Der Apparat ist angesprungen

Wikileaks Wer nach den Konsequenzen der Irak-Protokolle fragt, sollte sich nicht nur auf die politischen und juristischen Folgen konzentrieren

Eine der häufigsten Reaktionen auf die Veröffentlichung der fast 400.000 US-Feldberichten aus dem Irak durch Wikileaks ist wahr – und beruht doch auf einem Irrtum. Sie lautet: Es stehe ja nichts grundlegend Neues darin, nichts, was das öffentliche Bild vom Irak-Krieg wesentlich verändern würde. Wahr daran ist, dass es niemanden mehr erstaunen sollte, dass der Versuch, Krieg im Allgemeinen und den Irak-Krieg im Besonderen zu „zivilisieren“, gescheitert ist. Und um den humanitären Anspruch des Irak-Feldzugs zu dekonstruieren, ist es zu spät: Das haben spätestens die Bilder aus Abu Ghraib getan.

Um zu sehen, warum das Abwiegeln der Veröffentlichung dennoch auf einem Irrtum beruht, muss man nicht sarkastisch werden wie Wikileaks-Gründer Julian Assange, der auf eine Frage des US-Talkmasters Larry King antwortete: „Natürlich ist das für die Leute im Pentagon nichts Neues, die wussten die ganze Zeit davon.“ Es genügt, wenn man bedenkt, dass im Krieg Menschen handeln, schießen, töten, sterben. Und für Täter wie Opfer macht es durchaus einen Unterschied, ob ihre Taten und Schicksale öffentlich dokumentiert sind oder auf einer Festplatte vergessen werden. Soll eine Verfolgung der Kriegsverbrechen auch nur theoretisch möglich werden, kommt es auf eine nicht tilg- und nicht hintergehbare Quelle an, auf die sich Klagen stützen können. Eine solche immerhin bieten die Irak-Protokolle nun.

Doch auch wenn – wie zu erwarten – die Veröffentlichung zu keinem politischen Kurswechsel führen und selbst wenn – wie zu befürchten – die Klageflut ausbleibt: Für einen Akteur ist die Veröffentlichung jetzt schon ein derartiges Desaster, dass er Konsequenzen ziehen wird. Es ist der Militärapparat selbst.

Geheimes in der Hosentasche

Sollte das Gerücht stimmen, dass der Wikileaks-Informant die jetzt veröffentlichten Kriegsberichte auf einer Lady-Gaga-CD herausgeschmuggelt hat, dann ist das nicht so sehr wegen seines Musikgeschmacks interessant. Erstaunlich ist vielmehr die Tatsache, dass die Computer-Systemeinstellungen des US-Militärs es zulassen, dass solche Datenmengen überhaupt auf CD gebrannt und dann in der Seiten-Tasche der Uniformhose mitgenommen werden können – um sie dann mühelos via Wikileaks einem weltweiten Publikum zuzuspielen.

Es wäre naiv zu glauben, die US-Streitkräfte würden nichts unternehmen, um die Wiederholung einer solchen Schmach zu unterbinden. Wer nach den Konsequenzen der Veröffentlichung fragt, darf seinen Blick also nicht nur auf die politischen und juristischen Folgen konzentrieren, sondern muss auch die Veränderungen im US-Militärapparat selbst beachten. Und wie die aussehen könnten, darauf gibt es bereits erste Hinweise:

Die Öffentlichkeitsarbeit. Schon im Vorfeld der jetzigen Publikation kündigte das Pentagon an, eine 120 Mitarbeiter starke Gruppe abzustellen, um die Auswirkungen der Wikileaks-Veröffentlichung zu kon­trollieren. In Zukunft aber wird womöglich nicht Begrenzung von Informationen, sondern deren Maximierung zu den bevorzugten PR-Strategien des Militärs gehören. Wenige Tage vor dem Auftauchen der Irak-Protokolle jedenfalls stellte das Pentagon selbst Listen der „bedeutsamen Ereignisse“ im Irak aus der Zeit 2004 bis 2007 ins Netz. „Schon heute produziert das US-Militär täglich eine Fülle von Mitteilungen und Bulletins, die von einem Einzelnen nicht mehr auszuwerten ist“, sagt Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit. Sollte der Informationsfluss noch breiter werden, schmälert das auch die publizistische Wirkung von relevanten Neuigkeiten.

Der Geheimschutz. Nach den Veröffentlichungen von Wikileaks aktualisierte die US-Armee nach 17 Jahren ihre Dienstanweisung zum Umgang mit Spionagefällen. Künftig sind Armeeangehörige verpflichtet, schon den Verdacht auf das Durchsickern von Geheimmaterial zu melden. Außerdem wird in der Anweisung zum ersten Mal die Weitergabe von Dokumenten an die Medien als Bedrohung genannt.

Die Technik. Möglich, dass sich nach der Veröffentlichung der Irak-Protokolle nun auch die Analyse-Ausstattung des US-Militärs verteuert. „Offenbar hat das Militär bisher selbst sensible Bereiche mit handelsüblichen Computersystemen ausgestattet“, sagt Otfried Nassauer. Die seien zwar günstiger als Spezialanfertigungen, bergen aber auch mehr Gefahren.

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