Zwei gegen das Imperium

Medientagebuch Journalisten-Kritiker Julian Assange versucht sich im russischen TV nun selbst an dieser Rolle. Ausgerechnet Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah war sein erster Gesprächspartner

Noch im Herbst 2010 war es nicht schwer, Julian Assange zu beleidigen. Man musste ihn nur als Journalisten bezeichnen. "Angesichts des Zustands des Journalismus" verbat sich der Wikileaks-Gründer diese Berufsbezeichnung in einem Interview mit der spanischen Zeitung El Pais. Schließlich machten sich Journalisten regelmäßig zum "Teil des Krieges, weil sie nicht hinterfragen und sich gegenüber der Regierung feige anbiedern." Mit diesem Anspruch im Nacken startete nun seine neue TV-Gesprächsserie The World Tomorrow. Zehn halbstündige Gespräche von Assange mit "Denkern, Revolutionären und Schlüsselfiguren aus der Politik" soll der russische Auslandskanal RT in den nächsten Wochen in englischer Sprache auf assange.rt.com senden. Dienstagnachmittag ging die erste Folge online – ausgerechnet mit dem seit Jahren im Untergrund lebenden Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.

Bei der Entscheidung, nun doch als Journalist zu arbeiten, wird neben Assanges Idealismus auch seine finanzielle Lage eine Rolle gespielt haben. Assange hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er für seine Prozesse gegen die Auslieferung nach Schweden mehr Geld benötigt. Dort erwartet ihn ein Verfahren wegen sexueller Übergriffe. Zwar hat Wikileaks bisher nicht veröffentlicht, wieviel Assange für seinen Einsatz als Talkmaster bekommt. Doch angesichts des Scoops mit dem Hisbollah-Kopf hat sich die Investition für den vom russischen Staat finanzierten Sender RT schon gelohnt.

"Das lässt sofort eine Verbindung entstehen"

Es entbehrt nicht der Komik, wie Assange mit Nasrallah über die Fallstricke hochtechnisierter Verschlüsselungsverfahren witzelt. Oder wenn der Aktivist versucht, den Islamisten zu überzeugen, dass ein Freiheitskämpfer auch einen monotheistischen Gott als universellen Imperator erkennen und bekämpfen müsse. Oder wenn der Hisbollah-Chef dem Wikileaks-Chef eine Lektion im Umgang mit US-Kabelnachrichten erteilen will und behauptet, auch sie seien Teil des US-Medienkriegs gegen seine Organisation (die im Libanon nun an der Regierung beteiligt ist). Assange lässt unwidersprochen, was Nasrallah sagt – entweder, weil er seine Fragen vorher absprechen musste, oder weil ihm in der ungewohnten Studiosituation entgeht, was sein Gegenüber da so sagt. Nur als es um die Nähe der Hisbollah zum syrischen Regime geht, bohrt Assange ein wenig nach. Er fragt, ab wievielen Toten die Organisation die Seiten wechseln würde – und gibt sich dann mit Nasrallahs wortreichen Ausflüchten zufrieden.

"Viele meiner Gäste saßen im Gefängnis. Auch ich stehe unter Hausarrest. Das lässt sofort eine Verbindung entstehen", hat Assange vorab für seine Sendung geworben. Es ist eine Haltung, die kaum mit dem zu vereinbaren ist, was er noch vor wenigen Monaten als verantwortungsbewussten Journalismus bezeichnete: "Es ist die Rolle von gutem Journalismus, sich die mächtigen Bösewichte vorzunehmen. Und wer sich mächtige Bösewichte vornimmt, erntet immer eine negative Reaktion."

So gesehen war die erste Folge von Assanges neuem Interview-Format ein Beispiel für schlechten Journalismus. Außer natürlich, man hält die USA und Israel für diese Bösewichte, die nicht oft genug angeklagt werden können. Einiges scheint darauf hinzudeuten, dass Assange das so sieht, etwa wenn er den russischen Staatssender RT als "natürlichen Partner" in seiner "Konfrontation mit dem Westen" bezeichnet. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Offenbar verfolgt Julian Assange eine extrem einfache Medientheorie: Die Stimmen der anderen, derer, die gegen das Imperium kämpfen, müssen zu Gehör gebracht werden. Das ist weniger als man von ihm erwarten konnte.

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