Intrigen sind schön, brauchen aber viel Zeit. Mit Machinationen verhält es sich nicht anders. Sie sind, praktisch wie dramaturgisch, eher auf Dauer angelegt, das heißt: nicht für eine Erzählzeit von zwei Stunden und ein paar Minuten gemacht. Das hat weniger mit Fragen der Komplexität als mit den Zwischenzeiten zu tun, in denen die Intrigen und Machinationen sich in Gang setzen, entfalten, aus der Backstage gesteuert werden, um irgendwann Effekte zu zeitigen, die am wirkungsvollsten immer dann erscheinen, wenn die konspirativen Anfänge schon wieder in Vergessenheit geraten sind.
Aus diesem Grund sind Intrigen am besten in der relativen Ausführlichkeit der Serie aufgehoben, die mit dem Vergessen arbeitet und Erinnerungen sehr willkürlich herstellen
herstellen kann. Entsprechend gelten The West Wing (HBO, 1999-2006), House of Cards (Netflix, seit 2013) und Veep (HBO, seit 2012) als etablierte Schauplätze für die Machinationen von Washington D. C., für Besprechungen an Bartresen, in Büros, in Hotelzimmern, für die Verständigung im Modus des walk and talk und für ein politisches Tagesgeschäft, das eben nicht aus konspirativen Momenten besteht, sondern von diesen durchsetzt ist, immer wieder auch von ihnen irritiert, da jede Intrige zugleich einen Angriff auf bestehende Abläufe und Aufteilungen bedeutet.Die Erfindung der Wahrheit, im Original mit dem deutlich intelligenteren Titel Miss Sloane versehen, absolviert den Parcours der politischen Intrige routiniert, aber ohne besonderes Interesse, was damit zu tun haben könnte, dass die Elemente der Machination bereits aus so und so vielen anderen Handlungen bekannt sind. Es geht um Waffen (ungut) und die Waffenlobby (ganz ungut), um Restriktionen (unbeliebt), Gesetzesinitiativen (schwierig), Einflussnahme (problematisch), um Lobbyarbeit als Geschäft der Experten und Expertinnen (charismatisch), um Karrieren, Geld, Macht (surprise), um Loyalität und Illoyalität und die Schwierigkeiten, die bei dem Versuch entstehen können, zwischen dem einen und dem anderen zu unterscheiden.Zu den Expertinnen, die im Tages- wie im Ausnahmegeschäft des politischen Betriebs in Washington besonders gefragt sind, gehört Miss Sloane, kinderlos, unverheiratet und spektakulär gut angezogen. Miss Sloane, die im Verlauf des Films nicht ein einziges Mal als „Ms“ adressiert wird, ist Eigentümerin einer Wohnung in Weiß- und Grautönen, einiger sehr großer Rotweingläser und eines leeren Kühlschranks. Sie beschäftigt Callboys, Chauffeure sowie ein junges, ergebenes Team; sie verliert nie die Nerven und wird gleich zu Beginn vor einen Untersuchungsausschuss gesetzt, ohne dass man wirklich um sie besorgt wäre. Miss Sloane weiß, was sie tut, selbst wenn niemand anders im Bild ist. Alles Weitere wird sich finden, zumal im Hintergrund längst das Programm läuft, das die Expertin für Plots und konspiratives Handeln vor einer Weile eingestellt hat.Dieses Handeln ist kein Grund, sich den Film anzusehen. Aber die Hauptfigur ist es umso mehr. Miss Sloane, die gespielt wird von Jessica Chastain, ist der erstaunliche Auftritt einer Protagonistin, die bis ins Letzte aus den Klischees der Karrierefrau und der einsamen Kriegerin zusammengesetzt worden ist, zugleich aber ganz und gar als Faszinosum funktioniert. Und von Regie (John Madden), Kamera (Sebastian Blenkov), Kostümbild (Georgina Yarhi) als maximal attraktiv behandelt wird.Während Tilda Swinton vor zehn Jahren eine vergleichbare Figur in dem Film Michael Clayton von Tony Gilroy mit der Auflage spielte, vor Drehbeginn zehn Kilo zuzunehmen, um ihre Lobbyistin mit den gewünschten Mängeln und einigen weiteren Zeichen der Defizienz auszustatten (stetiger Tablettenkonsum und Kotzen auf der Damentoilette inklusive), steht die Inszenierung von Miss Sloane im Zeichen der Perfektion. Einer Perfektion allerdings, die zu den Normen und Standards weiblicher Attraktivität ein eher distanziertes Verhältnis pflegt. Jessica Chastain ist die Schauspielerin, die nicht mehr 30 Jahre alt ist und nicht die Konfektionsgröße 34 hat. Und Elizabeth Sloane ist die Protagonistin als stand alone, nicht Mutter, nicht Tochter, nicht Kumpel, nicht die beste Freundin und auch nicht das beste Pferd im Stall, auch wenn sie den Herren von der Waffenlobby in dieser Rolle präsentiert wird.Ein GeschenkDie Vorlagen für die Gestaltung von Miss Sloane sind, wenn irgendwo, dann im Hollywood-Kino der 1930er und 1940er zu finden. Es ist die Kultur der Silhouetten, Konturen und perfekt geschnittenen Kostüme, der schwingenden Haare, des makellosen Teints und des sparsamen Mienenspiels. Und die statische Inszenierung, die Laura Mulvey in einem viel zitierten Essay von 1975 (Visuelle Lust und narratives Kino) dazu veranlasst hat, den Auftritt weiblicher Stars in den Filmen Hollywoods mit der Rolle des Blick-Objekts zu identifizieren.Tatsächlich sitzt und steht Miss Sloane sehr viel, gerne am Konferenztisch, manchmal an Türrahmen gelehnt oder durch Fenster und Türen gerahmt. Wo sie Räume durchquert, geschieht das gemessenen Schritts, wie um zu markieren, dass das Action-Programm der Verfolgung und Hast, der harten Einsätze und der gezielten Tritte für andere Figuren gemacht ist.Diese Figur ist das Gestalt gewordene Programm des look, don’t touch. Aber sie ist auch die Meisterin der Plots, der Twists, der sorgfältig eingefädelten Enden und eines auktorialen Wissens, das über einzelne Intrigen hinausreicht. So betrachtet, kann Miss Sloane nur als Geschenk bezeichnet werden: nicht an eine spezifische Zuschauerschaft, sondern an alle, die sich dafür interessieren, was einem Kino, das nichts anderes als Mainstream sein will, zur Inszenierung seiner Frauenfiguren einfällt.Placeholder infobox-1
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