Es folgen einige Sätze, die den Produktentwicklern dieser Welt Tränen in die Augen treiben:
„Gibt’s hier irgendwo eine Telefonzelle?“
„Kannst Du mir den Film auf VHS umschneiden?“
„Druckst Du mir die Mail aus?“
„Der Fahrkartenschalter hatte geschlossen.“
Wer so spricht, zählt zu den so genannten Technik-Nachzüglern, in der Sprache der Werber abfällig „Late Adopters“ genannt. Er oder sie gehört zu den Menschen, die immer noch kein Handy haben, keinen DVD-Player, kein E-Mail-Konto oder keine Ahnung, wie man im Bahnhof diese Fahrkarten-Automaten mit den großen Bildschirmen bedient. Jene Menschen also, die neue Technologien erst spät für sich entdecken. Dieser Text ist ihnen gewidmet.
Okay,
. Dieser Text ist ihnen gewidmet.Okay, nur einem Teil von ihnen. Jenen oft übersehenen Konsumenten nämlich, die nicht aus Technikfeindschaft abwarten, sondern schlicht weil es vernünftig ist. Die Rede ist hier also nicht von Leuten, die Handys für strahlendes Teufelswerk halten, die sich aus Prinzip nicht von Maschinen bedienen lassen oder die glauben, vom Lesen einer E-Mail am Monitor Kopfweh zu bekommen. Gemeint sind jene, die sich bewusst entscheiden, erst einmal abzuwarten, wenn ein neues Handy herauskommt, ein Prozessor oder ein Programm.Dieser „bewusste Nachzügler“ ist kein gern gesehener Kunde. Er ist kritisch, will genau wissen, welchen Vorteil ihm ein neues Gerät bringt, wie lang die Gebrauchsanleitung ist, warum er überhaupt eine braucht und wieso der Knopf da mit so kleinen Buchstaben beschriftet ist. Er ist faul, manchmal genervt von zu vielen Funktionen, und meint: Das ist auch gut so. Schließlich sei Technik ja für den Menschen da und nicht umgekehrt. Er weiß, dass die meisten Unternehmen inzwischen jedes Jahr ein neues Produkt herausbringen, um im Wettbewerb zu bestehen, dass sich aber seine eigenen Bedürfnisse in einem gemächlicheren Takt verändern.Verkannter Held des AlltagsUnbestechlich, selbstbewusst, gelöst: der bewusste Nachzügler ist der wahre Held der Konsumgesellschaft. Deren Vertreter hingegen – Marketing-Fachleute, Produktmanager und Markenentwickler – missachten ihn. Firmen wollen lieber den Gegentypus des Nachzüglers, nämlich den „Early Adopter“, für ihre Produkte gewinnen. Er kennt neue Technologien frühzeitig und ist bereit, Geld dafür zu bezahlen, dass er das neueste Elektro-Spielzeug herumzeigen kann. So fungiert er als Vorbild und Scharnier zum Massenmarkt. Wer ein Produkt an einen Early Adopter verkauft, macht damit Werbung – und gleichzeitig Umsatz. Eindrücklich ließ sich dieser Effekt an Apples I-Phone beobachten. Immer noch beschäftigen sich ganze Webseiten damit, welcher Prominenter, welches Modell in der Öffentlichkeit mit sich herumträgt, iphonic.tv/iphone_celebritiesetwa.Und so ist es kaum verwunderlich, dass der Early Adopter von der Werbeindustrie zu Produkt-Vernissagen eingeladen wird, auf Messen von Hostessen umschwärmt und mit kostenlosen Drinks abgefüllt wird, während die Masse der Konsumenten sich mit bestenfalls lustig gemachter Fernseh- und Plakatwerbung begnügen muss, die sie aus ihrer vermeintlich blöden Trägheit reißen soll.Dabei handeln bewusste Nachzügler bei aller Bequemlichkeit durchaus rational. Viele Firmen haben für sich selbst die Vorteile des späten Handelns – im Fachsprech „Late Mover Advantage“ genannt – längst erkannt: Anstatt selbst ein neues Produkt zu entwickeln, warten diese Firmen ab, bis ein Mitbewerber etwas Neues auf den Markt bringt. Dann schauen sie, wie die Kunden reagieren, welche Probleme das Produkt macht und wie sie es günstiger als das Original und zugleich ohne dessen Kinderkrankheiten auf den Markt bringen. Auf diese Weise ersparen sich Nachzügler-Firmen Entwicklungskosten und verärgerte Kunden. Klingt nach Schmarotzertum? Stimmt. Aber es ist erfolgreich. Im Grunde hat Japan in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg seine Automobilwirtschaft mit genau diesem „Modell der besseren Kopie“ aufgebaut.Bei Verbrauchern gilt Abwarten immer noch als uncool – was aber Quatsch ist. Fünf Gründe, warum bewusste Nachzügler in Wahrheit besser dran sind:1. Sie nutzen nur Dinge, die sie wirklich brauchen.Okay, sie können ihren Freunden nicht das neueste Gerät zeigen, und so ihr Ansehen verbessern. Aber mittlerweile scheinen sich die Kriterien, nach denen so genannte Positionsgüter beurteilt werden, ohnehin zu verschieben: Inzwischen zeichnet einen nicht mehr das neueste Ding aus, sondern das smarteste. Und dieses Ding ist eines, das ein Alltagsproblem löst: ein Fahrradhelm etwa, der aussieht wie ein Hut – und sich so endlich stilbruchfrei mit einem Rock kombinieren lässt. Oder ein selbst komponiertes Parfum statt des Calvin Klein-Dufts, weil dann das Kompliment „Du riechst so gut“ nicht sofort Vergleichsbilder von Models im Kopf erzeugt (deren Aussehen man ohnehin nie erreicht).2. Ihre Geräte funktionieren.Bei der zweiten Generation einer Produktlinie sind die meisten Programmier- und Produktionsfehler bereits ausgemerzt. Stimmt das einmal ausnahmsweise nicht, gilt zum Glück immer noch:3. Nachzügler beschäftigen sich mehr mit Menschen als mit Maschinen.Es gibt ja Leute, die behaupten, Frauen würden deshalb öfter zu den Technik-Nachzüglern gehören als Männer, weil sie so lange warten, bis es genügend Technik-Freaks gibt, welche die neuen Geräte erklären und gegebenenfalls auch reparieren können. Da ist was dran, das Phänomen gibt es aber inzwischen auch unter Männern.4. Sie geben weniger aus.„Zeit ist Geld“ gilt beim Konsum andersherum: bei Elektrogeräten zum Beispiel sinken die Preise innerhalb weniger Monate mitunter um die Hälfte.5. Sie haben mehr Spaß.Beim Beobachten der First Adopter nämlich. Zum Beweis und zum Schluss eine Beobachtung von kay.kloetzer aus der Freitag-Community: „Die Ersten, die mit handtaschengroßen Mobiltelefonen auf freier Wildbahn ein Netz suchten, waren Männer. Heute versuchen sie, mit kräftigem Fingerschlag die Minitastatur der Netbooks zu treffen – das hat schon etwas Rührendes.“