Dezentralisieren wir das Internet!

Nach Facebook Der Facebook-Datenskandal fördert eine fundamentale Frage in der Architektur des Internets zu Tage, auf die wir durchgreifend antworten müssen!

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Der jüngste Datenskandal, der durch den Whistleblower Christopher Wylie bekannt wurde, hat Facebook mit voller Breitseite erwischt
Der jüngste Datenskandal, der durch den Whistleblower Christopher Wylie bekannt wurde, hat Facebook mit voller Breitseite erwischt

Foto: Josh Edelson/AFP/Getty Images

„We have a responsibility to protect your information. If we can’t, we don’t deserve it.“ Mit diesen Worten entschuldigte sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg unlängst in britischen Zeitschriften. Der jüngste Datenskandal, der durch den Whistleblower Christopher Wylie bekannt wurde, hat Facebook mit voller Breitseite erwischt und machte Zuckerbergs Schuldeingeständnis erst notwendig. Wylie, ein ehemaliger Mitarbeiter des Datenunternehmens Cambridge Analytica, gab gegenüber der Presse zu, dass über 50 Millionen Daten von Facebook-Userinnen und -Usern durch das Unternehmen missbräuchlich genutzt wurden. Aktuell besteht der Verdacht, dass diese Daten zur Beeinflussung der Brexit-Abstimmung und der amerikanischen Präsidentschaftswahl genutzt wurden. So oder so: Es ist ein handfester Skandal für den Social-Media-Riesen, der ihn in existenzbedrohende Bedrängnis bringen könnte. Doch es darf kein Skandal bleiben, den man schnell vergisst, denn er fördert eine fundamentale Frage in der Architektur des Internets zu Tage, auf die wir durchgreifend antworten müssen!

In was für einer Welt wollen wir leben?

Die Frage mag abgedroschen daher kommen, doch der Zeitpunkt scheint kaum geeigneter als sie vor dem Hintergrund des Datenskandals heute erneut zu stellen: In was für einer Welt wollen wir leben? Um eine zukunftsfähige Antwort hierauf zu finden, müssen wir die Frage nach der Architektur des Internets berücksichtigen. Will man, dass Bürgerinnen und Bürger sowie Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber Staat und Wirtschaft mündig und aufgeklärt bleiben, so müssen die aktuell bestehenden Strukturen neu gedacht werden. Drehen wir den Spieß und dezentralisieren das Internet!

Um es etwas plastischer zu machen, ein kleines Beispiel: Ich gehe in der Altstadt spazieren und sehe hier einen Bäcker, da einen Mode-Laden, woanders gibt es noch ein kleines Café. Als Bürger und Konsument habe ich die freie Wahl, in welches Geschäft ich gehe und vor allen Dingen wann ich es wieder verlasse. Im Internet aber bewegen wir uns anders; hier gelten andere Regeln. Hier melden wir uns bei Amazon, Facebook und Google an und hinterlegen unsere Daten auf den Servern dieser Internetriesen. Übersetzt man das Beispiel auf den Altstadtbummel, wird klarer, dass Kundinnen und Kunden zwar in die Geschäfte gehen können, aber nicht die freie Wahl haben, sie wieder zu verlassen. Unser „digitales Ich“ ist also potentiell immer da, gefangen auf Fremdservern, auf die wir keinen Einfluss haben.

Ein digitales sapere aude!

In der Epoche der Digitalisierung aber bedeuten Daten Macht. Die Flüsse von Daten offenbaren dementsprechend die relevanten Machtstrukturen. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, wer dieser Logik folgend auf dem Weltmarkt die mächtigsten Unternehmen sind. Doch nicht nur die Internetriesen bedrohen unsere selbstbestimmte Art zu leben und zu wirtschaften, sondern auch ein Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger überwacht und scort, wie aktuell China. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Machtstrukturen erkennen, durchbrechen und unsere Rolle als ursprünglicher Créateur von Wirtschaft und Staat aktiv einfordern. Es geht dabei nicht um sozialistische Wirtschaftsfeindlichkeit oder libertäre Staatsskepsis, sondern um das Postulat eines neuen „sapere aude“ in der Epoche der Digitalisierung.

Immer deutlicher zeigt sich also, wie mit unseren Daten nicht nur Geschäfte gemacht, sondern auch politische Prozesse beeinflusst werden und sich Öffentlichkeit neu strukturiert. Die Größe der Internetmultis, in unserem Falle Facebook, macht nicht nur uns Verbraucherinnen und Verbraucher völlig gläsern, sondern bedroht auch die Werte der sozialen Marktwirtschaft. Soll sie funktionieren, darf kein Marktteilnehmer so groß werden, dass er den anderen Teilnehmern die Spielregeln vorgibt, denn sonst entsteht eine Machtwirtschaft. Dass dies bei Facebook längst der Fall ist, zeigt sich an der Debatte um Schattenprofile, Bubblebuilding und aktuell auch am Datenskandal. Selbst die Politik erscheint bisweilen hilflos gegenüber der Macht des Konzerns. Wird man Facebook zerschlagen? Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist gering. Es ist liegt also in der Hand der Userinnen und User, Facebook in die Knie zu zwingen.

Wenn die Politik für die Zerschlagung des Internetriesen zu schwach ist, dann muss sie allerdings klar die Dezentralisierungsbestrebungen von Bürgerinnen und Bürgern unterstützen, die ein basisdemokratisches Gegengewicht zu den Milliardenkonzernen bilden können.

Rollentausch & Verspiegelbildlichung

Dazu müssen wir die Rollen tauschen. Nicht wir legen unsere Daten auf die Server von Facebook, sondern wir erlauben Facebook auf unsere Daten zuzugreifen und zu welchen Bedingungen. Unsere Daten liegen dann (nicht kopierbar) auf einem Server (Datenportmonee), der beispielsweise mit dem heimischen Router verbunden ist. Die konkrete Ausgestaltung dieses Modells mag dabei noch zu diskutieren sein, doch die Richtung dieser Dezentralisierung hätte weitreichende Folgen im Kampf gegen die negativen Folgen einer ungezügelten Digitalisierung. Einige Vorteile liegen dabei jedoch auf der Hand.

Über die Idee des Datenportmonees wird die Verspiegelbildlichung unserer Gesellschaft vorangetrieben. Dabei kann sie die Widersprüche von On- und Offline auflösen. Wer online wie auch offline die selbe Person ist, trägt dazu bei, ein Internet der Werte zu schaffen.

Da wir unsere Daten auf unseren Datenportmonees lagern und selbst bestimmen, wem wir diese zur temporären Nutzung überlassen, sinkt die Wahrscheinlichkeit von Hacking-Angriffen auf Zentralserver, die zu massenhaften Datendiebstählen führen. Zudem können wir uns mit ein und dem selben Datensatz bei jeder Onlineplattform an- und abmelden. Die Datenportabilität wird endlich intuitiv und real umsetzbar.

Die Macht von Facebook brechen

Mit der Dezentralisierung des Internets, mit der Selbstverwaltung unserer Daten, würden wir durch eine gesellschaftliche Gegenbewegung die Zerschlagung Facebooks einleiten. Denn nun steht es wieder mit anderen sozialen Medien im Wettbewerb, da es uns Verbraucherinnen und Verbraucher überzeugen muss, es zu nutzen.

Aber auch in der politischen Mitbestimmung tun sich neue Möglichkeiten auf, denn Wahlen und Volksbefragungen könnten fortan online durchgeführt werden. Es ließen sich noch weitere Möglichkeiten und Beispiele aufzählen. Auch ließen sich viele weitere Fragen stellen, die sich aus dieser Umstrukturierung ergeben werden. Doch eines ist klar: Wir brauchen auch im Digitalen eine Zivilgesellschaft, die stark genug ist, sich gegen wirtschaftliche und staatliche Übergriffe zu wehren.

Die Antwort auf die Frage, in was für einer Welt wir leben wollen und werden, hängt also, wie skizziert, untrennbar mit der Architektur des Internets zusammen. Nur wenn wir es schaffen, die Strukturen zu dezentralisieren, werden wir wirtschaftlicher Monopolbildung und staatlichen Allmachtsfantasien entgegenwirken. Über die Verspiegelbildlichung von on- und offline verhindern wir, dass unserer Gesellschaft das gleiche Schicksal droht wie der Romanfigur Dorian Grey.

Schaffen wir zusammen das Internet der Werte!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Krabbes

Blogger & Speaker zu Digitalisierung & Demokratie.twitter: @stefankrabbes

Stefan Krabbes

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