch ein Mann mit einer Mission, der zum Filmen aufbricht wie in den Krieg und als Erstes mitteilt, dass er sich gerade von seiner Frau und seinem Sohn verabschiedet habe.

Es gibt sehr mimetische Momente in dieser Dokumentation, den eindrücklichsten gleich zu Beginn, wenn der Aufbruch zurMission „Dschihad filmen“ in genau die Ikonografie gefasst wird, die später im Porträt des Dschihadisten wiederkehrt. Das rumpelnde Auto, das gleißende Licht, halbnah, das Gesicht mit Bart, die Kamera im Anschlag, so wie später Gewehre in Anschlag gebracht werden (wenn auch nicht direkt aus fahrenden Autos heraus). Die Musik dräut leise, Entschlossenheit ist das Gebot der Stunde; er könnte sterben, aber das hält ihn nicht auf.

Reinfilmen in die Hölle

Die Frage, warum Dschihadisten gefilmt werden sollten (und: dieser Dschihadist, und: seine vier, fünf, sechs Söhne), mag angesichts von so viel Heroismus obsolet erscheinen. Ist sie aber nicht, zumal dann nicht, wenn die Aufnahmen, die dabei herauskommen, zuallererst davon erzählen, dass Dschihadisten, wie andere Menschen, essen, schlafen, ihre Freunde treffen und ihre Kinder lieben. Anders als andere Menschen schicken sie ihre Kinder außerdem in Ausbildungslager, wo sie dann für den „Heiligen Krieg“ trainiert werden, und gehen einer Arbeit nach, die darin besteht, Minen zu entschärfen und sich als Scharfschützen zu betätigen. Dschihadisten sind Dschihadisten, der Film lässt daran keinen Zweifel; sie sprechen von Gott, Krieg, den Ungläubigen, und beim Autofahren hören sie Musik mit Texten, die für weniger kriegerische Zuhörer durchaus etwas verstörend sind.

Dass jede einzelne dieser Aufnahmen von der Möglichkeit grundiert ist, dass der Filmemacher enttarnt und von seinen Gastgebern getötet werden könnte, ist ein verstörender Gedanke. Aber es macht aus ihnen keinen besseren Film. Unter den Konzepten dokumentarischer Kinematografie ist „Reingehen und draufhalten“ schon immer das uninteressanteste gewesen, selbst wenn es sich um eines handelt, das nach wie vor sehr gut ankommt. Reingehen: in die Hölle, den Kessel, ins Unbekannte oder ins ganz Dunkle, gilt als zentrale Operation in einer bestimmten Kategorie von Reportage sowie in all den Dokumentarfilmen, die sich in der Tradition der Expedition und des Himmelfahrtskommandos verorten. Der Filmemacher Talal Derki hat für seine Mission in Nordsyrien unter anderem den Deutschen Dokumentarfilmpreis 2018, eine Auszeichnung beim Sundance, eine Nominierung für den Europäischen Dokumentarfilmpreis und eine für den Oscar erhalten. Weil das Draufhalten in Nordsyrien zur gefahrvollen Handlung werden kann, wird es durch die Preise entsprechend gewürdigt.

Etwas voyeuristisch ist das Draufhalten allerdings auch. Die Aufnahmen der Interieurs, der Matratzenlager, der verdreckten Kleidung, des Beinstumpfs, der verschmierten Gesichter der Söhne und des verwüsteten Gesichts des Vaters erzählen davon, dass sich im Prozess der Dokumentation eine gewisse Nähe zwischen den Filmenden und den Gefilmten hergestellt hat. Aber Nähe, für sich genommen, ist noch kein Wert, zumal dann, wenn sie sich, wie in Of Fathers and Sons, immer wieder der zoologischen Betrachtung annähert: echte Dschihadisten, auf kurze Distanz, in ihrem Habitat oder in freier Wildbahn, wo es dann richtig gefährlich werden kann, weil dort sehr viele von ihnen herumlaufen.

In die zoologische mischt sich die psychologische Betrachtung, vor allem in den Sequenzen, in denen sich der Blick vom Vater auf die Söhne verschiebt (Töchter existieren nicht oder nur sehr weit im Off). Unter den Söhnen, die der Vater dem Heiligen Krieg zur Verfügung stellen kann, ist einer, der sich im Ausbildungslager besonders gut macht. Der zuvor ein Loser gewesen ist, der nicht Fußball spielen konnte, der jede Prügelei verloren hat und immer gleich zu heulen anfing. Kleine Vögel gequält hat er auch; aber jetzt, erzählt der Film, hat sich eine Verwendung für ihn gefunden. Von allen Manövern des Films ist dieses letzte – die Reduktion des Dschihadisten auf die individuelle Psychopathologie – weder das auffälligste noch das effektivste, jedoch kann man es ohne Weiteres als das ärgerlichste bezeichnen.

Info

Of Fathers and Sons. Die Kinder des Kalifats Talal Derki D/USA/Syrien 2017, 99 Minuten

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