Guerilla meets Business

Anke Domscheit-Berg Die bisherige Grüne und Frauenrechtlerin will zur Bundestagswahl 2013 für die Piraten-Partei kandidieren. Ihr Angebot: ein klares Profil
Auch für Domscheit-Berg ist nun die Schlacht um die Listenplätze eröffnet
Auch für Domscheit-Berg ist nun die Schlacht um die Listenplätze eröffnet

Foto: Johannes Simon/Getty Images

Sie war dann doch eine der ersten. Wie so oft. Nach anfänglichem Zögern hat Anke Domscheit-Berg nun verkündet, dass sie im nächsten Jahr als Piratin für den Bundestag kandidieren will. Damit hat die 44-jährige Unternehmensberaterin das öffentliche Hauen und Stechen um die aussichtsreichen Listenplätze bei den Piraten offiziell eröffnet. Zwar haben vor ihr schon einige Landesvorsitzende ihre Kandidaturen angekündigt, doch wie verbissen die Debatten in den nächsten Monaten werden, wurde vielen wohl nun erst nach der Ankündigung der bekennenden Feministin richtig bewusst.

Anke Domscheit-Berg ist ja erst vor drei Monaten von den Grünen zu den Piraten übergelaufen. Wer sie fragt, was sie im Bundestag erreichen wolle, der bekommt, was es in der Piratenpartei nicht sehr häufig gibt: konkrete Antworten. Der Schutz und die Neutralität des Internets müssten im Grundgesetz verankert, der Bundeshaushalt sollte detailliert und maschinenlesbar veröffentlicht werden. Überhaupt müsse die Regierung durch ein Transparenzgesetz verpflichtet werden, einmal erhobene Daten von sich aus zu veröffentlichen, statt wie bisher nur nach Anfragen: „Von Nebeneinkünften Abgeordneter über ein Lobbyregister bis hin zu Verträgen der öffentlichen Hand mit Dritten – das alles muss öffentlich werden“, sagt Domscheit-Berg.

Informationsfreiheit, Open Government, wie Bürger stärker über das Internet einbezogen werden können – solche Themen schaffen es erst seit Kurzem in die Schlagzeilen. Anke Domscheit-Berg aber beschäftigt sich damit schon lange. Während ihrer Zeit als Mitarbeiterin von Microsoft fing sie an, sich dem Thema zu widmen, organisierte das erste deutsche Government 2.0 Barcamp mit und war bei der Gründung der NGO Government 2.0 Netzwerk Deutschland e.V. federführend mit beteiligt. Im Parlament würde Domscheit-Berg damit also durchaus als Interessenvertreterin in eigener Sache auftreten. Denn inzwischen hat sie sich mit zwei Firmen selbstständig gemacht: eine, die Behörden berät, wie man Bürger stärker einbeziehen kann; und eine andere, die Unternehmen helfen soll, mehr Frauen in Führungsetagen zu bringen.

Als Domscheit-Berg zu den Piraten kam, war das eine Überraschung. Zum einen, weil sie den Grünen immer fest verbunden schien. Zum anderen, weil sie als Frauenrechtlerin bekannt ist. Was will so eine bei den Piraten? Schließlich behaupteten die bis vor Kurzem noch, die Frauenfrage sei bei ihnen keine. Man sei post-gender.

„Was die Gender-Frage angeht, bin ich optimistisch,“ sagt Domscheit-Berg. Inzwischen diskutierten die Piraten offen darüber, wie sie auch ohne Quote mehr Frauen auf Führungsposten bekämen. „Eine Idee ist, andere Frauen dafür anonym vorzuschlagen. So Nominierte bekommen dann per Mail die Info, dass jemand ihnen diese Rolle zutraut. Piratinnen erzählten intern, dass sie sich nur deshalb aufstellen ließen, weil ihnen jemand vorher dieses Vertrauen signalisiert hatte. Diese Erfahrungen wollen wir nutzen.“

Die Fleißigen belohnen oder?

Zu kandidieren ist in keiner Partei einfach. Die Piraten aber nennen ihre Bewerber-Fragestunden schon offiziell „Kandidatengrillen“. Das ist zwar ironisch gemeint, doch in einer Partei, in der selbst Personalkonflikte offen im Internet ausgetragen werden, bedarf es für eine Kandidatur viel Selbstvertrauen. Wie zu erwarten, schimpften auch sofort Kritiker per Twitter über Domscheit-Berg. Die „postengeile Karrieristin“ wolle sich doch bloß die Ochsentour ersparen, hieß es da. Es gibt in der Partei also offenbar noch einiges für Gender-Experten zu tun.

Anke Domscheit-Berg hat für die Piraten zwar noch keine Plakate geklebt, aber anders als andere muss sie sich ihr politisches Profil nicht mehr erarbeiten. So steht ihr Fall auch für zwei Richtungsentscheidungen, die die Piraten in den nächsten Wochen treffen müssen: Wollen sie die Fleißigen belohnen oder diejenigen aufstellen, die den größten Stimmenertrag versprechen? Und: Halten sie es mit Konzernkritikern oder mit solchen, die eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft suchen? Domscheit-Berg steht jedenfalls für Letzteres.

Selbstinszenierung in Fürstenberg

Ihre Kandidatur gibt eine Ahnung von dem, was der Partei nun bevorsteht. Bis zum Bundesparteitag Ende November diskutieren die politisch noch wenig erfahrenen Piraten darüber, wie sie ihr Grundsatzprogram erweitern wollen. Parallel dazu möchten sie die Landeslisten für die Bundestagswahl aufstellen. Ob die Piraten Anke Domscheit-Berg wirklich in den Wahlkampf schicken, entscheidet sich zum Beispiel Ende Oktober. Jetzt schon aber ist klar, dass sich Richtungs- und Personaldebatten überlagern werden.

Die gebürtige Brandenburgerin ist mit ihrem Mann, dem Wikileaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg, erst vor Kurzem nach Fürstenberg an der Havel gezogen. In ihrem Wohnhaus soll bald ein Veranstaltungszentrum mit Seminarräumen, riesiger Gemeinschaftsküche und noch größerem Garten entstehen. Noch ist es nicht ganz fertig, aber am Schluss soll es so sein, wie sich Domscheit-Berg die perfekte Verbindung von Natur, Mensch und Technik vorstellt: ein ruhiger Ort, an dem Leute zusammenkommen, um über neue Projekte zu beraten. Im Garten hat sie nicht wenigen Journalisten zuletzt präsentiert, was sie unter Politik versteht: die Auswüchse der Natur einhegen und den Boden so bestellen, dass das Gute von selbst wächst. Und wenn etwas schon schön ist, ein Baum etwa, dann verschönert es die „Guerilla-Strickerin“ eben noch ein bisschen weiter – und strickt aus Wollresten einen bunten Überzug für den Stamm.

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