Sind die Grünen eine linke Partei?

Fragebogen Der neue Freitag feiert Jubiläum. Und mit ihm die Freitag Community, die nie um Meinungen verlegen war. Wir haben gefragt, Stefan Krabbes hat geantwortet

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Sind die Grünen eine linke Partei?

Halten Sie die Grünen für eine linke Partei?

Im klassischen Sinne sind die Grünen eine linke Partei. Heute würde ich sie klar im linksliberalen Spektrum verorten. Die Grünen haben gleichzeitig aber auch ein konservatives Wertefundament. Was meine ich damit? Es geht ihnen nicht um konservative Strukturen wie z.B. die Ehe zwischen Mann und Frau, sondern um den ideellen Wert der Ehe. Den Wert der Ehe allen Menschen zugänglich zu machen ist dabei für mich ihr wertkonservatives Moment – weil sie ganz liberal allen Menschen ermöglichen wollen, ihre Leben so zu entwerfen, wie sie es für richtig halten. Auf der anderen Seite betonen sie aber auch die soziale Verantwortung von Unternehmen, wenn es um Steuergerechtigkeit oder um Unternehmensstrafrecht geht, wenn Unternehmen wie VW zu Umweltsündern mutieren und Politik und Bürger*innen über den Tisch ziehen. Klar, die Grünen nerven manchmal ganz schön – aber dafür bleiben sie sich treu. Wer war schon klarer positioniert im Atom- und Kohleausstieg, der Ehe für Alle, dem Dieselskandal oder in den Jahren der Zuwanderung als die Grünen? Mir mag da keine andere Partei in den Sinn kommen. Nicht immer haben sie beliebte Positionen, und mitunter wirken sie anfangs sogar nichtig, aber sie blieben sich eben oft treu. Dass wir heute über die Vermeidung von Plastik reden, ist nicht zuletzt ihr Verdienst. Ich glaube, dass das mittlerweile auch bei den Bürger*innen angekommen ist. Von daher: Ja, die Grünen sind eine linksliberale Partei mit konservativem Wertefundament, denen gerade Ökologie und Europa unglaublich wichtig sind. Das macht sie auch für die Mehrheit der Bürger*innen anschlussfähig, auch wenn sie – wie gesagt – manchmal wirklich anstrengend sein können.

Kannten Sie den alten Freitag (vor 2009)?

Den Freitag habe ich das erste Mal bewusst 2006 mit dem Beginn meiner Ausbildung wahrgenommen. Er lag in der Geschäftsstelle aus. Er wirkte vom Layout muffig und altbacken – unattraktiv für einen jungen Menschen. Daher kam ich damals auch nicht auf die Idee, darin zu blättern. Das änderte sich dann aber 2015, als ich begann ihn regelmäßig zu lesen. Von daher finde ich den neuen Freitag allein schon vom Layout besser. Inhaltlich kann ich das entsprechend wenig beurteilen. Heute bin ich aber recht zufrieden.

Schaffen wir das?

Wir können alles schaffen. Und haben wir es denn nicht schon längst geschafft? Klar ist doch, es wird uns nicht irgendwann eine Wegmarke vor die Nase gestellt, auf der steht: Geschafft! Eine Gesellschaft ist immer im Werden und hört nicht auf, sich zu entwickeln. Ich glaube daher, dass eine Gesellschaft mit ihren Aufgaben wächst. Und Politiker*innen die sagen, warum wir scheitern werden, sind fehl am Platze. Schauen Sie doch nach Großbritannien, da sieht man, was passiert, wenn man Populisten und Extremisten Gehör schenkt – und ihnen auch noch folgt. Mein Verständnis von Politik: Es darf nicht die Aufgabe von Politiker*innen sein, zu sagen, was alles nicht geht und warum wir scheitern werden. Stattdessen müssen sie für uns herausfinden, wie wir unsere gesellschaftlichen Herausforderungen schaffen. Ein Gedanke: Ist es nicht auch möglich, dass Merkel genau über ihre eigene Art der Politik gestolpert ist? Jahrelange hat sie die Bürger*innen weitestgehend in Ruhe gelassen – und plötzlich musste sie eine Entscheidung politisch vermitteln.

Wie sind Sie auf die Community aufmerksam geworden?

Auf Twitter ist der Freitag ja recht aktiv. Dann und wann nahm ich auch Blogebeiträge von z.B. Bennjamin Hoff war, der für mich einer der klügsten Köpfe der Community ist. Ich teile seine Meinung nicht immer, aber schätze ihn für seine profunden Beiträge. Das macht unsere Demokratie ja auch aus. Man muss nicht alles teilen, man muss sich auch streiten – aber nie die Achtung voreinander verlieren. Das ist in diesen Zeiten nicht immer selbstverständlich. Da ich selbst auf meiner Seite (Link: www.stefan-krabbes.de) bloggte – und noch immer blogge –, habe ich meine Beiträge dann auch auf freitag.de eingestellt. 2015 habe ich mich auf Freitag.de registriert und die Wochenzeitung abonniert, da sie mir als gutes und kritisches Medium mit klarem humanistischem Kompass erschien.

Augstein oder Blome?

Augstein trifft oft das Herz, Blome dafür den Kopf. Es ist ein steter Aushandlungsprozess der natürlich durch die besseren Argumente einer Thematik beeinflusst wird. Beim Diesel-Skandal vertrete ich sicher eher Augsteins und in der Russlandpolitik eher Blomes Perspektive.

Vermissen Sie die „Zwei aus der Poststelle“?

Ist es schlimm, wenn mir das so gar nichts sagt?

Wenn Jakob Augstein „Journalist und Gärtner“ ist, sind Sie …

Europäer und Dorfkind.

Kommunitarismus oder Kosmopolitismus?

Mir ist am wichtigsten, dass bei uns Menschen endlich die Erkenntnis einsetzt, dass das lokale Handeln globale Auswirkungen hat – und dann auch wieder lokale. Unser westlicher Reichtum ist immer auch mit der Armut von Drittländern verbunden. Wer meint, Krieg als Fluchtursache zu akzeptieren, aber dann wirtschaftliche Gründe ablehnt, macht es sich verdammt einfach. Vielleicht leben wir nicht im staatlichen Kolonialismus, aber eine entfesselte Globalisierung international agierender Konzerne macht ihn zum privatisierten. Wenn in Indien die Flüsse die Trendfarben des Westens haben, Bauern in Afrika ihre Existenz nicht fristen können, weil ihnen Nestlé das Land nimmt, oder europäische Unternehmen ihre „Hühnerüberreste“ nach Afrika verhökern und dort billiger an die Verbraucher*innen bringen, als der hiesige Bauer produzieren kann, dann tragen wir als Konsumierende dazu bei, dass diese westlichen Konzerne eben Fluchtursachen wie Armut oder Klimakatastrophen produzieren. Das muss anders werden. Ich glaube, dass es wichtig ist, nochmal über einen fairen Welthandel zu sprechen, und dabei die Rolle der Vereinten Nationen deutlicher hervorzuheben. Abschottung kann also weder politisch noch wirtschaftlich funktionieren. Klar muss dabei aber sein, dass zukünftiger Welthandel nicht dazu beitragen darf, dass er nur dem reichsten Prozent der Welt nutzt. Denn Wirtschaftsflucht und Wirtschaftskrisen – wie z.B. die Stahlkrise in den 70er Jahren im Rust Belt oder die europäische Solarkrise in den frühen 2010er Jahren – haben doch ihre Wurzel in der entfesselten Globalisierung. Ohne es zu merken, machen sich also die Globalisierungsverlierer*innen einander zu Gegner*innen, obwohl die eigentlichen Krisenverursacher*innen viel zu selten in den Blick genommen werden.

Worüber haben Sie sich beim Freitag am meisten geärgert?

Über Augsteins Todenhöfer-Deal. Danach habe ich das Freitag-Abo nicht verlängert.

Und worüber am meisten gefreut?

Über die Ausgabe zu Ostdeutschland, da ich glaube, dass wir hier gesamtgesellschaftlich nochmal sprechen müssen. Oft höre ich, dass man knapp 30 Jahre nach der Wiedervereinigung die Sache doch auch mal auf sich beruhen lassen könnte. Aber das kann ich so gar nicht ab. Das ist nämlich genau die Argumentation, mit der man beispielsweise die weiterhin wichtige volle Gleichberechtigung von Frauen abtun möchte – oder eben die Anliegen von LSBTIQ*-Aktivist*innen, Behinderten oder Migranten. Marcel Fratzscher schrieb unlängst, dass Privilegien für die, die sie haben, unsichtbar seien. Das zu reflektieren ist schon mal ein richtiger und wichtiger Schritt, denn er ebnet den Weg dazu, sich auch für Minderheiten einzusetzen – selbst, wenn es einen selbst nicht betrifft. Denn der Grad unserer Demokratie muss sich auch daran bemessen lassen, ob und wie eine „Mehrheitsgesellschaft“ mit ihren „Minderheiten“ umgeht. Zwei schreckliche Worte, denn wir alle sind Individuen, die mit Respekt und Anstand behandelt werden und gleiche Chancen haben wollen. Dementsprechend muss ein moderner Mann beispielsweise ein Feminist sein. Daher meine Bitte: Spielt weiterhin mehr Themen, die den Menschen Stimmen geben, die man sonst im öffentlichen Diskurs zu selten hört.

Lieber auf Papier oder im Netz?

Tageszeitungen lieber digital, Wochenzeitung lieber auf Papier. Papier vermittelt Ruhe.

Was mögen Sie lieber, lange oder kurze Texte?

Das kommt auf die zu erlesende Materie an. Gute Erklärstücke sind selten kurz und brauchen ihre Länge. Von daher gerne auch mal längere Texte. Ich selbst habe auch den Hang zum Schreiben längerer Texte.

Wie lange müssen wir noch auf die Überwindung des Kapitalismus warten?

Müssen wir ihn denn abschaffen? Wichtiger wäre mir die Wiederbelebung von sozialer Marktwirtschaft und das Zerschlagen von Machtwirtschaftsstrukturen. Wenn ein Unternehmen wie Facebook die Timelines von User*innen als deren Realität verkauft, wenn die Autobauer ihre Kund*innen belügen und Verbraucher*innen die Wahl zwischen Schokoriegel 1 oder Schokoriegel 2 haben, aber dennoch der gleiche Konzern dahinter steht, dann müssen wir auch mal über die Zerschlagung von Unternehmen reden, um Verbraucher*innen wieder zu ihren Rechten zu verhelfen, den Markt wieder zu ordnen und der Politik zu Glaubwürdigkeit zu verhelfen. Gerade der letzte Punkt erklärt für mich in Teilen die Schwäche der SPD: Sie traut sich nichts mehr zu. Die SPD hätte mit Koalitionsbruch beim Dieselskandal drohen können, um technische Nachrüstungen durchzuboxen – und die Bürger*innen hätten es verstanden. Stattdessen gab es ein klares Ja zum Vielleicht.

Was ist ihr Lieblings-Totschlagargument?

Das suche ich mir meist in der Argumentationslücke meine*r Gesprächspartner*in. Ich lasse mich aber auch gerne von guten Ideen überzeugen. Nichts wäre schlimmer, als jahrelang auf seinen Standpunkten zu verharren. Gerade dann wenn sie „falsch“ sind.

Und welche Gretchenfrage stellen Sie gerne?

In welcher Welt wollen wir leben?

Und was ist für Sie das vollkommene Glück?

Momente der Stille in der Natur. Man entschleunigt, denkt nochmal anders über die Dinge nach. Vieles, das im Alltag wichtig erscheint, verliert plötzlich Relevanz und wird fast schon nichtig. Dann realisiert man die Gerüche des Waldes, die Gischt des Meeres, die ins Gesicht schlägt, oder den Regen oder den Schnee, der einen so dermaßen zum Frösteln bringt, dass man sich nur noch auf eine Tasse Tee und eine warme Wanne freut. Glück kann sehr klein sein. Und Großes bewirken.

Wer sonst noch geantwortet hat?

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Krabbes

Blogger & Speaker zu Digitalisierung & Demokratie.twitter: @stefankrabbes

Stefan Krabbes

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