Mut zum Gesicht

Überwachung Der vom Chaos Computer Club enthüllte Staatstrojaner-Skandal beweist: Manche Leaks brauchen bekannte Absender, um wirksam zu werden

Glaubt man dem Chaos Computer Club, verbarg sich der Skandal in Pappe: Die Festplatten mit den Überresten des jetzt enthüllten Staatstrojaners seien in "braunen Umschlägen" bei dem Hackerverein eingegangen. Einer der Absender dieser Umschläge war laut eigener Aussage Patrick Schladt, der Anwalt eines Geschäftsmannes, der Mitte 2009 auf dem Münchner Flughafen ein Spionageprogramm auf den Laptop gespielt bekam (zur Vorgeschichte siehe hier).

Zwar hatten die Behörden ihre Spionagesoftware nach einer Zeit gelöscht, doch den CCC-Experten gelang es ohne größere Probleme zu rekonstruieren, was das Programm so alles kann, wenn Beamte es einmal auf dem Rechner eines Verdächtigen installiert haben: Bildschirmfotos schießen, Skype-Telefonate abhören, die eingebaute Videokamera einschalten oder mal eben belastende Dokumente auf der Festplatte platzieren (siehe hier zum Beispiel ein Drei-Minuten-Film zur Einführung).

Über die Enthüllung ist sofort ein heftiger Streit entbrannt, schließlich hat das Bundesverfassungsgericht für die Überwachung von Computern sehr enge Grenzen gesetzt. Die Bundesregierung leugnete schon einmal vorsorglich, das nun entdeckte Schadprogramm einzusetzen. Und Hardliner wie der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags, Wolfgang Bosbach (CDU), geben immerhin zu: „Sollten die Vorwürfe sich als wahr herausstellen, wäre das selbstverständlich ein ernstzunehmender Vorgang.“

Mit dieser Wenn-Dann-Aussage deutet Bosbach aber auch an, welche Verteidigungsstrategie Länderpolizeien und Sicherheitspolitiker in den nächsten Tagen verfolgen werden. Wenn sich die Existenz des Trojaners schon nicht leugnen lässt, dann doch vielleicht, dass dadurch Schaden entstanden ist. Dabei ist das Schlimmste schon eingetreten: Wer bisher noch glaubte, dass staatliche Sicherheitsbehörden sich bis auf wenige Ausnahmen an Recht und Gesetz oder zumindest an die Verfassung hielten, sieht sich gettäuscht.

Unabhängig davon wollen Bosbach und Co. den Skandal durch Verwirrtaktiken klein halten. Schließlich sei ja noch gar nicht klar, in welchen Verfahren, von welchen Behörden und in welchen Bundesländern der aus Bayern stammende Trojaner eingesetzt worden sei. Mit anderen Worten: Eine Bewertung sei gar nicht möglich.

Es ist eine Strategie, die Politiker und Behörden gerne anwenden, wenn Vorwürfe nicht von Betroffenen selbst, sondern von Organisationen der Zivilgesellschaft erhoben werden. Was in diesem Fall allerdings bisher übersehen wird: Letztlich beruht der nun enthüllte Skandal auf Leaks. Die analysierten Festplatten hat der CCC per Post und durch persönliche Übergaben erhalten. Auch wenn die Nennung der "braunen Umschläge" anderes suggeriert: Im Gegensatz zu anonymen Leaking-Portalen kennt der CCC die Absender der Festplatten. Ob aus dem Skandal eine politisches Erdbeben wird, hängt nun auch davon ab, ob die Betroffenen bereit sind, mit ihren (Ermittlungs-)Geschichten an die Öffentlichkeit zu treten.

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