Auf Vorrat nachgegeben

Internetsperren Die Anti-Zensur-Aktivisten feiern: Die Koalition will das Zugangserschwerungsgesetz nun endgültig zurücknehmen. Die FDP könnte die Einigung teuer erkauft haben

Wenn Christian Bahls vom Verein "Missbrauchsopfer gegen Internetsperren" heute mit einem Journalisten spricht, sagt er zum Schluss gerne: "Vielen Dank, dass Sie über das Thema berichtet haben." Bahls Freude hat einen Grund: Er erfährt nach zwei Jahren Engagment etwas, was nicht vielen Bürgerrechtlern vergönnt ist - einen Erfolg auf ganzer Linie.

Die Spitzen der Regierungskoalition haben sich darauf geeinigt, das Zugangserschwerungsgesetz komplett zurückzunehmen. Fortan soll das Bundeskriminalamt (BKA) alle Energie darauf verwenden, Webseiten mit Kinderpornos zu löschen, anstatt bloß ein leicht umsurfbares Stoppschild vor sie zu setzen. Selbst die Vereinbarungen zwischen dem BKA und fünf großen Internet-Providern, die vor der Verabschiedung des Gesetzes ausgehandelt worden waren, sollen nicht wieder in Kraft treten. Die Verträge sollten damals eine - wenn auch zweifelhafte - Rechtsgrundlage für Internetsperren bilden, ohne dass es ein entsprechendes Gesetz gab.

Damit haben sich neben Bahls all jene durchgesetzt, die zunehmend professionell gegen den Schildbürgerstreich der früheren Familienministerin Ursula von der Leyen vorgegangenen sind, on- wie offline, in Petionen, Demonstrationen und zahllosen Diskussionen. Der Erfolg der Aktivisten geht darüber hinaus, dass sie die Gefahr einer jederzeit erweiterbaren Zensurverfahrens gebannt haben. Sie haben gezeigt, wie politische Netzinitiativen ihren Einfluss über ihre Internet-Peergroups hinaus erweitern können. Und das selbst bei komplizierten Themen, die gerne von Populisten besetzt werden.

Erfolge kosten etwas

Christian Bahls ist inzwischen freilich abgeklärt genug, um zu wissen, dass es in der Politik selten etwas umsonst gibt: "Ich gehe davon aus, dass die Union Rücksicht auf die gegenwärtige Schwäche der FDP genommen hat. Die brauchen schließlich gerade dringend einen Erfolg". Zu Ende gedacht bedeutet das: Um jetzt schnell positive Schlagzeilen zu erzeugen, mussten die Liberalen den Unionspolitikern auf anderen Gebieten nachgeben.

Die wahrscheinlichste Variante ist, dass die FDP ihren Erfolg mit Zugeständnisse bei der Vorratsdatenspeicherung erkaufen musste. Die nämlich braucht der neue CSU-Innenminister Friedrich, um wiederum das Law-and-Order-Profil seiner Partei für die kommende Bundestagswahl zu schärfen. Hinzu kommt, dass sich FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger nicht sicher sein kann, dass die Regierung Merkel die von der EU vorgeschriebene Mindestspeicherfrist von sechs Monaten in Brüssel überhaupt kippen will.

Christian Bahls jedenfalls hielte einen Deal "Internetsperren gegen Vorratsdatenspeicherung" zwar für nicht schön, doch mit einer Zensurinfrastruktur könne man "im Zweifel mehr Schaden anrichten als mit Vorratsdaten". Schließlich könnten Internetsperren die politische Kommunikation der Bürger im Ernstfall quasi präventiv erschweren. Für eine Vorratsdatenanalyse hingegen müsse Kommunikation immer schon stattgefunden haben.

Zwar bestreitet der FDP-Netzpolitiker Manuel Höferlin, dass die Vorratsdatenspeicherung in den Verhandlungen um die Netzsperren eine Rolle gespielt haben. Dennoch haben sich die Möglichkeiten der FDP, ein neues Vorratsdatengesetz zu entschärfen, nun verschlechtert. Datenschützer sollten das aufhorchen lassen. Schließlich wird jede Möglichkeit, aussagekräftige Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile fast aller Bürger zu erstellen, die Unbefangenheit politisch Aktiver nicht gerade erhöhen. Darauf zu vertrauen, dass sich die FDP schon für sie einsetzen wird, wäre jedenfalls grob fahrlässig.

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