Wir sind #DerAndereOsten

Nach Chemnitz Zu lange waren wir leise. Fortan wollen wir laute Demokraten sein und zeigen: Wir sind #DerAndereOsten!

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Wir sind #DerAndereOsten

Es schmerzt in der Seele und macht wütend, dass der Osten unserer Republik, den viele von uns ihre Heimat nennen, immer wieder von rechtsextremen Gewalttaten überschattet wird. Doch wir sind nicht bereit, dies noch weiter hinzunehmen. Als Demokratinnen und Demokraten stellen wir uns entschieden gegen die Vereinnahmung unserer Heimat durch die Feinde unserer Demokratie und unserer europäischen Werte.

Wir gehören zusammen!

Wir wollen den wahrnehmbaren Ost-West-Konflikt befrieden, der den Unterton vieler Debatten ausmacht. Ja, ein politisches System ging in die Knie. Aber die Menschen die darin lebten sind deswegen keine Verlierer.

Wir brauchen mehr Verständnis füreinander. Ostdeutsche, die in der DDR geboren und groß geworden sind, haben viele systemische Brüche in ihrem Leben mitmachen müssen. Das unterscheidet sie von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Westen. Dies soll keine Vikitmisierung sein, sondern das Verstehen fördern. Während die Bundesrepublik das Individuum in den Fokus stellte, legte die DDR gesteigerten Wert auf die Bildung von Kollektiven. Der Zugang eines, wie auch immer gearteten, „Wir-Gefühls“ fällt hier entsprechend leichter. Zugleich handelte es sich bei der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik um einen autoritär agierenden Staat, weswegen die Erwartungen der Ostdeutschen an die Politik heute noch höher sind als die der westdeutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Gleichzeitig trat mit der Wiedervereinigung ein Integrationsprozess ein, der die neuen Bundesbürger in die soziale Marktwirtschaft und die repräsentative Demokratie holen sollte. Doch leider erfolgte die Marktintegration nicht in dem Maße, in dem Altkanzler Kohl sie versprach. Sogar das Gegenteil trat ein: Viele verloren das was sie kannten – ihre Arbeit, ihr soziales Gefüge, ihre Kultur und ihre Geschichte. Die Begeisterung der Wiedervereingung wich der Ernüchterung über die Realität von Transformationsprozessen. So wurden Ostdeutsche zu demokratischen Autodidakten, wie man noch heute an den Wahlergebnissen – im Vergleich zu den westdeutschen – wahrnehmen kann.

Darum erkennen wir die Lebensleistung der Menschen im Osten ebenso an wie die Hilfsbereitschaft der Menschen im Westen.

Vieles verlief nicht so, wie man es sich mit der Wiedervereinigung erhoffte. Für viele gingen ihre Geschichte und ihre Kultur scheinbar mit dem Ende der DDR verloren – mitunter auch deswegen, weil man sie selbst nicht ausreichend pflegte; ja, weil sie wohl als überholt und unmodern galt. Doch Fehler sind korrigierbar und sie einzugestehen ist nobler als mit ihnen zu leben. Wir wollen daher, dass Helden wie Sigmund Jähn oder Liedermacher wie Gerhard Gundermann Eingang in die gesamtdeutsche Geschichte finden, um so die Geschichte und die Identität vieler Ostdeutscher in unsere Gesellschaft und Zeit zu integrieren. Noch 28 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es so vieles, das Ost und West aneinander kennen und schätzen lernen können.

Wir müssen einander ernst nehmen und endlich vorurteilsfrei begegnen! Zusammen haben wir viel einzubringen in unsere Republik.

Wir sind laute Demokraten!

Eben weil wir füreinander Verständnis aufbringen, lassen wir nicht zu, dass Rechte die vermeintliche Heimatlosigkeit einiger Bürgerinnen und Bürger ausnutzen. Wir lassen nicht zu, dass der Begriff Heimat zum politischen Kampfbegriff rechter Geschichtsrevisionisten verkommt. Heimat ist, wie auch Religion, eine zutiefst persönliche Angelegenheit, die niemandem aufgezwungen werden kann, aber jedem ermöglicht werden muss – egal woher der Mensch kommt, wen er liebt oder wie er aussieht.

Für uns ist klar: Der Osten hat keinen Platz für Rechtsextreme in alten oder neuen Gewändern. Denn wir berufen uns nicht auf das Recht der vermeintlich Stärkeren oder der Lauteren, sondern auf die universellen Menschenrechte und die Mitmenschlichkeit. Daher wissen wir darum, dass das Gemeinwohl etwas anderes ist als der Wille aller und dass Demokratie ein stetiger und öffentlicher Aushandlungsprozess ist, der unsere Mitwirkung benötigt. Zu lange waren wir leise. Fortan wollen wir laute Demokraten sein und zeigen: Wir sind #DerAndereOsten!

Wir entdecken uns neu!

So wollen wir, dass Westdeutsche den Osten entdecken und dabei einander neu kennen lernen. Es gibt so viele Schätze, die der Osten zu bieten hat: Leipzig kann mit einem reichhaltigen Kulturangebot, mit der friedliche Revolution und der Geschichte der Freiheit und einer hippen, liberalen und jungen Gesellschaft aufwarten. In Wittenberg entdeckt man eine naturbelassene Elbe und die Geschichte des Martin Luther, der die Welt veränderte. In Stralsund entdeckt man die Meereswelt der Ostsee und kann unweit die beeindruckenden Kreidefelsen auf Rügen erkunden. Ja, mit etwas Glück findet man sogar Bernsteine. In Brandenburg kann man ausspannen, die wundervolle Wasserlandschaft genießen und Loriots Waldmöpse entdecken, der 1923 dort geboren wurde. Mit Berlin ist auch eine Weltstadt jederzeit schnell erreichbar. Der Wanderlust kann man auf dem Hexentanzplatz, der Roßtrappe und den Brocken im Harz frönen und wer auf Festivals steht, wird auf der Fusion an der Müritz oder dem Melt im Ferropolis in Gräfenhainichen abgehen, um nur einige zu nennen. Nicht zu vergessen ist auch Europas Kulturhauptsstadt 1999 Weimar, in der Goethe und Schiller ihre Wirkungsstätte hatten.

#DerAndereOsten hält für alle Überraschungen, Erholung, Spaß und Kultur bereit! Im anderen Osten, darf sich jeder eingeladen fühlen und ist jeder willkommen!

Wir sind Gestalter!

Wir begreifen uns nicht als Empfängerinnen und Empfänger politischer Entscheidungen, sondern als Gestalter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. In den Mittelpunkt wollen wir die Vorteile unserer Städte und Dörfer stellen und Möglichkeiten aufzeigen, unseren Osten lebenswürdiger zu machen. Mit Selbstbewusstsein und Zuversicht wollen wir, gerade in Zeiten der Digitalisierung, Chancen nutzen, die uns die Freiräume des Ostens geben: Gute Zuganbindungen an deutsche Großstädte, preiswerte Mieten für Geschäftsräume bzw. Wohnungen, mitunter gute Glaserfaserkabelanschlüsse. Hier braucht es als Gründerin oder Gründer nicht viel: Nur ein paar Euro und eine gute Idee. Gerade die Digitalisierung kann für den Osten ein einlösbares Versprechen bilden.

Wir sind digital und lokal!

Darüber hinaus wollen wir jedes Dorf und jede Stadt auch ins Digitale holen. In Zeiten einer unübersichtlichen Globalisierung bilden lokale Nachrichten einen Anker der Entschleunigung. Ob die Situation in der Kita, die schlechte Situation der Kreisstraße oder das wundervoll organisierte Dorffest: Es ist unsere Aufgabe diese Geschichten zu erzählen und zu zeigen, dass Probleme nicht nur persönlich, sondern auch strukturell sein und wir einander Lösungen dazu anbieten können.

Das Digitale schafft hier neue Chancen sozialen Zusammenhalt zu organisieren. Hier müssen wir zusammen Ideen entwickeln.

Wir sind #DerAndereOsten

#DerAndereOsten ist eine Aufgabe, die uns alle angeht. Wir stehen in der Verantwortung unsere Republik vor der weiteren Spaltung zu bewahren. Dafür müssen wir jetzt selbst aktiv werden. Beteiligt euch, schreibt in die Kommentare, nutzt den Hashtag und formuliert was ihr euch für den Osten oder auch den Westen wünscht, was euch freut, was wir besser machen müssen, denn nur wenn wir im Dialog bleiben, können wir Zusammenhalt organisieren und unsere Demokratie stärken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Krabbes

Blogger & Speaker zu Digitalisierung & Demokratie.twitter: @stefankrabbes

Stefan Krabbes

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