Der Werberat ist ein stumpfes Schwert

Sexismus Die Werbewirtschaft läuft Sturm gegen ein Gesetz zu sexistischer Werbung. Das ist ihr gutes Recht. Das gute Recht von Verbraucherinnen ist aber Schutz vor Sexismus

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Deutschland hat kein Problem mit sexistischer Werbung. Das will Ralf Nöcker, Chef des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) mit ein bisschen Kopfrechnen herausgefunden haben.

Im vergangenen Jahr hatte das ZAW-Kontrollorgan, der Deutsche Werberat, nämlich gerade mal 88 Unternehmen wegen Geschlechter diskriminierender Werbung unter Ausschluss der Öffentlichkeit ermahnt. Nur neun Unbelehrbare kassierten eine offizielle Rüge. In den Vorjahren sah es nicht viel anders aus. Ein Gesetz „für nicht einmal zehn (!) Fälle pro Jahr“ sei sinnfrei und überflüssig, so Nöckers Rechenlogik. Das hätte der Werberat im Griff, keine Einmischung des Staates sei erforderlich, finden Deutschlands Werber.

Betrachtet man die Werbewirtschaft durch die Brille der Werbewirtschaft, sieht es tatsächlich rosig aus. Unter den Millionen Werbebotschaften, mit denen jeder Einzelne von uns pro Jahr konfrontiert wird, sind demnach nur ein paar Handvoll nackte Brüste und Hintern. All die anderen weiblichen (und auch die wenigen männlichen) Werbe-Nackedeis und -Stereotype sind ästhetisch, ironisch oder einfach lustig.

Wieso also diese Aufregung? Wie kommt ein Ministerium auf die Idee, es brauche ein Gesetz? Wieso kämpfen NGOs wie Terre des Femmes und Pinkstinks jahrelang unermüdlich gegen diskriminierende Werbung? Wieso bloggen, twittern, posten und kommentieren Tausende von Frauen ihren Ärger mit den Hashtags #ichkaufdasnicht, #WomenNotObjects oder #sexistischekackscheiße in die soziale Welt?

Typisch weibliche Hysterie kann es nicht sein, die wurde vor etlichen Jahrzehnten offiziell widerlegt und abgeschafft. Sind die Beschwerdeführerinnen allesamt humorlose, überempfindliche Zicken, die ihre Tage haben? Oder handelt es sich um eine, wie manch männlicher Kommentator nahelegt, Verschwörung von lesbischen Männerhasserinnen?

Vielleicht stimmt es aber auch einfach nicht, dass wir kein Problem haben. Und möglicherweise stimmt es auch nicht, dass die Wirtschaft sich mittels Werberat ausreichend selbst disziplinieren kann.

Schauen wir uns vom Werberat gerügte Fälle einmal näher an. Es handelt sich fast ausschließlich um kleinere, regionale Betriebe oder Einzelunternehmer. Da ist die Rohrreinigungsfirma aus Nürnberg, die Berliner Fahrschule, der Tierfutterhändler aus Grevesmühlen oder der Fernsehtechniker aus Hameln. Deren Blickfangwerbung mit halbnackten Frauenkörpern ist dann auf dem Firmenwagen zu sehen. Oder in einer einspaltigen Anzeige im lokalen Anzeigenblatt. Oder auf einem handtuchgroßen Transparent an der örtlichen Haltestelle der Regionalbahn.

Was aber ist mit den Anzeigenstrecken im Spiegel, den teuer produzierten Virals und TV-Spots in der Primetime, den bundesweit klebenden Großplakaten? Wo in der Bilanz des Werberats findet man die dicken Fische, über die im Zusammenhang mit Werbesexismus geredet wird? Axe, Astra, Sisley, American Apparel oder Sixt, um nur die Naheliegenden zu nennen?

Julia Busse, Geschäftsführerin und Sprecherin des Werberats, erklärt das Phänomen so: „Größere Unternehmen müssen wir fast gar nicht rügen, sie ändern ihre Werbung ab, wenn der Werberat einen Verstoß gegen die Branchenkodizes festgestellt hat. Die kleineren Unternehmen ziehen aus den unterschiedlichsten Gründen jedoch in Ausnahmefällen ihre beanstandete Werbung nicht sofort zurück, daher werden sie häufiger gerügt.“

Ich bin überzeugt davon, dass das mit 15 klugen und erfolgreichen Köpfen besetzte Expertengremium des Rats seine Entscheidungen gründlich abwägt. Aber es ist eben ein Gremium aus VertreterInnen von Werbe- und Wirtschaftsunternehmen. Welche in der Geschichte des Feminismus bisher keine tragende Rolle gespielt haben – und wohl auch nie werden. Im Gegenteil. It’s a man’s world. Wer darin lebt, orientiert sich am männlichen Mainstream der eigenen Branche. Und der findet sexistische Darstellungen manchmal eben einfach geil.

Handwerklich gut gemachter Sexismus, wie der der Sixt-Frühjahrskampagne 2016, wird denn vom Werberat auch schon mal durchgewunken. Die heiße Sixt-Angestellte, die Kunden lockt, indem sie am Mercedes leckt und ihr Röckchen lüftet, findet der Werberat „sexy“ statt sexistisch und „selbstbestimmt“ statt willig.

Unwahrscheinlich zwar, aber nicht unmöglich ist, dass auch eine Richterin in diesem einen Fall zum selben Ergebnis käme. Aber dass Sixt ein ganz und gar nicht reuiger Wiederholungstäter ist, der sexistische Provokationen seit Jahren mit Vorsatz in sein Marketing einbaut, dürfte ihr sehr missfallen. Im Gegensatz zum Werberat, der aus einer Welt stammt, in der reichweitenstarke, clevere Werbestrategien mit Preisen überhäuft werden.

Die zahnlosen Rügen sind zu oft Teil der Inszenierung. Provokation bringt Ärger, Ärger bringt PR. Schelte aus der eigenen Branche schreckt Sixt und viele andere Unternehmen daher wenig. Wenn die Motive geschaltet und die Spots verbreitet sind, ist der Job getan, die Kampagne durch. Den Rest erledigen die Öffentlichkeitsarbeit des Werberats, aufgeregte FeministInnen und Anti-FeministInnen. Eventuell ein paar teure Schaltungen aus dem Mediaplan zu streichen, vergrößert eher den „Return on Investment“ als den Anstand.

Aber auch der gerügte Bockhorner Handwerker, die Nürnberger Rohrreinigungsfirma und die Berliner Fahrschule zeigten sich wenig beeindruckt vom Werberat. Ich habe sie gefragt: Keiner von ihnen hatte vorher jemals von dieser Einrichtung gehört. Keinen von ihnen hat die Rüge bekümmert. Keinem hat sie geschadet. Im Gegenteil. „Wir bekommen viel Lob für den schönen Frauenpo auf unserem Auto“, sagt ein Mitarbeiter der Rohrreiniger. Die Berliner Fahrschule freut sich, dass sie dank Werberat auch nach zwei Jahren immer noch in Print und TV erwähnt wird. „Das ist doch billige Werbung!“ Der Inhaber des TV-Service spricht von einer „Trotzreaktion“ und ändert nichts. Und der Grevesmühler Tierfutterhändler ärgert sich vor allem darüber, dass ein ihm unbekanntes Gremium sich aufschwingt, ihn wegen seiner regionalen Firmenwerbung bundesweit anzuprangern. Im Gegensatz zu Sixt, Sisley & Co. hat er niemanden provozieren, sondern lediglich einen hübschen Hingucker auf seinen Autos platzieren wollen.

Welche Motive auch immer zu Frauen herabwürdigender Werbung geführt haben mögen: Ein Gesetz hätte ein sehr viel größeres Abschreckungspotenzial, sowohl bei Kleinunternehmern, als auch bei Großkonzernen. Es würde sich auch besser einprägen als das bei Unternehmen und Bevölkerung weitgehend unbekannte Selbstregulierungsorgan der Werbebranche. Die Vorteile des Werbrats, schnell, unbürokratisch und praxisnah handeln zu können, würden durch mehr Schlagkraft und Nachhaltigkeit eines Gesetzes aufgewogen. Ein diesbezüglich vorbestrafter Erich Sixt würde es sich vermutlich zweimal überlegen, seine Mietwagen weiterhin mit geilen Sex-Häschen an den Mann zu bringen.

Ein weiterer wichtiger Grund für ein Gesetz ist die eingeschränkte Zuständigkeit des Werberats. Er ist nämlich nur für Wirtschaftswerbung zuständig. Wenn Parteien oder die Bundesregierung sich werblich im Ton vergreifen, wenn soziale Einrichtungen und NGOs vor lauter missionarischem Eifer die Wahl der Mittel nicht mehr reflektieren, kann der Werberat nur hilflos mit den Achseln zucken. Derzeit können sich Bürger weder an den Rat noch an die Verbraucherzentralen wenden, um ihrem Ärger über die Wahlwerbung der Grünen (2009) oder das Erste-Hilfe-Video für Jugendliche des Arbeiter-Samariter-Bundes (2016) loszuwerden.

Das Gesetz wäre natürlich kein Allheilmittel für eine perfekte, moderne Gesellschaft. Es gibt einfach zu viele Spielarten und Ausdrucksformen von Sexismus. Auch der Sexismus-Paragraf, ein Zusatz zum Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), könnte nichts gegen die Unsitte einiger großer Zeitschriftenverlage machen, jedes noch so abwegige Thema mit nackten Frauen zu inszenieren. Und das Füllhorn sexistischer Musikvideos, in denen Frauen als Huren und Schlampen stilisiert werden, würde genauso wenig zum Versiegen gebracht werden. Diese sind halt „Kunst“, auch wenn sie schon kleine Mädchen dazu verleiten, sich mit Duckface und in Hotpants twerkend in den sozialen Medien zu präsentieren.

Aber vielleicht hätte ein entsprechender Paragraf Müllermilch bei seiner Pin up-Weihnachtsedition 2015 zum Umdenken gebracht. Oder eine Umbenennung des Schaumweins „Dosenöffner“ erzwungen. So wie einst die Liköre „Schlüpferstürmer“ und „Busengrabscher“ mit Verweis aufs UWG aus den Regalen gefegt wurden.

Ja, durch einen zusätzlichen Paragrafen im UWG könnten VerbraucherInnen besser gegen Diskriminierung und Objektifizierung geschützt werden. So wie sie seit Jahrzehnten vor irreführender oder belästigender Werbung geschützt sind. Und so, wie das UWG auch Unternehmen vor schmähenden Konkurrenzunternehmen schützt.

Ich meine, wenn es verboten ist, Konzerne in der Werbung herabzuwürdigen, dann ist es mehr als angemessen, ihren Kundinnen und Kunden das gleiche Recht zuzugestehen.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 21.04.16 auf meinem Blog "Marketing mit Haltung".

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefanie Urbach

5.000 Werbebotschaften täglich – da sollten die unsere Aufmerksamkeit wert sein. Ich schreibe über gute Werbung, über Marketing mit Haltung.

Stefanie Urbach

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