Eine in den vergangenen Tagen häufig verbreitete Unwahrheit lautet: Klaus Wowereit bleibt trotz des Flughafendebakels Regierender Bürgermeister von Berlin, weil die SPD derzeit niemand geeigneten für das Amt aufbieten kann. Dabei sitzt eine mögliche Nachfolgerin auf der Senatsbank im Abgeordnetenhaus nur wenige Stühle von ihm entfernt. Es ist die Arbeitssenatorin Dilek Kolat, 45 Jahre alt, kinderlos, verheiratet, geboren im türkischen Kelkit, aufgewachsen in Berlin-Neukölln und künftig womöglich die erste Landesregierungschefin Deutschlands mit Migrationshintergrund.
Auch wenn die Berliner SPD noch zögert und der angeschlagene Chef im Roten Rathaus den Misstrauensantrag der Opposition überstanden hat: Er wird die nächsten Monate noch auf dem Platz stehen, aber für ihn ist das Spiel wohl bald vorbei. Er nennt sein Verbleiben im Amt eine Pflicht, betont, dass er auch vor schwierigen Aufgaben nicht weglaufe. Was man halt als Politiker so sagt, wenn man weiß, dass mit dem Amt es langsam zu Ende geht.
Die Suche nach dem nächsten Regierungschef der Hauptstadt betreiben jetzt andere, allen voran der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß und der Fraktionschef Raed Saleh. Beide gehören zu den innerparteilichen Konkurrenten Kolats und würden sich im Zweifel wohl lieber selbst als Kandidat ins Spiel bringen. So wird verständlich, dass Kolat bisher zwar oft in der Presse erwähnt, aber kaum als aussichtsreiche Kandidatin gehandelt wird. Sie selbst weiß, dass man sich in einer solchen Situation am besten ruhig verhält und den Anschein wahrt, keine sehr guten Karten zu haben – was sich dann schnell ändern kann.
Dilek Kolat verkörpert den sozialdemokratischen Traum eines Menschen, der die Nachteile seiner Herkunft durch harte Arbeit ausgleicht, wenn der Staat ihm nur die Möglichkeit dazu gibt. 1967 geboren, kam Kolat als drei Jahre altes Kind mit ihren Eltern nach Berlin. Sie selbst gibt an, dass erst ein Märchenbuch von Nachbarn sie in Kontakt mit der deutschen Sprache brachte. Dass sie das Abitur machen konnte, führt sie gerne auf die Tatsache zurück, dass sie eine Gesamtschule besuchte, Leistungskurse Physik und Mathematik. Anschließend folgte ein Studium der Wirtschaftsmathematik an der Technischen Universität Berlin und eine Stelle bei der Deutschen Kreditbank. Verheiratet ist sie mit Kenan Kolat, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde Berlin. Ihre Qualifikationen halfen Kolat, bei den Sozialdemokraten als Finanz- und Haushaltspolitikerin. Und sicher schaden mathematische Fertigkeiten nicht, auch in der Politik strategisch zu denken und zu handeln.
Selbst ihre Gegner geben freimütig zu, dass Dilek Kolat eine Meisterin des perfekten Augenblicks ist. Sie beherrscht die Kunst, so lange still zu halten, bis sich die anderen selbst aus dem Spiel nehmen. Es ist eine Strategie, die ihr auf der Ochsentour durch die Berliner SPD stets geholfen hat – und die sie jetzt an die Macht bringen könnte.
Zwar machte sie schon früh klar, dass sie bei den Sozialdemokraten mehr werden wollte als ein weiteres Mitglied aus der deutsch-türkischen Community. Zugleich entwickelte sie ein gutes Gespür dafür, wann Kollegen mächtiger waren als sie. Traten die ab, stand Kolat auf und meldete klar ihren Anspruch an: zuerst im Orts-, später dann im Kreisverband.
Das vielleicht beste Beispiel dafür war im vergangenen Jahr eine interne Fraktionsabstimmung über den Mindestlohn für das von Kolat verantwortetes Programm für Langzeitarbeitslose. Fraktionschef Raed Saleh wollte 8,50 Euro durchsetzen, Kolat nur 7,50 Euro. Die Probeabstimmung verlor Kolat mit 19 zu 18 Stimmen – allerdings nur, weil sie sich zusammen mit einer anderen Senatskollegin enthielt. Damit hatte die Senatorin ein leises, aber eindeutiges Signal an den Fraktionschef ausgesendet: Du gewinnst nur, wenn ich es will.
Ausgezahlt werden nach wie vor 7,50 Euro. Und so lautet eine Kritik aus den eigenen Reihen auch: Kolat sei zwar machtbewusst, lasse dabei aber zu viele Enttäuschte zurück, kümmere sich nicht um die Unterlegenen. Innerhalb der Partei wirke sie wenig integrativ. Zugleich vermisst mancher Genosse eine klare inhaltliche Richtung in ihrem Handeln. Man wisse nicht genau, was sie mit der Macht als Regierende Bürgermeisterin anfangen wolle, sie habe keine ausformulierte Vision, in welche Zukunft sich Berlin entwickeln solle. Mehr noch: Kolat sei zweifellos eine gute Strategin, ändere ihre Meinungen aber schnell, wenn sie das persönlich weiterbringe.
Es ist eine Kritik, die Kolat leicht parieren kann. „Frauen präsentieren sich immer über Inhalte, Männer denken mehr darüber nach, wie sie vorankommen“, sagt sie freimütig über die Unterschiede von Männern und Frauen. Zumal die Kritik der Inhaltslosigkeit übersieht, dass sich eine politische Haltung mindestens ebenso aus der Biographie wie aus den formulierten Visionen entwickelt. Aus Berliner Perspektive mag Kolats Eintreten für die doppelte Staatsbürgerschaft und für eine bessere Förderung von ALG-II-Empfängern vielleicht wenig aufregend erscheinen. Auf Bundesebene aber wäre es nach wie vor eine Provokation, die kaum jemand glaubhafter vertreten könnte als sie.
Noch können ihre Parteigenossen Saleh und Stöß ihr gefährlich werden, wenn sich die beiden konkurrierenden Politiker auf einen anderen Kandidaten einigen. Der wäre dann vielleicht nicht der bessere Bewerber, doch durch diesen Zug könnten die beiden Herren ihre Position festigen. Dann wird Dilek Kolat wahrscheinlich abwarten – und schauen, wann sich auf Bundesebene die nächste Möglichkeit ergibt.
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