Kunst der Enttäuschung

Wahl In Wahrheit ist das Desaster in Niedersachen für die Piraten ein Glück
Kunst der Enttäuschung

Foto: Sean Gallup / Getty

Wir müssen das Wahldebakel der Piraten in Niedersachsen als Glück verstehen. Ihr enttäuschendes Abschneiden ermöglicht nämlich genau das: Ent-täuschung – die Aufklärung falscher Projektionen, die den Aufstieg der Partei bisher begleitet haben. Sowohl in den Medien, als auch unter Kritikern und Mitgliedern haben sich drei Deutungstheorien durchgesetzt, die den Blick auf das Phänomen „Piratenpartei“ allerdings eher verschleiern, denn erhellen:

1. Die Piraten seien die Partei einer wahlweise engagierten oder narzisstischen, jedenfalls aber einer neuen Generation. Die könne sich mit den alten Parteien und ihren Milieus nicht mehr identifizieren und suche nun eine eigene Ausdrucksform.

2. Die Piraten seien als Antwort auf all jene politischen Herausforderungen entstanden, die das Aufkommen des Internets stellt – etwa, was den gleichberechtigten Zugang zum Netz oder den Umgang mit Urheberrechten angeht. Die Partei speise sich denn auch vor allem aus dem Milieu der Netzaffinen und IT-Spezialisten, die sich schon berufsbedingt mit dem Medium und seinen Effekten auskennen.

3. Die Piraten seien Produkt eines Hypes, der nun sein Ende erreicht. Darin erweisen sie sich als sichtbarer Auswuchs einer Entwicklung der deutschen Politik hin zu einer Mediendemokratie, in der geschicktes Aufmerksamkeitsmanagment mehr zählt als inhaltliche Positionen.

Nun haben die Niedersachsen gleich alle drei Erklärungen auf einmal widerlegt: Wären die Piraten bloß eine Generationen- oder eine Internetpartei, dann hätte sie mehr Stimmen bekommen. Sowohl die „Netz-Generation“, als auch das Internet selbst gibt es ja heute noch genauso wie vor einem Jahr. Wäre die Wahl hingegen bloß Ergebnis medialer Erregungsmomente, dann dürfte die zuvor tot prognostizierte FDP jetzt nicht mehr im Landtag vertreten sein.

Nun ist das Gegenteil der Fall. Die Piraten sollten den Bürgern dafür dankbar sein. Befreit von Selbsttäuschungen wird der Blick frei für den Grund, warum die Bürger dieser Partei überhaupt eine Chance geben: um Konzepte zu entwickeln, wie mehr Menschen in den politischen Prozess einbezogen werden können. Kurz: wie die Demokratie reformiert werden kann – ob nun mithilfe des Internets oder nicht. Anders als die Piraten kann das keine der seit Jahren in Parlamenten vertretenen – und damit vom gegenwärtigen System abhängigen – Parteien glaubhaft ändern wollen.

Die Piraten in Niedersachsen machten stattdessen Schlagzeilen mit absurden Forderungen Einzelner, mit Querschüssen innerhalb der Partei, und sie agierten so unglücklich, dass sie ihre Aufstellungsversammlungen mehrmals wiederholen mussten, nur um eine korrekte Kandidatenliste vorlegen zu können. Die Medien schlachteten diese Missgeschicke aus. Aber das allein hätte nicht gereicht, die Wähler abzuschrecken.

Es war die Idee, es würde schon ausreichen, die Piraten als eine weitere sozialliberale Partei zu präsentieren, die sie in den Abgrund stürzte. Die Piraten stellten damit einen Wesenszug in den Vordergrund, der zweifellos manchen Wähler anspricht, der die Partei aber eben nicht im Innersten ausmacht und von anderen unterscheidet.

Und so kann es sein, dass die Piraten in den nächsten Jahren untergehen werden. Die Sehnsucht der Bürger, die sie einmal erfolgreich machte, wird damit freilich nicht gestillt sein.

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