Die anderen sind schuld

Botschaftsdepeschen "Wir hätten nichts anders machen können": Julian Assange verteidigt sich gegen Kritik an Wikileaks' Sicherheit - und geht zum Gegenangriff über

Julian Assange hat Kritik an der Sicherheit von Wikileaks zurückgewiesen. "Wir hätten nichts anders machen können", sagte Assange in einem Video-Interview auf der Medienwoche der Funkausstellung IFA in Berlin. Der Freitag hatte vor zwei Wochen über eine öffentlich zugängliche Datei mit unredigierten US-Botschaftsdepeschen im Internet berichtet, die sich leicht entschlüsseln lässt. Die Datei enthält zahlreiche namentlich oder anderweitig identifizierbare Informanten der US-Botschaften.

Assange machte für dieses Leck vor allem den Reporter David Leigh des britischen Guardian verantwortlich, mit dem Wikileaks als Medienpartner zusammengearbeitet hat. Leigh hat ein Passwort veröffentlicht, das er von Assange für die Arbeit an einem Depeschen-Satz erhalten hatte. "Ohne die Veröffentlichung des Passworts wäre das alles nicht passiert", sagte Assange am Dienstag. Der Guardian habe nie gefragt, ob er das Passwort veröffentlichen dürfe. Leigh bestreitet, bei der Veröffentlichung des Buches gewusst zu haben, dass es sich bei der veröffentlichten Phrase um ein Master-Passwort handelt, das nicht nur den Datensatz für den Guardian, sondern auch andere, frei im Internet flottierende Kopien der Wikileaks-Rohdatei lesbar macht.

Auf die Frage, ob Wikileaks seine eigenen Standards zur Begrenzung von Schäden Unschuldiger eingehalten habe, erinnerte Assange an die Situation der Organisation im Spätherbst 2010: "Es gab das Risiko, dass es überhaupt keine Veröffentlichung geben würde. Es gab ein 120 Mitarbeiter starkes Team der US-Regierung, die Aufforderung, dass wir unser Material komplett zerstören sollten oder dass wir dazu gezwungen würden. Und ich selbst wurde im Dezember ins Gefängnis gesteckt."

Ist doch gar nicht so schlimm

Das US-Außenministerium habe damals eine Warnung an seine Informanten geschickt, um sie zu warnen. Daher sei inzwischen mit keinen größeren Schäden durch die unredigierte Veröffentlichung der Botschaftsdepeschen zu rechnen, obwohl er das auch nicht ausschließen könne. Noch vergangene Woche hatte Assanges deutscher Anwalt, Johannes Eisenberg, dem Wikileaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg vorgeworfen "möglicherweise das Leben und die rechtlichen Interessen Dritter" zu gefährden, weil der auf die Sicherheitslücke bei Wikileaks hingewiesen hatte.

Assange erneuerte am Dienstag allerdings andere Vorwürfe gegen Domscheit-Berg, ohne ihn direkt zu nennen: Wikileaks habe die Depeschen nun unredigiert veröffentlicht, weil ein "Individuum in Berlin", das Passwort und den Ablageort der Datei im Internet Medienorganisationen gezeigt habe, um "persönlichen Gewinn" daraus zu ziehen. Daniel Domscheit-Bergs Konkurrenz-Portal Openleaks bezeichnete Assange "als dunkle Angelegenheit".

Wikileaks hat das US-Außenministerium zwar nicht schon im Februar bei der Veröffentlichung des Passworts durch Leigh informiert. Dies sei jedoch geschehen als der Freitag seine Geschichte über das Sicherheitsleck veröffentlicht habe, sagte Assange: "Sie schienen darüber nicht besonders besorgt. Sie sagten: Wir haben im Dezember unsere Warnung herausgegeben. Was können wir noch mehr tun?"

Zuvor habe Wikileaks den Freitag darum ersucht, keine Details bekannt zu machen. Dies sei in einem ersten Artikel auch nicht geschehen, in einem zweiten allerdings habe der Freitag viel mehr veröffentlicht. Wikileaks sei dann klar geworden, dass das Endergebnis der "Kavallerie-Einstellung" des Freitag und der dänischen Tageszeitung Information - die das Leck anschließend bestätigt hatte -, die unvermeidliche Veröffentlichung aller Kabelnachrichten sei.

"Sehr gefährliche Zwischenzeit"

Eine von ihm selbst veröffentlichte Warnung an die Informanten hielt Assange zu keinem Zeitpunkt für notwendig. "Aus der Perspektive der Schadensbegrenzung und um zu verhindern, dass bestimmte Revolutionen und Reformen versanden könnten" sei es nun aber nötig geworden, die Informationen in unverstellter Form zu veröffentlichen und auch jenen zugänglich zu machen, die in den Depeschen genannt werden, "damit sie wissen, dass und was genau über sie gesagt wurde."

In der "sehr gefährlichen Zwischenzeit", in der das Archiv für jeden Geheimdienst und andere Interessierte zugänglich, aber nicht offiziell von Wikileaks veröffentlicht war, hätten die meisten US-Informanten keinen Zugriff auf das Material gehabt. "Es gab also ein Rennen zwischen den guten und den bösen Jungs", sagte Assange, "und wir mussten uns auf die Seite der Guten stellen, damit wir unserer Mission treu bleiben."

Da sich Wikileaks inzwischen einen Namen gemacht habe, habe er keine Sorge, dass Whistleblower auch in Zukunft Dokumente bei Wikileaks einreichten.

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