Sich auf ein Gespräch mit Fremden im Zug einzulassen, ist keine gute Idee. Jedenfalls nicht im Kino, das von Hitchcocks Der Fremde im Zug (1951) bis zu Hostel von Eli Roth (2005) immer neue Variationen jener Geschichte erzählt hat, die mit einer Plauderei im Zugabteil beginnt und ein paar Sätze oder Szenen weiter beim Mordauftrag oder gleich im Folterkeller ankommt.
Wenn das Gespräch erst einmal in Gang gebracht ist, ist es zu spät. Der Zug hat sich in Bewegung gesetzt; die Stationen sind festgelegt, die Maschine läuft, und was ab jetzt an Optionen sich ergibt, kann mit Beschleunigung und Verlangsamung zu tun haben, mit ein paar Ausstiegen, mit Notbremsungen und mit Umleitungen, aber nicht mehr mit Umkehr. Dass die alte und sehr innige Beziehung, die seit den Anfängen des Kinos zwischen Filmen und Zügen existiert, in Zeiten der Digitalisierung ohne große Umstände weiter gepflegt wird, ist auch damit zu erklären, dass die Beziehung zwischen beiden nie allein in der Mechanik des Apparativen, sondern immer auch in der Mechanik der Narration bestanden hat.
The Commuter, der einen erschöpften Versicherungsagenten (Liam Neeson) am Ende eines schlechten Tages in einen Pendlerzug Richtung Upstate New York setzt, ist, so betrachtet, die Probe auf eine alte Verbindung. Und zugleich eine Erinnerung daran, dass die Geschichte vom Gespräch, das in ein paar Sätzen bis zum Mordauftrag oder zur erzwungenen Komplizenschaft gelangt, mehr als ein Setting kennt und gelegentlich das Vehikel gewechselt hat.
In Gegen die Zeit von John Badham (1995) ist Johnny Depp bereits dem Zug entstiegen, als er von Christopher Walken mit einigen präzisen Instruktionen und sehr unerfreulichen Informationen über den Verbleib seiner Tochter konfrontiert wird. In Red Eye von Wes Craven (2005) bekommt Rachel McAdams von Cillian Murphy einen Cocktail an der Bar des Flughafens und später, als sie im Flugzeug nebeneinander sitzen, Instruktionen, die ebenfalls präzise sind, dazu einige Informationen über die Lebenserwartung ihres Vaters und über den quasi-automatischen Ablauf eines Anschlags, den man zu diesem Zeitpunkt vorbereitet. (Es kommt dann anders.)
Am Ende doch nur Action
Der Versicherungsagent im Zug Richtung Upstate New York hat mehr zu schützen als eine Tochter oder einen Vater – eine intakte Kleinfamilie, und er ist deshalb in dem Moment, als Joanna (Vera Farmiga) auf dem Sitz gegenüber Platz nimmt, zugänglich für einen Vorschlag, den er sich sonst nicht anhören würde. Der Vorschlag besteht in einem Namen und in dem kryptischen Satz, dass sich an Bord des Pendlerzuges eine Person befinde, die dort nicht hingehöre. Der Job ist es, sie zu identifizieren; auf der Zugtoilette liegen 25.000 Dollar zur Anzahlung; noch einmal 75.000 gibt es, wenn der Auftrag erledigt wurde; und was danach mit der Person passiert, muss eigentlich niemanden interessieren.
Als Schauplatz eines hide and seek ist der Zug ein ziemlich tolles Setting, das im Fall von The Commuter nach dem Modell des entwendeten Briefs aus der gleichnamigen Story von E. A. Poe funktioniert. Wo etwas zu verstecken ist, versteckt es sich am besten, indem es sichtbar bleibt, zugleich aber in ein Umfeld von Ähnlichkeiten eingeordnet wird. Ein Brief in einer Ablage von Schriftstücken. Eine Person unter vielen in einem Zug, in dem ein Waggon unbenutzbar scheint und alle anderen bei der Abfahrt von Grand Central entsprechend voll besetzt sind. Zu viele Optionen, zu viele Gesichter, das ist eine Standardsituation der beginnenden Suche. Dass die Person eine Tasche bei sich trage, muss unter diesen Umständen eher als ein bösartiger Witz betrachtet werden, nicht als eine Information, die bei der Identifikation behilflich sein könnte.
Hitchcock (Eine Dame verschwindet, Der unsichtbare Dritte), Wenders (Der amerikanische Freund), Niklaus Schilling (Rheingold) haben Versteckspiele im Zug unter je eigenen Vorzeichen inszeniert. Der Regisseur Jaume Collet-Serra inszeniert seines in The Commuter relativ konsequent als den Versuch, eine Oberfläche zu lesen, die aus Sitzreihen, Figuren, Gesichtern und Accessoires zusammengesetzt ist, hin und zurück und wieder in die Gegenrichtung, denn zum Zug gehört auch, dass er den Modus der Investigation auf spezifische Weise formatiert.
Horizontal, als Bewegung entlang einer Achse, die durch die Wagenreihung markiert wird; vertikal, wenn die Entwicklung einen Ausflug unter die Waggons (auch diesmal) oder auf das Dach (diesmal nicht) erforderlich macht. Dabei immer klaustrophobisch, da der Zug, der Kombattanten und Komplizen transportiert, vor dem Showdown eigentlich nur von denen verlassen werden kann, die für die Handlung unwichtig geworden sind und, tot oder lebendig, entlang der Strecke abgesetzt werden.
Wäre der Versicherungsagent kein ehemaliger Polizist, könnte The Commuter ein schöner Film sein. Aber mit den temporalen, spatialen Eigenheiten der Zugfahrt ist das skill set des Polizisten nur bedingt kompatibel. Irgendwann, jenseits der Stadtgrenze und auf dem Weg Richtung Showdown, wird der Pendlerzug ein beliebiges Action-Setting geworden sein, die Lektüre der Oberflächen durch eine anderes Programm ersetzt, in dem das Gute siegt und die Dramaturgie der Reihung, Taktung, Aufteilung sehr gründlich ausgehebelt worden ist.
Info
The Commuter Jaume Collet-Serra GB/USA 2018, 104 Minuten
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.