Im Gespräch Zwei Netzpolitik-Aktivisten der ersten Stunde beklagen inhaltliche Defizite bei den Piraten und sehen Aufklärungsbedarf bei der Bevölkerung
Den etablierten Parteien war das Internet lange Zeit ziemlich egal. Jedenfalls das hat sich mit den Piraten geändert
Foto: Adam Berry / Getty Images
Der Freitag: Was erstaunt Sie an den Piraten am meisten?
Markus Beckedahl: Ich bin verwundert, dass sie schon so lange als riesige Leinwand funktionieren. Medien, Gegner und jeder, der sich für Netzpolitik interessiert, projiziert seine Wünsche auf diese Partei. Aber das macht denen offenbar überhaupt nichts aus.
Was sehen Sie denn in denen?
Beckedahl: Ich sehe in ihnen eine Partei, in die viele, vor allem junge Leute, die Hoffnung setzen, dass dort die Demokratie wiederbelebt wird. Und ich sehe den Willen, neue Wege auszuprobieren, die die traditionellen Parteien aufgrund ihrer gewachsenen Strukturen gar nicht beschreiten können. Ich frage mich allerdings zugleich, warum es den Piraten als Internetpartei selbst fünf Jahre nach ihrer Gründung nicht gelingt, gute
iten können. Ich frage mich allerdings zugleich, warum es den Piraten als Internetpartei selbst fünf Jahre nach ihrer Gründung nicht gelingt, gute Netzpolitik zu machen.Sie wollen den Piraten Dilettantismus vorwerfen? Ausgerechnet bei der Netzpolitik, deren Kerngeschäft also.Falk Lüke: Politik will Stück für Stück gelernt sein. Klassische Politiker eignen sich dieses Wissen im Laufe ihrer langen Mitgliedschaft in den Parteien und den Ämtern an, die sie bekleiden. Die Piraten wurden so nicht sozialisiert. Jetzt müssen sie diese Entwicklung im Zeitraffer nachholen – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. In den klassischen Parteien gibt es einen langjährigen Ausleseprozess, bei den Piraten passiert der verdichtet. Unter diesem Druck entstehen unweigerlich Konflikte. Und die Medien berichten über solche Kämpfe natürlich gerne.Und diese Entwicklung gefährdet die Fortschritte in der Netzpolitik?Beckedahl: Das wäre zu hart. Der Erfolg der Piraten motiviert die anderen Parteien ja, Netzpolitik als Thema ernst zu nehmen. Schließlich geht es plötzlich um Wählerstimmen. Das hat dazu geführt, dass einige der anderen Parteien in manchen Bereichen sogar progressivere und durchdachtere Positionen vertreten als die Piraten. Das ist so bei der Linken in der Urheberrechtsdebatte oder bei den Grünen in einigen Bürgerrechtsfragen. Bei den Piraten gibt es viele kluge Menschen. Aber die sind bisher noch in Strukturdebatten gefangen.In Ihrem Buch über die digitale Gesellschaft wählen sie einen anderen Ansatz als die Piraten. Sie wollen den Menschen das Internet zunächst einmal erklären. Aber ist das schon Politik?Lüke: Der Aufstieg der Piraten wäre ohne die Ignoranz der etablierten Parteien gegenüber dem Netz unmöglich gewesen. Dadurch haben die richtig Zulauf bekommen. Ein Beispiel: Die Grünen haben 2009 nicht gegen die Internetsperren gestimmt, vielmehr hat sich ein Drittel der Bundestagsabgeordneten enthalten. Das lag auch daran, dass sie nicht gut genug über die Folgen des Sperrgesetzes informiert waren. Für die Internet-Community war das inakzeptabel. Viele haben sich enttäuscht von den Grünen abgewendet.Vielleicht wollen viele User ein anderes Netz als das heutige – weniger anarchisch, übersichtlicher, sicherer?Beckedahl: Es gibt natürlich Leute, denen nicht gefällt, wie das Internet im Moment funktioniert, und die wünschen sich eine andere Entwicklung. Manche Wirtschaftslobbyisten fühlen sich zum Beispiel durch die Transparenz, die das Netz ermöglicht, bedroht.Lüke: Obwohl man sagen muss: Die haben das Netz durchaus verstanden!Beckedahl: Natürlich muss man Politiker, die das Potenzial der digitalen Gesellschaft nicht erkennen, aufklären. Die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung sind vielen nicht bewusst, weil sie sich damit nicht beschäftigt haben. Es genügt eben nicht, immer nur zu schimpfen: Ihr habt das Internet nicht verstanden. Wir müssen diese Menschen mitnehmen.Lüke: Das funktioniert nach dem Prinzip von Fördern und Fordern. Einerseits stellt der Verein Digitale Gesellschaft Forderungen, wie eine bessere Netzpolitik aussehen könnte, andererseits agiert er als eine Art Bildungswerk.Dann klären Sie doch einmal auf: Was ist Netzpolitik überhaupt?Beckedahl: Netzpolitik ist der Bereich, in dem ausgehandelt wird, wie die Politik das Internet verändert und wie das Internet die Politik verändert.Und warum sollten diese Fragen einem Menschen wichtig sein, der mit Computern nichts anfangen kann?Beckedahl: Das Internet hat einen disruptiven Einfluss auf die Gesellschaft. Es verändert zum Beispiel traditionelle Demokratien und ermöglicht neue Kampagnen- und Beteiligungsformen.Lüke: Digitale Geräte sind inzwischen in fast alle Lebensbereiche eingezogen.Beckedahl: Selbst wer keinen Computer besitzt, ist unmittelbar von der Digitalisierung betroffen. Durch sie verändert sich unser Zusammenleben, wir kommunizieren zum Beispiel anders.Lüke: Und es gibt ja im Grunde heute keinen Haushalt mehr, in dem keine Computer arbeiten – auch wenn die nicht so aussehen. Wer sich einen Flachbildfernseher kauft, bekommt ein Gerät, dass von Mikroprozessoren gesteuert wird, ebenso, wer ein Handy hat, oder wer sich einen neuen Stromzähler anschafft. Und selbst wenn ich auf all das verzichte: Heute werden selbst Ampeln digital gesteuert, genauso die Stromversorgung. Es gibt heute niemanden mehr, der nicht von digitaler Technik betroffen ist.Das kann einem ja auch Angst machen. Verstehen Sie denn, wie die ganzen Techniken funktionieren? Müssen wir das?Beckedahl: Ich verstehe natürlich nicht im Detail, wie jede Technologie funktioniert. Das kann niemand. Aber viele verstehen einzelne Technologien. Wir stehen vor der Herausforderung, uns nicht abhängig zu machen vom Urteil der Hersteller.Warum?Beckedahl: Das Netz und die Geräte sind in Zukunft eine kritische Infrastruktur von Demokratie, Wirtschafts- und Gesellschaftsleben. Wir müssen uns auf sie verlassen können, darauf, dass sie verlässlich und unseren Standards entsprechend funktioniert.Lüke: Wichtig wäre etwa, dass jeder nachschauen kann, wie genau seine Geräte und die Software dafür funktionieren. Nur dann kann eine Gesellschaft wirksam kontrollieren, was mit ihr geschieht. Das klingt vielleicht banal, ist es aber nicht: Bei vielen Geräten und Anwendungen unseres Alltags ist so etwas nicht erlaubt. Das Patent- und Urheberrecht verhindern es.Sie wollen Zugang zu jedem Gerät? Die Industrie wird sich bedanken ...Beckedahl: Selbstverständlich wollen wir gekaufte Geräte so nutzen, wie wir es entscheiden. Kluge Industrien werden sich das zunutzen machen und auf Offenheit setzen.Was sind für Sie die wichtigsten netzpolitischen Themen?Beckedahl: Zum Beispiel die Debatte um das Urheberrecht und die Vorratsdatenspeicherung. Unser Urheberrecht ist nach Prinzipien ausgerichtet, die teilweise vor mehr als 100 Jahren aufgestellt wurden – und auf analoge Technologien zugeschnitten sind. Solange es der Digitalisierung nicht Rechnung trägt, wird es noch Generationen unter den Nägeln brennen. Einen neuen Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung erwarte ich vor der Bundestagswahl nicht. Schließlich ist dieses Thema das letzte, was die FDP als Erfolg im Wahlkampf präsentieren kann. Spannend wird es aber, wenn es zu einer großen Koalition kommen sollte. Bei CDU und SPD gibt es viele, die die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen wollen.Wird Netzpolitik in der Bundestagswahl überhaupt eine Rolle spielen?Beckedahl: Bei der vergangenen Wahl wurde klar, dass Netzpolitik für einen gewissen Prozentsatz wichtig ist. Allein die Piraten hatten zwei Prozent der Stimmen geholt, und sie traten nicht allein mit Netzpolitik an. Allerdings geht es nicht nur um diese Wähler direkt.Sondern? Im Bundestagswahlkampf 2009 hat sich auch gezeigt, dass Parteien, die sich nicht für bürgerrechtsfreundliche Netzpolitik einsetzen, online nur schwer mobilisieren können. Nicht, weil alle Menschen mit Internetanschluss an Netzpolitik interessiert wären, sondern weil man online Multiplikatoren braucht, um überhaupt gehört zu werden: Blogs, die einen verlinken, Leute, die über einen twittern und so weiter. Diese Multiplikatoren wissen genau, welche netzpolitischen Positionen die Parteien vertreten. Die lassen sich nicht einfach vor einen Karren spannen.Lüke: Alle wollten damals den Wahlkampf von Barack Obama nachmachen, allen voran die SPD. Was die aber nicht verstanden hat: Eine Partei zu empfehlen, die – wie die SPD – für Internetsperren gestimmt hat, wäre für jeden Blogger ein Gesichtsverlust gewesen. Die Folge: Kaum jemand hat sich im Netz daran beteiligt.Gegen das Acta-Handelsabkommen haben europaweit tausende Menschen demonstriert. Kann sich daraus eine europäische Bürgerrechtsbewegung entwickeln?Beckedahl: Themen hätten wir zumindest genug. Die Nachfolger von Acta werden uns noch eine Weile beschäftigen. Dann soll das Datenschutzrecht europaweit vereinheitlicht werden. Das betrifft zum Beispiel jeden Facebook-Nutzer. Und die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung muss letztlich natürlich in Brüssel gekippt werden. Beim Thema Acta haben sich sehr viele Menschen zum ersten Mal politisch engagiert, und es kam sofort zu einem Erfolgserlebnis. Das hat viele Leute ermutigt, an ein demokratischeres Europa zu glauben. Wir überlegen gerade, wie sich der Protest verstetigen lässt. Im Vergleich zur Umweltbewegung sind die Digitalrechtler in Brüssel ja bisher nur sehr schwach vertreten. Im Moment sind wir mit Organisationen in etwa der Hälfte der EU-Länder vernetzt. Das entspricht ungefähr dem Stand der netzpolitischen Bewegung in Deutschland vor fünf Jahren. Ein bisschen können wir also schon noch wachsen.Das Gespräch führte Steffen Kraft
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