Zum Weinen

TV-Show Viele mokieren sich nun über die Baby-Ausleih-Schau von RTL und verdecken damit den wirklichen Skandal: dass kein Medienjournalist die Machenschaften vorher aufdeckte

Jetzt ist der Aufstand da. Und die Macher bei RTL reiben sich die Hände. So ziemlich jede Zeitung berichtet inzwischen von der Kritik gegen die RTL-Serie Erwachsen auf Probe, deren Ausstrahlung am 3. Juni beginnen soll.

Darin verleihen Eltern ihre Babys an Teenager, die damit üben sollen, wie es ist, ein Kind zu haben. Ärzte haben mit Anzeigen wegen Kindesmisshandlung gedroht. Schließlich bedeute die Trennung von Ihren Eltern für die Babys erheblichen Stress. Die Kinderkommission hat RTL aufgefordert, die achtteilige TV-Doku nicht zu starten. Tenor: "Kinder sind keine Versuchskaninchen."

Das ist wahr. Und wenn die Kinder wirklich tagelang Ihre Eltern nicht gesehen haben (was unwahrscheinlich ist), auch ein Grund, am Geisteszustand der Programmmacher zu zweifeln. Allerdings täuscht die mediale Empörung über den wirklichen Skandal an der Sache hinweg: Die Tatsache, dass kein Medienjournalist auf das potenziell menschenverachtende Experiment vor Beginn der Aufzeichnung aufmerksam wurde. Wo waren die Informanten? Die Kontakte in die Sender?

Die komplette Staffel ist schon abgedreht, der Schaden an den Kindern gegebenenfalls also schon entstanden. Der Aufschrei hilft folglich nur zwei Parteien: RTL selbst, das Aufmerksamkeit und damit Zuschauer bekommt. Und dem Gemüt jener Medienjournalisten, die sich als "kritisch" begreifen, ohne investigativen Journalismus für nötig zu halten. Schließlich ließen sich ja die Produkte rezensieren – und gegebenfalls kritisieren.

Wie ist es um den investigativen Medienjournalismus in Deutschland bestellt? So paradox es klingt: Wir werden es erst erfahren, wenn die erste Sendung von Erwachsen auf Probe über den Bildschirm geht. Dann wird klar werden, was beim Dreh vor der Kamera wirklich geschah – und dahinter unterblieb.

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