Die Mär von der Schutzlücke

Strafverfolgung Eine Studie im Auftrag des Justizministeriums zeigt: Vorratsdaten helfen zwar der Polizei kein bisschen, die Polizisten wollen sie aber trotzdem

Wenn Innenpolitiker oder Polizeivertreter beschreiben sollen, was das Urteil des Verfassungsgerichts gegen die vorsorgliche Speicherung von Handy- und Internetdaten in Deutschland anrichtet, dann benutzen sie dafür am liebsten das Wort "Schutzlücke". Sie meinen damit, dass die bislang größten Massenklage vor dem obersten deutschen Gericht ihnen ein Mittel aus der Hand geschlagen hat, um allerhand Straftaten aufzuklären - Mord, Terror oder Kinderpornographie beispielsweise. Der Protest von Bürgerrechtlern, Datenaktivisten und selbst der FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger habe also dazu geführt, dass Daten vielleicht besser, Menschen aber schlechter geschützt seien.

Das ist kein geringer Vorwurf.

Doch nun legt das Justizministerium eine Studie vor, die zeigt: Weder der Start 2008 noch der Stopp der Vorratsdatenspeicherung 2010 hat die Aufklärungsquoten von Straftaten in Deutschland nachweisbar verändert. Auch in der Schweiz, wo seit 10 Jahren Daten auf Vorrat gespeichert werden, arbeite die Polizei nicht systematisch erfolgreicher. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass auf Vorrat gespeicherte Daten in den vergangenen Jahren geholfen hätten, einen Terroranschlag zu verhindern, schreiben die Autoren vom Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht. Auch bei der Aufklärung von Tötungsdelikten sei durch Vorratsdaten keine große Hilfe zu erwarten. Und bei der Bekämpfung von Kinderpornographie stelle sich gar die Frage, ob die für Datenanalyse verwendeten Mittel nicht besser "in anderen Maßnahmen zur Prävention und Repression des Kindesmissbrauchs platziert worden" wäre.

In eigens geführten Interviews mit Kriminalbeamten, stellten die Wissenschaftler fest, dass fast alle "betroffenen Praktiker" die Vorratsdatenspeicherung trotz ihres zweifelhaften Erfolgs befürworteten. Dabei sei allerdings zu beachten, dass die Argumente häufig von Einzelfällen ausgingen, die dann verallgemeinert würden. "Derartige Fälle, sollten sie zweifelsfrei identifiziert werden können, wirken sich aber auf die Gesamttrends nicht aus", heißt es in der Studie. Mit anderen Worten: Eine Schutzlücke existiert nicht.

Am Freitag will das Justizministerium die Studie im Volltext auf seiner Homepage veröffentlichen. Damit wird die Diskussion aber bestimmt nicht enden. Im Gegenteil: Im Sommer will die EU-Kommission vorschlagen, wie die geltende EU-Vorratsdatenrichtlinie geändert werden kann, um der harschen Kritik nicht nur aus Deutschland Rechnung zu tragen. Wenn die Rede von der "Schutzlücke" dann aber einen weniger fruchtbaren Boden vorfindet, gibt es womöglich gar die Chance eine sachliche Debatte zu führen.

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