Nebenwirkungen möglich

Transparenz Wem nutzen die veröffentlichten Botschafts-Depeschen? Wer so fragt, muss den Geheimhaltungswahn der Regierungen ebenso anzweifeln wie den Offenlegungswahn von Wikileaks

Für den Fortgang einer Diskussion ist es selten hilfreich, laut zu überlegen, welche Fragen in ihr nicht angerissen werden. In der Debatte um die aktuelle Veröffentlichung von tausenden Depeschen der US-Botschaften durch Wikileaks verhält es sich ausnahmsweise anders. Erstaunlich einmütig haben Journalisten und Politiker in Deutschland die Gewichtung übernommen, die der Spiegel vorgegeben hat: Die Botschafts-Analysen von Politikern der Regierungskoalition diskutieren die Deutschen intensiv, die Erkenntnisse über das Vorgehen der USA und seiner Partner bei den Vereinten Nationen und im Nahen Osten nehmen vergleichsweise wenig Raum ein.

Nun mag sich das noch aus dem gesteigerten Interesse an Klatsch aus der Welt der Politik erklären. Erstaunlich ist allerdings, dass zugleich fast alle Berichte eine Frage umgehen: Wer profitiert eigentlich von der Veröffentlichung? Immerhin ist Wikileaks mit dem Anspruch gestartet, "Regierungen zu öffnen", also die Kontrollmöglichkeiten der Bürger gegenüber den Mächtigen zu erweitern. Kommen die Öffentlichkeiten in Deutschland, in den USA und den anderen betroffenen Ländern diesem Ziel nun ein Stück näher?

Noch lässt sich diese Frage schon deshalb nicht abschließend beantworten, weil bisher nur ein Bruchteil der Kabel-Nachrichten veröffentlicht ist. Sicher ist allerdings jetzt schon, dass nur ein Bruchteil der schon zugänglichen Depeschen von dauerndem öffentlichen Interesse sind. Wie die Auslassungen der US-Botschaftsmitarbeiter über Westerwelle, Merkel und Co. zeigen, geben viele Botschafts-Nachrichten wenig anderes wieder als auch in Zeitungen zu lesen ist - selbst wenn sie das Siegel "vertraulich" tragen. So zeigt die Cablegate-Webseite vor allem, dass Behörden ihre Erzeugnisse in der Überzeugung ihrer eigenen Wichtigkeit immer noch mit Geheimhaltungsstempeln reihenweise "überklassifizieren" - was das Interesse an der Arbeit von Plattformen wie Wikileaks eher befeuern als abkühlen dürfte.

Sicher, wenn die US-Außenministerin die Vereinten Nationen bespitzeln lässt, wenn Staaten autoritäre Regime mit Raketen versorgen, dann ist es ein Segen, wenn diese Vorgänge öffentlich werden. Wenn allerdings die Regierung Irans nun schwarz auf weiß beweisen kann, dass seine Nachbarn ihr US-Bomber an den Hals wünschen, kann selbst der überzeugteste Assange-Jünger nur schwer behaupten, dass diese Dokumente zur Stabilität der Region beitrügen.

Wie keine andere Veröffentlichung zuvor führen die Cablegate-Dokumente daher auch die Zweischneidigkeit des Ansatzes von Wikileaks vor Augen: Transparenz hilft vor allem dann, wenn Öffentlichkeiten sie verarbeiten können. Sonst kann sie auch jenen Herrschern dienen, die die Öffentlichkeiten in ihren Ländern kontrollieren. Es ist gut, zu fragen: Wer profitiert jeweils von einer Veröffentlichungen auf Wikileaks? Die Debatte, ob er darauf wirklich immer alleine eine Antwort geben kann, steht Julian Assange noch bevor.

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