Film „Churchill“: Sabbernde Verlogenheit

Biopic Jonathan Teplitzkys Film sieht in "Churchill" nur den alten Staatsmann, der es allen noch einmal zeigt
Ausgabe 21/2017
Churchill on the Beach: Brian Cox als britischer Premier
Churchill on the Beach: Brian Cox als britischer Premier

Foto: Squareone/Universum

Der Film Churchill besteht zu einem wesentlichen Teil aus Szenen, in denen man Winston Churchill (Brian Cox) am Strand herumstehen sieht. Er steht dort in Rückansicht, den Blick aufs Meer gerichtet, über den Ärmelkanal und hin zur nordfranzösischen Küste, an der ab dem 6. Juni 1944 im Zuge der Operation Overlord etwa 1,5 Millionen Soldaten landeten, um das besetzte Frankreich von den Nazis zu befreien.

Churchill am Strand, immer noch mit Blick aufs Meer, fürchtet diese Landung, weil sie ihn an die Toten des Ersten Weltkriegs erinnert. So viele junge Männer, die Blüte Englands, die Jugend der Welt (kleine Nazis nicht gerechnet), und auf den Schreibtischen der Heeresleitung die Prognosen, die von einer Viertelmillion Toten in den ersten Tagen ausgehen. Um diese Prognosen zu illustrieren, wird gegen Ende des Vorspanns die Strandszene mit der Ikonografie des Stellungskrieges überblendet. Stacheldraht, aufgeweichter Boden, zerstörtes Kriegsgerät; dazwischen die Kadaver, die mit dem Gesicht nach unten im Schlamm liegen. Aber da ist der Staatsmann am Strand schon wieder zu seinem Schreibtisch unterwegs.

Am Ende kamen bei der Operation Overlord 65.000 alliierte Soldaten zu Tode. Weniger als von der Heeresleitung erwartet und zu wenig, um für diesen Film noch von Belang zu sein, zumal der Verlobte der netten jungen Sekretärin in Churchills Vorzimmer nicht unter ihnen ist und Churchill selbst, der sich so lange gegen die Landung sträubte, zur staatsmännischen Haltung zurückgefunden hat und wieder gute Reden schreibt. Der Alte kann es noch, das müssen auch die Generäle zugeben; das mit den Reden macht dem Alten keiner nach; und jetzt, wo er endlich kapiert hat, dass die Planung von Krieg besser in den Händen von Militärs aufgehoben ist, kann es noch richtig nett werden. Die sabbernde Verlogenheit, die den Film Churchill grundiert, besteht nicht darin, dass Regisseur Jonathan Teplitzky sich mehr für einen Konflikt um Kompetenz und Macht interessiert als für die Toten des D-Day.

Sie besteht darin, dass auch dieser Konflikt, der in der ersten Hälfte des Films seriell zelebriert wird (Churchill vs. Eisenhower, Churchill vs. Montgomery etc.), letztlich nur zum Vorwand genommen wird, um ein weiteres Mal die Geschichte vom großen Alten zu erzählen, der nicht unterschätzt werden darf und dem deshalb manches nachgesehen werden muss.

Nach den Auftritten der alten Action-Helden, Bankräuber, Charmeure, von den vielen alten Männern mit Cowboyhüten nicht zu reden (die Plotline, dort wie hier: Sie können es noch), ist Churchill zugleich Bühne und Lernprogramm für den Elder Statesman und alle, die sich gerne mal wie einer aufführen.

Die Welt: nicht mehr, was sie einmal war; der Körper: erst recht nicht; die Hausbar: ein treuer Freund; und die Macht: ein hartes Geschäft, auch weil die Jüngeren es an Respekt fehlen lassen. In fast allen Filmen ist dabei offensichtlich, dass auch die Jüngeren längst nicht mehr jung sind, weshalb sie langsam ungeduldig werden und nicht mehr ganz so still sitzen, wenn man sie wieder einmal anbrüllt.

Schwierige Traumrolle

„Ein Haufen ängstlicher alter Männer, unfähig, einen tyrannischen Spinner abzusetzen, der noch älter ist.“ Der Beamte, der Churchills Kabinett mit diesen Worten beschreibt, ist keine Figur aus Teplitzkys Film, sondern aus der Netflix-Soap The Crown, die 1947 einsetzt und unter anderem davon erzählt, dass die Zusammenarbeit mit dem prominentesten britischen Politiker des 20. Jahrhunderts auch nach dem Krieg kein Spaziergang gewesen ist. In The Crown trägt Churchill das Gesicht von John Lithgow, der die Statesman-Performance mit Bulldoggen-Miene und -Manieren, Bowler, Whiskey, Zigarre und so weiter, mit ähnlichem Enthusiasmus betreibt wie Brian Cox in Churchill, aber immerhin darauf verzichtet, jede zweite Szene so zu spielen, als sei er in einer Shakespeare-Adaption unterwegs und gerade dabei, den Sturm auf der Heide zu übertönen.

Dass Churchill für ältere, klassisch ausgebildete Schauspieler das darstellt, was man gerne als eine Traumrolle bezeichnet, steht außer Frage. Dass man aus diesem Grund vielleicht besser gar keine Filme über Churchill machen sollte, auch. Wer trotzdem Churchill will, sollte sich an The Crown halten, wo das Hin und Her zwischen 10 Downing Street und diversen Landsitzen, zwischen Krone und Parlament und zwischen den Vertretern der Vor- und der Nachkriegswelt mit mehr Muße und Sinn für Ironie in Szene gesetzt wird.

Info

Churchill Jonathan Teplitzky GB 2017, 108 Min.

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