Es gibt Bundesstaaten, die im US-amerikanischen Kino nicht gut wegkommen. Einige im Süden, kaum einer im Norden; die große Mitte ist ambivalent und Texas, Staat des Lone Star und des larger than life, ohnehin. Wo aber keine Ambivalenz gefragt ist, oder: Ambivalenz nur in Bezug auf die Frage, wie man sich mit der Hässlichkeit einrichtet, fällt die Wahl gerne auf New Jersey. Oder auf Florida.
In der Topologie des Scheiterns, die im Autoren- und Independent-Kino der USA ziemlich weit ausdifferenziert worden ist, besetzen die beiden Staaten unterschiedliche Koordinaten. New Jersey: Wenn die Glücksversprechen sich bereits erledigt haben und die Welt nur noch aus ein paar Orten und Routinen besteht. Florida: Wenn das Versprechen noch nicht ganz durch ist und auch das Glücksbegehren nicht, das von einem Ort zum nächsten mitgeschleppt wird. Oder auch: zwischen den Orten hin und her, so wie es in The Florida Project von Sean Baker geschieht.
Tatsächlich ist dieser Film, Bakers sechster und seine erste Arbeit seit dem iPhone-Wunder Tangerine L. A. (Freitag 27/2016), mindestens ebenso sehr mit Lokalitäten befasst wie mit Personen. Das eine Motel, das andere Motel, der Diner, der Fruchtmarkt in der Form und Farbe einer halben Orange, und weiter: der Eisverkauf, das Spielzeugland, die drei, vier Hotelparkplätze, dazu die verlassene Wohnanlage, in der zwischendrin eines der Häuser abbrennt.
Ein Film der Farben ist The Florida Project außerdem: die ganze Palette der Pastell- und Purpurtöne, die hier von Gebäuden ebenso wie von Personen getragen werden. Lila für das Motel Magic Kingdom, Rosa für das Motel Futureland; für die Häuser der Wohnanlage außerdem Gelb, Hellblau, Pistazie, Mint, in denen in der Umgebung von Kissimmee, Florida, auch sonst fast alles angestrichen wird. Die Wiese hinter dem Motel ist unwahrscheinlich grün, der Himmel über allem stechend blau. Und zwischen den Lokalitäten verteilen sich die mehrspurigen Straßen, die Tankstellen, die Strip Malls, die längst ein fester Bestandteil der vernacular landscape sind.
Disney World, wo die Eintritte für zwei Tage und vier Personen schon mal 1.700 Dollar kosten kann, liegt um die Ecke und auf einem anderen Planeten. Andere machen zwischen den Pastelltönen Ferien; die Bewohner des Motel Magic Kingdom hingegen gehören zu denen, die versuchen, mit der Freizeit der anderen so viel zu tun zu haben, dass sie ihren Lebensunterhalt verdienen können. Verwechslungen zwischen den Planeten finden eigentlich nicht statt, außer wenn man bei der Online-Buchung seines Motels nicht aufpasst oder sie den falschen Leuten überlässt. Und Kontakt gibt es nur im Modus der Dienstleistung, das heißt: an der Rezeption, an der Tankstelle, beim Parfümverkauf auf dem Parkplatz oder bei der Gelegenheitsprostitution, wenn es mit dem Parfüm nicht mehr richtig läuft.
Motel Magic Kingdom
Dass die Welt um das Motel Magic Kingdom (Willem Dafoe spielt als Hotelmanager eine Nebenrolle) etwas wie Glück bereithalten könnte, erwartet niemand. Das ist der Status quo, den The Florida Project verteidigt, verteidigen lässt, von einer sechsjährigen Protagonistin (Brooklynn Prince), die Moonee heißt und mit ihren Freunden die Treppen, Galerien, Waschräume des Motels unsicher macht. Oder mit den Freunden unterwegs ist, zwischen Magic Kingdom und Diner, Diner und Eisverkauf, vom Verkauf zur Wohnanlage, zur Wiese und wieder zurück, da am Pool oder bei den Waschmaschinen etwas los ist, das auf keinen Fall verpasst werden darf.
Die Kamera von Alexis Zabe ist die Komplizin dieser Bewegungen. Aus der Ferne, wenn Strecken und Ortswechsel entlang des Straßenverlaufs in langen Fahrten erfasst werden. Aus der Nähe, wenn die Posse gerade etwas anstellt. Aus halber Distanz, wenn es wieder an der Zeit ist, einfach herumzusitzen, wobei man sie besser nicht behelligt. Zabes Kamera ist aufmerksam, aber diskret, und wie um dafür belohnt zu werden, wird sie sogar in das Motelzimmer eingelassen, das Moonee mit ihrer Mutter Halley (Bria Vinaite) bewohnt.
In den strengen Raumordnungen, von denen Bakers Film bestimmt wird, ist dieser Einlass ein Privileg, das den Blick ein für alle Mal auf die Seite der beiden zieht und die Außenwelt, die ihnen nichts Gutes will, jenseits des Zimmers verortet. Kein Eintritt, keine Besuche. Gespräche nur auf der Schwelle und bei halb geschlossener Tür, die immer wieder auch mal zuknallt. Die Miete, so bald es geht, was Ende der Woche sein kann oder gleich morgen, weil es manchmal eilt und das mit dem Zimmer ohne Miete eben nicht zu machen ist.
Die Risse in der Welt, die so entschlossen besetzt und erobert wird, breiten sich in The Florida Project langsam aus. Ein Umzug, ein Unglück, ein paar Wortwechsel und ungebetene Gäste. Aber irgendwann tauchen die Besucher auf, die nicht mehr draußen bleiben, gibt es eine neue Aufteilung, die nicht zwischen dem Innen und dem Außen des Zimmers, sondern direkt durch die gemeinsame Sphäre verläuft. Für den Planeten des Motel Magic Kingdom ist das die Sollbruchstelle: Bakers Film weiß das, doch macht er es erst mit Verzögerung kenntlich. Danach, wenn nichts mehr zu ändern ist (aber war hier je etwas zu ändern?), bleibt nur die Flucht nach vorne, über die Treppe, den Parkplatz, den Grünstreifen, in unbekannte Richtung, die zugleich sehr vorgezeichnet ist – das Glücksversprechen und die Pastellfarben immer inklusive.
Info
The Florida Project Sean Baker USA 2017, 111 Minuten
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