Sachsen-Anhalt ist offline

Digital versagt Warum konnte die AfD in Sachsen-Anhalt so stark werden? Die Landesregierung hat digital versagt. Ein kurzer Erklärungsversuch aus netzpolitischer Sicht.

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Sachsen-Anhalt erlebt ein Novum in seiner Geschichte. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik kommt es zu einer Kenia-Koalition bestehend aus CDU, SPD und den Grünen. Nötig wurde dies durch das sehr schwache Abschneiden der Linken, bei gleichzeitigem Rekordergebnis für die AfD. Doch warum konnte die AfD so stark werden? Die Landesregierung hat digital versagt. Ein kurzer Erklärungsversuch aus netzpolitischer Sicht.

Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sorgten für einen historischen Moment in der Parteienlandschaft. Erstmals schickt sich eine Partei rechts der CDU an, in der Parteien- und Parlamentslandschaft zu manifestieren. Damit erreicht, mit großer Verspätung, auch Deutschland der europäische Trend, wonach Rechtspopulisten fester Bestandteil der politischen Landschaft sind – wie etwa in Frankreich, Österreich oder den Niederlanden.

Gerade Sachsen-Anhalt hat es mit fast 25 % für eine bisweilen rechtsradikale AfD schwer getroffen. Zwar zog die AfD zu diesen Landtagswahlen in alle Landtage ein, in keinem Bundesland aber so stark wie in Sachsen-Anhalt. Dies, wie es Ministerpräsident Haseloff tut, mit einem bundesweiten Trend zu erklären, greift jedoch zu kurz und verkennt das eigene Zutun bzw. Unterlassen der letzten Jahre der eigenen Regierung.

Wie bereits im Blogbeitrag „Ein New Deal für Sachsen-Anhalt“ festgehalten, haben viele Sachsen-Anhalter*innen dieses Mal die AfD gewählt. Unter ihnen wollten viele ihrem Unmut über die Flüchtlingsherausforderung Luft machen, sagen sie. „Für die ist plötzlich Geld da, aber für die eigene Bevölkerung tut man nichts“ hört man oft, wenn man sich mit den Bürger*innen auf den Straßen unterhält oder auch Kommentare in den sozialen Medien liest. Wer seinen Blick versucht hinter diese Aussage zu richten, erkennt schnell, dass es sich um einen Hilfeschrei einer Gesellschaft handelt, die sich abgehängt fühlt. Schulen schließen, die Bahnhaltepunkte werden dicht gemacht, der ÖPNV generell ausgedünnt, der letzte Laden im Dorf schließt, Kommunen sind finanziell unterausgestattet, Theater und Universitäten bekommen weniger Geld und so weiter. Das alles zum Preis einer schwarzen Null im Haushalt eines SPD-Finanzministers und seines CDU-Ministerpräsidenten. Dass diese Umstände auf das Wahlergebnis Einfluss hatten, vergisst Ministerpräsident Haseloff in seiner Analyse.

Der Unmut und Frust der Bürger*innen wurde zunehmend in die digitale Öffentlichkeit der sozialen Medien transportiert. Und hier zeigt sich das fatale netzpolitische Versagen der Landesregierung, das erheblichen Einfluss auf das Spitzenergebnis der Rechtspopulisten hatte. Zwar haben alle großen Parteien und Landtagsfraktionen Facebook- und manchmal auch Twitter-Accounts, aber blickt man auf die Social-Media-Präsenz der Landesregierung muss man feststellen: Sachsen-Anhalt ist offline.

Die Bürger*innen Sachsen-Anhalt sind in großen Teilen schon weiter als ihre Landesregierung. Sie bewegen sich mehr oder minder gekonnt und nutzen vor allen Dingen Facebook täglich. Ob PC, Handy oder Tablet: Facebook gehört weltweit zu den Standard-Apps. Wir nutzen es täglich. Zwar nicht alle, aber immerhin eine große Anzahl lässt sich bei Facebook finden. Durch die große Anzahl von Menschen, die Facebook nutzt gibt es auch Gruppen und Seiten für alle möglichen Belange: Heimatgruppen, Fußballvereine, Schulklassen. Die Menschen organisieren ihr Leben online. Wer eine gute Weinempfehlung haben möchte, der fragt aus Einfachheit, aber auch aus Vertrauen zum eigenen Freundeskreis oder der spezifischen Gruppe, z.B. unter dem Hashtag Followerpower und erhält prompt Empfehlungen.

Social Media das ist nicht etwa etwas Diffuses, sondern etwas sehr Konkretes. Social Media das ist unsere Gesellschaft, denn die Menschen organisieren ihr Leben hierin miteinander in den verschiedentlichsten Arten und Weisen. Doch damit Menschen ihr Wirken in der Gesellschaft besser koordinieren können, bilden sie Institutionen. Offline haben wir dafür Vereine, Unternehmen, Parteien und zuvörderst Regierungen. Doch gerade die Landesregierung in Sachsen-Anhalt als zentraler Akteur menschlichen Zusammenlebens ist online unauffindbar (Hinweis: Nicht ein einziges Ministerium hat eine Facebook-Seite, die durch sie selbst administriert wird). Eine Gesellschaft ohne Institutionen organisiert sich selbst – es gilt das Recht des Stärkeren und des Lauteren. Diese Gesellschaft segregiert sich. Die Menschen in den Teilgesellschaften vertrauen dann den Parteiungen die eher an der eigenen Lebenswahrnehmung sind, was letztlich durch ihre Homogenität meinungsverstärkend wirkt. Dies haben die Rechtspopulisten für sich ausgenutzt. Sie konnten hetzen und Ängste schüren, die ihnen die Wähler*innen direkt in ihre Arme trieben. Verstärkt wird dieser Umstand dadurch, dass es eine Vielzahl an Meinungsseiten gibt, deren Meldungen fälschlicherweise mit unabhängigen Nachrichten gleichgesetzt werden. Jeder – mir inklusive – kann heute Nachrichten produzieren. Das macht es für die Menschen unübersichtlicher und kann für Verwirrung sorgen.

Umso wichtiger ist es, dass die Institutionen des Landes endlich online ansprechbar sind. Wenn Meinungen auf Meinungen prallen, dann braucht es Fakten, um sich entscheiden zu können. Es ist die Aufgabe der Landesregierung mitsamt ihrer Landesministerien, endlich ansprechbar zu sein und ihre eigenen Vorhaben der Öffentlichkeit zu präsentieren – online im gleichen Maße wie offline, denn nur dann kann man Hetzern Fakten entgegenhalten und versetzt die Bürger*innen auf der Grundlage dieser Fakten zum eigenen Urteil.

Die neue Landesregierung in Sachsen-Anhalt muss endlich erkennen, dass Social-Media kein Spielplatz für Nerds ist. Es ist nicht weniger als die Verschiebung oder Erweiterung unserer gesamten Gesellschaft in einen sozialen Raum, den die Landesregierung bisher sich selbst überlässt. Sachsen-Anhalt braucht schnellstmöglich eine Social-Media-Strategie, in der sie Transparenz über ihre Arbeit schafft und Beteiligung von Bürger*innen ermöglicht und niedrigschwellige Angebote macht.

Mit einer Facebook-Seite oder einem Twitter-Account ist es nicht getan: Es braucht dafür in den Ministerien und Landesbehörden Social-Media-Teams.

Sachsen-Anhalt muss endlich online gehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Krabbes

Blogger & Speaker zu Digitalisierung & Demokratie.twitter: @stefankrabbes

Stefan Krabbes

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