Kürzlich habe ich entdeckt, dass Amazon meine Bestellungen bis ins Jahr 2000 zurückverfolgen kann. Das erschreckte mich, weil es mir klarmachte, was sich der Online-Händler alles von mir merkt. Andererseits war es schön, weil ich beim Durchklicken viele Dinge entdeckte, die ich längst vergessen hatte. Wer kann sich schon an Weihnachtsgeschenke erinnern, die er vor fünf Jahren gekauft hat?
Nachdem ich die ARD-Doku Ausgeliefert – Leiharbeiter bei Amazon gesehen hatte, war meine erste Frage: Hätte ich das alles bestellt, wenn ich damals davon gewusst hätte? Von den Niedriglöhnen, den chronisch überfüllten Werksbussen, der Hire&Fire-Mentalität, dem Trick, Ausländer zu beschäftigen, weil die sich schlechter gegen Schikanen wehren können ... Und sofort drängte die nächste Frage nach: Kann ich jetzt noch bei Amazon einkaufen?
Ich habe einen Boykott-Reflex. Wenn ich von schlechten Arbeitsbedingungen in einer Firma höre, dann will ich deren Produkte unwillkürlich meiden. Lidl, Apple, Schlecker, und so ziemlich alle Spargel- und Gurkenbauern Deutschlands sind so schon mal auf meine rote Liste gekommen. Inzwischen habe ich aber gemerkt, dass ich es mir damit zu einfach mache. Mein Boykott-Reflex dient vor allem mir selbst, Konsumverzicht beruhigt mein Gewissen. Von meiner Verantwortung als Verbraucher kann ich mich damit nicht freikaufen.
Im Fall von Amazon würde selbst ein monatelanger Käuferstreik nur eine kleine Umsatzdelle in der 6-Milliarden-Bilanz erzeugen – und das in der umsatzschwächsten Zeit des Jahres. Der Konzern würde vielleicht mit einer symbolischen Aktion reagieren, etwa die Spanierin aus dem ARD-Film fest anstellen, oder den Einsatz von mehr Schichtbussen veranlassen. Dagegen wäre nichts zu sagen, aber für das Gros der Arbeiter bliebe alles beim Alten. Kein Wunder, dass selbst Gewerkschafter von einem Boykott wenig halten.
Die Fixierung auf das Einkaufsverhalten hat einen weiteren Nachteil. Sie macht unkreativ. Wenn ich mich ständig frage, wie ich mit Konsum die Welt verbessern kann, lenke ich von der entscheidenden Frage ab: Was hilft wirklich? Dabei gibt es da einiges, es hat nur nichts mit Einkaufen zu tun: Briefe an die Geschäftsleitung schreiben, die Petition des Amazon-Betriebsrats auf change.org/ausgeliefert unterzeichnen, den Kundenservice mit Protestmails blockieren. Langfristig am effektivsten wäre freilich ein Mittel, vor dem viele Onliner zurückschrecken: in eine Gewerkschaft eintreten, selbst wenn man die bisher immer so komisch fand.
AUSGABE
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 8/13 vom 21.02.20013
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