Was ist unser Versprechen?

Gesellschaft Der Tag der Deutschen Einheit ist nicht nur ein Tag der Geschichte, sondern auch ein Tag die Frage zu beantworten, was uns verbinden soll

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Was ist unser Versprechen?

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit

Es ist der 03. Oktober 2018. Seit 28 Jahren sind wir nun eine gemeinsame Republik. Nicht immer scheint es als wären wir zusammengewachsen. Noch trennen viele sozioökonomische Faktoren, Wahlergebnisse und auch kulturelle Einstellungen Ost und West. Doch der Tag der Deutschen Einheit ist nicht nur ein Tag der Geschichte oder der Reflektion was uns trennt, sondern auch ein Tag die Frage zu beantworten, was uns verbinden soll. Doch dazu müssen wir auf die Suche gehen; auf die Suche nach einer gemeinsamen Erzählung und eines Versprechen.

Ost, West, Deutschland

28 Jahre nach der Wiedervereinigung scheint es so als hätten wir das Ziel aus den Augen verloren. Oder schlimmer noch? Haben wir uns, nach dem der eiserne Vorhang fiel, der die Welt in Ost und West trennte, gar kein neues Ziel gesteckt und warten eigentlich nur darauf, das was passiert?

Natürlich befinden wir uns noch im Prozess der Wiedervereinigung. Wer glaubt, dieser sei 1990 abgeschlossen worden, der irrt. Noch immer gibt es viel zu tun, um die Lebensverhältnisse in Ost- und West, aber auch in Nord- und Süd anzugleichen. Nicht zuletzt weist auch die neue Prognos-Studie darauf hin, dass die Unterschiede zwischen Ost- und West im Jahre 2045 sogar noch verheerender ausfallen könnten als sie vor dem Jahre 2000 waren.

Als Kind ostdeutscher Eltern und westlicher Sozialisierung meine ich aber, dass es an der Zeit ist eine andere Geschichte zu erzählen als die, die uns trennt. Es wird Zeit für eine Geschichte, die wir – um die Worte Julia Engelmanns zu bemühen – später alle gerne erzählen. Diese aber kann nicht von oben herab erzählt werden, sondern muss von unten wachsen.

#DerAndereOsten

Vor kurzem habe ich den Hashtag #DerAndereOsten ins Leben gerufen und auch einen Blogbeitrag dazu online gestellt. Mir war nach den Ereignissen in Chemnitz und Köthen wichtig ein klares Zeichen zu setzen, dass es „den“ Osten nicht gibt. Die Menschen sollten zeigen, wie ihr Osten aussieht. Die Menschen erzählten ihre Geschichten. Dabei zeigte sich, dass nicht nur Ostdeutsche ihre Geschichten erzählten, sondern auch Westdeutsche wertschätzende Worte für das zivilgesellschaftliche Engagement der Menschen im Osten fanden. Im Fokus stand dabei immer auch: Das Engagement für eine weltoffene, tolerante Gesellschaft als Zeichen gegen die Vereinnahmung durch Rechtsextreme und der Kampf gegen sie.

Zugegeben, es liegt eine gewisse Dialektik in dem Hashtag. Er betont zwar den anderen Osten, thematisiert aber das Verbindende zwischen den Menschen in Ost und West. Dankbar bin ich daher für alle, die unter diesem Hashtag ihre Geschichten erzählen. Beim Lesen der Beiträge kam ich auf eine Frage zurück, die mich seit längerem umtreibt. Was ist eigentlich unsere gemeinsame, gesellschaftliche Erzählung? Eine Art Versprechen unseres Zusammenhalts?

Das Ende der Geschichte?

Schon länger bin ich der Überzeugung, dass uns etwas verloren gegangen ist. Aus heutiger Sicht würde ich salopp sagen, dass es in der DDR wie auch in der BRD eine Art „Venceremos“ gab – ein „Wir werden siegen“. Die Geschichte ist bekannt. Die DDR ging durch seine mutigen Bürgerinnen und Bürger sowie den geschichtlichen Rahmenbedingungen in die Brüche und mit ihr fiel der eiserne Vorhang. Doch mit diesem Sieg glaubte man das Ende der Geschichte erreicht zu haben, um Francis Fukuyama zu bemühen. Doch kann es sein, dass wir im festen Glauben an den Sieg der Demokratie und der Marktwirtschaft blind dafür geworden sind, dass beides keine Synonyme sind und, dass es einen Unterschied macht, ob man in einer marktkonformen Demokratie oder einer demokratiekonformen Marktwirtschaft leben will? Kann es sein, dass wir dachten, alle gesellschaftlichen Probleme seien gelöst?

Diese Geschichte mag vielleicht für einige Menschen zutreffen, nämlich für die Menschen, die wirtschaftlich unabhängig und gesellschaftlich mit vollen Rechten ausgestattet waren. Mir scheint, dass das Ende der Geschichte, was eigentlich nach dem Erreichen des Paradises klang, heute für diese Gruppe von Menschen wie eine Bedrohung wirkt. Denn vielleicht war das außenpolitische Drohpotential verschwunden, aber die wirtschaftlich- und gesellschaftspolitischen Konflikte wurden außer Acht gelassen.

Freiheit wird mehr, wenn man sie teilt

Denn nicht für Alle war das Ende der Geschichte erreicht. Wohl dem, der alles hatte. Aber es gibt gesellschaftliche Gruppen, die ihre gesellschaftlichen Rechte und ihren Platz in der gesamtdeutschen Erzählung noch einfordern müssen und mussten. Von diesen Gruppen fühlte man sich nun bedroht.

So ist der Weg der Emanzipationen der Frauen noch nicht so lang, als dass wir ihn wie eine Selbstverständlichkeit behandeln dürfen. Zwar wurden viele Dinge erreicht wie das Frauenwahlrecht und das Verbot der Vergewaltigung in der Ehe, aber noch immer gibt es einen unsinnigen Paragraphen, der das Aufklären von Schwangerschaftsabbrüchen unter Strafe stellt, noch immer werden Frauen durchschnittlich 20 % schlechter bezahlt als Männer und noch immer gibt es viele Unternehmen, denen Frauenförderung völlig egal ist. Ein zu empfehlender Artikel hierzu erschien unlängst auf Zeit-Online „Westdeutsch, männlich, Mitte 50“. Ähnliche Probleme erleben wir bei Menschen mit Migrationshintergrund, die rassistischen und diskriminierenden Erfahrungen ausgesetzt sind; ebenso wie Menschen, die der LSBTIQ*-Bewegung entstammen und noch immer diskriminiert werden. Ja, erst seit einem Jahr ist es Homosexuellen möglich zu heiraten. Die Probleme mangelnder Repräsentation und Diskriminierung kennen aber auch viele Ostdeutsche, wie dieser Tage ja viel debattiert wird

Eine Erzählung, die ein Versprechen ist: In Vielfalt vereint.

Und genau hier muss unsere neue Erzählung ansetzen. Die nächste große Erzählung, die unsere Republik braucht entstammt dem Alten und formt das Neue. Besinnen wir uns also auf die Werte unserer Verfassung und erstreiten neue und gleiche Rechte! So finden wir im Artikel 20 unseres Grundgesetzes alle Staatsprinzipen. Unter anderem heißt es hieran, dass Deutschland eine Republik ist. Der Begriff entstammt dem lateinischen "res publica" und bedeutet soviel wie "Gemeinwesen". Damit betont unsere Verfassung also die Verantwortung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Dabei müssen wir aber beachten, dass das Gemeinwohl etwas anderes als der Wille aller (nach Jan-Werner Müller). Das ist für das liberale, progressive und demokratische Verständnis wichtig. Zusammen müssen wir also dafür einstehen, dass nicht nur die persönlichen Rechte erstritten werden, sondern auch die mit denen wir zusammen für mehr Bürgerrechte kämpfen. Strukturelle Probleme lassen sich am besten lösen, wenn man die Vielfalt eint, um jeden Menschen zu befähigen, das beste aus seinem Leben zu machen.

Ich bin überzeugt, dass dies die Erzählung, aber auch das Versprechen für unsere Republik sein kann: In Vielfalt vereint. Erst wenn alle Menschen frei und gleich an Rechten und Pflichten sind, können sie ihre Möglichkeiten nutzen, sich selbst erfüllen und nach Glück streben. Doch wenn ein Mensch zu schwach sein sollte, dann muss er wissen, dass ihn die Gesellschaft auffangen wird.

In Vielfalt vereint.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Krabbes

Blogger & Speaker zu Digitalisierung & Demokratie.twitter: @stefankrabbes

Stefan Krabbes

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