Ein schwankendes Schiff

Piratenpartei Der Übertritt des Kinderporno-Verdächtigen Jörg Tauss bringt die Piratenpartei in fast unlösbare Schwierigkeiten. Und dann ist da noch die Frage: Wer soll diese Partei wählen?

Jörg Tauss hat sich entschieden, er tritt zu den Piraten über, jener Partei, die sich ein freies Internet auf die schwarze Fahne geschrieben hat. Passt ja auch gut: Hier der langjährige neue-medien-affine SPD-Sprecher für Bildung und Forschung, von Kinderporno-Ermittlungen in seiner Partei politisch neutralisiert. Dort eine Kleinpartei, die nicht nur kampagnenfähige Themen, sondern auch erfahrene und bekannte Personen braucht, um bei der Bundestagswahl einen Achtungserfolg zu erzielen.

Unvoreingenommen betrachtet sind die Piraten auf diesen Erfolg schlicht angewiesen – damit die Wahlkampfkostenerstattung ihr finanzielles Überleben sichert. Dennoch kann man ihnen eine gewisse Unerschrockenheit nicht absprechen. Welche Partei sonst würde einen unter Kinderporno-Verdacht stehenden Politiker derart überschwänglich begrüßen? Es stimmt natürlich, was deren Vertreter seit Freitag wie ein Mantra herunterbeten: dass die Unschuldsvermutung so lange zu gelten hat, wie Jörg Tauss nicht veruteilt ist. Das Problem ist: Mantren – auch solche, die Wahrheiten aussprechen – überzeugen in der Politik selten.

Zugegeben, es ist möglich, dass die Überzeugungskraft der Piratenpartei durch Tauss keinen Schaden nimmt, oder sie sogar an Glaubwürdigkeit gewinnt: wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Tauss schnell von sich aus einstellt. Dann hätten die Piraten an ihrer Spitze ein lebendes Exempel, wie die Kontrolle von Netzinhalten Karrieren zerstören kann.

Sollte das nicht geschehen – wonach es im Moment aussieht –, kann Tauss versuchen, seine Unschuld in einem Prozess bestätigt zu bekommen. Das aber kostet Geld, wovon Tauss im Moment so wenig besitzt, dass er sein Eigenheim zum Verkauf gestellt hat. Am wahrscheinlichsten scheint zurzeit die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße zu sein – was in den Augen der meisten Wähler jedoch einen Schatten auf Tauss' Lebenslauf hinterlassen wird.

Tauss ist Politiprofi genug, um zu wissen, dass er bei der nächsten Bundestagswahl wahrscheinlich kein Mandat erringen wird. Anfang vergangener Woche sagte der 55-Jährige dem Freitag noch: "Ich bin in einem Alter, in dem man nicht unbedingt etwas Neues anfängt". Dass er es sich anders überlegt hat, ist dennoch logisch. Er kann von seinem Übertritt nur profitieren.

Tauss gewinnt mit der Piratenpartei eine leicht nutzbare Plattform für den Kampf um seinen Ruf. Überzeugt er seine neuen Parteifreunde, die Ermittlungen gegen ihn für den Wahlkampf zu nutzen, hat er die Anwaltskosten schon einmal vom Hals. Brachte die Berichterstattung über den Pirate-Bay-Prozess der schwedischen Schwesterpartei bei der Europawahl nicht immerhin neun Prozent? Und sollten die Piraten nach der Bundestagswahl dann noch eine Aufwandsentschädigung für den Bundesvorsitzenden beschließen, käme vielleicht sogar die monatliche Rate für die Hypothek wieder zusammen.

Das Geld dafür hätten die Piraten dann wahrscheinlich sogar. Für die ersten vier Millionen Wählerstimmen erhält jede Partei, die bei einer Bundestagswahl mehr als 0,5 Prozent erringt, 85 Cent pro Stimme. Für jede weitere Stimme gibt es dann noch 70 Cent.

Doch sollte sich die Piratenpartei von plötzlichen Geldflüssen und medialer Aufmerksamkeit nicht täuschen lassen. Ihr stehen programmatische Herausforderungen bevor, welche die Schwierigkeiten bei der Integration der Risikofigur Jörg Tauss weit in den Schatten stellen. Denn um mittelfristig ausreichend Stimmen zu gewinnen, braucht selbst eine Partei wie die der Piraten ein Milieu, aus dem sie vornehmlich ihre Wähler gewinnt. Die jungen, urbanen und netzaffinen Kreativarbeiter scheinen da eine natürliche Zielgruppe zu sein.

Damit die aber nach Abklingen der Anfangseuphorie Sympathisanten bleiben, braucht es mehr als die Forderung nach einem offenen Netz. Es braucht einen Blick dafür, wie sich die Forderung nach einem laxeren Urheberrecht auf die Prekariatsexistenz dieser Menschen praktisch auswirkt.

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