ARD und ZDF müssen endlich Schule machen

Home Schooling Kinder daheim, Eltern gestresst – jetzt schlägt die Stunde des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags
Ausgabe 02/2021
ARD und ZDF müssen endlich Schule machen

Illustration: Johanna Walderdorff für der Freitag

„Fernsehen macht die Dummen dümmer und die Klugen klüger“ – dieses Marcel Reich-Ranicki zugeschriebene Bonmot sagt mehr über das Fernsehen als über seine Zuschauer. Aber jetzt ist die Gelegenheit günstig, mit dem Fernsehen eine Bildungsoffensive zu starten. Schulen geschlossen, Kinder daheim, Eltern gestresst und in Zeitnot, Digitalisierung unterentwickelt, Bildungsschere am Aufklaffen. Da wartet man gespannt, was die öffentlich-rechtlichen Sender daraus machen.

Zuletzt ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in die Kritik geraten: durch Gebührenskeptiker und den rechtspopulistischen Staatsmedienvorwurf. Auch die auf Streamingplattformen abwandernde Jugend macht den Öffentlich-Rechtlichen zu schaffen. Dem ZDF und der ARD fällt es schwer, sich bei Kritik wegzuducken. Ebenso schwer fällt es ihnen, auf neue Erwartungen zu reagieren. Nun aber, in der Pandemie, stehen dem „ÖRR“ alle Türen offen, um den eigenen sozialen Wert zu steigern und sich unentbehrlich zu machen.

Schon Mitte März 2020 – zu Beginn des ersten Lockdowns – wurde viel getwittert, dass es ein flächendeckendes Schulfernsehen bräuchte. Überraschen konnte das nicht. Schließlich trägt der „ÖRR“ seinen Bildungsauftrag oft wie eine Monstranz vor sich her. Der österreichische ORF hatte beim vorherigen Lockdown schnell umgestellt, selbst das Wiener Stadtfernsehen W24 ließ Pädagogen auf der Mattscheibe unterrichten und bemühte sich, die Lehrpläne aller Schulstufen abzubilden.

Beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland aber kam über lange Monate nur wenig in Bewegung. Man wurde auf die Erweiterungen zum Tigerenten Club Spezial im SWR und die Mediathekeninhalte des BR verwiesen. Erst als vergangene Woche die BBC vorlegte und BBC Teach als Schulersatz ankündigte, legte man nach.

In dieser Woche nun hat die ARD den Bildungskanal alpha mit dem Format Schule daheim ins Rennen geschickt, das am Vormittag einzelne Lehrinhalte vermittelt. Das ist ein Anfang, bleibt aber doch hinter einer breiten und flächendeckenden Offensive zurück. „Angebote an Lehrinhalten“, Videos zum Schlauerwerden und Kurzclips zu ausgesuchten Themen sind etwas anderes als ein ausgebautes Schulprogramm.

Warum nicht alle dritten Programme (es sind insgesamt neun) und dazu KiKA, Phoenix usw. täglich mehrere Stunden in vollwertige Schulkanäle verwandeln? Jeder Sender könnte eine Klassenstufe übernehmen und ein Unterrichtsprogramm für alle Fächer anbieten, gestaltet von Lehrerinnen und Lehrern, nicht von den üblichen Moderationsteams. Pädagogische Kompetenz mit jahrelanger Klassenraumerfahrung vor der Kamera. Tests und Übungen für daheim könnte man gleich mit anbieten.

Gern kann es sich um ein improvisiertes Format dicht am Schulalltag handeln: ein Klassenzimmer, ein Lehrer/eine Lehrerin, ein Whiteboard, eine Kamera. Mit dem kreativsten und unterhaltsamsten Lehrpersonal, den pädagogischen Supertalenten, einem festen Tagesablauf, Stundenplan und Pausenzeiten. Und gern die Fächer immer wieder mit denselben Lehrern, da Kinder affektive Bindungen entwickeln und sich an Lehrerpersönlichkeiten gewöhnen. Erfolgsmesser wäre, möglichst viele Kinder zum täglichen Publikum zu machen.

Wegen der föderalen Unterschiede wird es rumpeln, aber sind Mediatheken nicht fürs zeitflexible Anschauen gemacht? Man muss das als Modulstruktur bauen. Schulen könnten (und sollten) den Kindern daraus Stundenpläne zusammenstellen. Die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen würden den Stoff nachbereiten und Übungen anleiten, hätten zudem mehr Zeit für die individuelle Betreuung. Hier also ist die große Bühne und Aufgabe für den ÖRR. Lockdown als Chance! Schön wäre, wenn wir dann am Ende zufrieden sagen könnten: Fernsehen macht die Kleinen klüger, und zwar alle.

Steffen Mau ist Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuletzt erschien von ihm Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden