Es wäre falsch zu behaupten, dass ihr erster Auftritt auf der großen politischen Bühne lautlos verlaufen ist. Aber: „Ich war zu leise“, sagt Susanne Graf, 19, jüngste Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus und einzige Frau in der Fraktion der Piratenpartei. Ende Oktober hat sich das Berliner Landesparlament konstituiert. Grafs Rolle dabei war, dass sie als jüngste Abgeordnete als erste die Namen der anwesenden Abgeordneten aufrufen musste, um die Beschlussfähigkeit des Parlaments festzustellen. „Man hat mir dringend ans Herz gelegt, ganz nah ans Mikrofon zu gehen“, sagt sie. Aber so richtig viel verändert hat das auch nicht.
Nicht lautlos, aber recht leise. Wenn es bis Weihnachten nicht noch zu einem politischen Paukenschlag kommt
hlag kommt, wird das auch die Bilanz der ersten 100 Tage der Piratenpartei in einem deutschen Parlament sein. Zwei Große Anfragen an die Landesregierung haben die 15 Neupolitiker bisher auf den Weg gebracht, eine zur Online-Durchsuchung und eine zur Copyright-Überwachung in Schulen. Ansonsten bildeten sich die Piraten jeweils Meinungen zu den Anträgen der anderen Parteien, kündigten eine Organklage gegen die Geschäftsordnung des Parlaments an und stritten über den Wahlmodus zu ihrem Fraktionsvorsitzenden im Speziellen und über die Form ihrer Arbeit im Parlamentsbetrieb im Allgemeinen. Form ist wichtig für die Piraten, und besonders wichtig ist es für die Wirtschaftsmathematik-Studentin Susanne Graf: „Wir sind hier in einem Bürokratieapparat, den wir erst einmal verstehen müssen“, sagt sie. Doch das ist nicht das Einzige, was sie lernen will. Und sie weiß: Es ist auch nicht das Wichtigste.Die Jungpiratin Graf ist ausgezogen, um die Politik zu erlernen. Drei Monate nach der Wahl sitzt sie nun in einem eigenen Büro im Abgeordnetenhaus. Aber dass sie in der Politik angekommen wäre, behauptet sie selbst nicht. Die Regale sind immer noch so kahl wie am Anfang. Gerade einmal ein paar Sticker, Fähnchen, Ballons und Flyer liegen darin. Wenn sich mal ein Sympathisant in den stillen Flur im vierten Stock des Parlaments verirren sollte, kann sie ihm gleich etwas mitgeben. Oft ist das bisher aber noch nicht vorgekommen.Zurzeit hat Graf ohnehin nicht so viel Lust auf andere Leute. Sie war krank, es ist ihr erster Tag nach einer Weile im Bett. Es war viel in den vergangenen Wochen. Zu viel. Jetzt bremst der Körper. Draußen hat sich die Herbstsonne erst einmal verabschiedet, und drinnen verteilen sich leere Zwei-Liter-Wasserflaschen über den Raum. Sie muss viel trinken, hat ihr Arzt gesagt.Erstes SkandälchenSeit Ende Oktober hat sich dem Inventar einzig ein Adventskalender hinzugesellt. Das Bild zeigt lauter kleine Wichtel, die emsig um einen Weihnachtsbaum herumwuseln. Hinter jedem Papptürchen verbirgt sich ein Stück Schokolade. Der Kalender sieht noch völlig unberührt aus. „Das täuscht!“, sagt Susanne Graf. „Ich mache die alten Türen immer zu. Das würde ja sonst das schöne Bild zerstören.“Das Bild für die Öffentlichkeit. Inzwischen wird den Piraten nicht mehr jeder Faux-Pas als liebenswertes, authentisches Anderssein ausgelegt. Besonders kritisch sind jene Anhänger, die große Hoffnungen in das Versprechen gesetzt haben, die Piraten würden sich auch nach der Wahl nach den Meinungen der Wähler richten.Wie schmerzhaft das sein kann, hat Graf bei ihrer Suche nach einem persönlichen Mitarbeiter erfahren. Laut Abgeordnetengesetz kann jeder Parlamentarier für 10 Stunden die Woche einen Assistenten einstellen, der die Koordination des Büros übernimmt, E-Mails beantwortet und Vorlagen kopiert. Susanne Graf wollte nicht lange suchen und stellte flugs Christopher Lang ein, der Pressesprecher der Piraten-Bundespartei ist und mit dem Graf in Berlin-Mahlsdorf zusammenlebt.Zwar verbietet das Gesetz lediglich die Anstellung von eingetragenen Ehe- und Lebenspartnern. Doch etwas mehr als eine Woche nach Grafs Ankündigung brach über den Kurznachrichtendienst Twitter eine Beschimpfungswelle – ein sogenannter Shitstorm – über die junge Abgeordnete herein. Ausgelöst hatten ihn Sympathisanten, die die Arbeit der Fraktion begleiten und bemerkt hatten, dass auch der Piraten-Abgeordnete Oliver Höfinghoff seine Lebenspartnerin angestellt hatte.Zwar versuchte sich Graf zunächst noch in Blogeinträgen zu erklären, ruderte dann aber schnell zurück – und beendete das Arbeitsverhältnis. Höfinghoff dagegen entließ seine Partnerin nicht. Wie Graf sich damit fühlt, verrät sie lieber nicht öffentlich. Nur soviel: „Wenn ich etwas Emotionales entscheiden muss, dann sehe ich mir die Sache wie ein Mathematiker an.“ Sie will, dass diese Sache jetzt vorbei ist. Und sie nimmt davon auch eine Erkenntnis mit: „Wir Piraten müssen lernen, nicht nur zu überlegen, dass wir das Richtige tun, sondern auch, wie das von außen aussieht, und ich hatte am Anfang keine Bedenken.“Das Verdienst von Graf und ihren Kollegen ist bisher vor allem, dass man ihnen beim Lernen von Politik zusehen kann. Reicht das? Oder haben nun diejenigen Recht behalten, die behaupteten, die Piraten hätten im Parlamentsbetrieb nichts beizutragen? Graf findet, für eine Antwort auf die Frage sei es zu früh. „Ich glaube, die anderen Fraktionen schonen uns noch“, sagt sie. Doch sie weiß auch: Die Schonzeit ist bald vorbei. Schlimm findet sie das nicht. Ihr erstes inhaltliches Projekt soll ein Antrag werden, das Wahlalter auf 16 Jahre herunterzusetzen. Bis auf die CDU haben diese Forderung auch alle anderen Parteien im Programm. Graf grinst: „Wenn das Parlament den Antrag ablehnt, habe ich immerhin etwas, was ich zum Skandal machen kann.“