Konsumier mir Liebe

Romantisch Eva Illouz und Ditmar Larcher untersuchen den Funktionswandel der Liebe im entwickelten Kapitalismus

Die Liebe gehört zu jenen Mythen, die sich ihrer Entzauberung hartnäckig widersetzen. Davon wollen wir, wenn wir lieben, natürlich nichts wissen. Noch weniger wollen wir dann über die Geschichte der Liebe und ihre Lebenslügen aufgeklärt werden. Denn es ist ja bekannt, dass die Liebe blind macht - zum Glück aber nicht die Soziologen. Diese vermögen dem Eros überraschende Aufschlüsse ab zu gewinnen. Wie verändern etwa die rasanten gesellschaftlichen Umbrüche unser Verständnis von der Liebe? Immerhin hat sie in den vergangenen Jahrhunderten einen langen Weg zurückgelegt: von der Minne bis zum Chatroom. Doch hat diese Entwicklung keineswegs zum Verlust der Romantik geführt, wie Theodor W. Adorno einst in seinen Minima Moralia behauptete. Dies weist die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrer eindrucksvollen Studie Der Konsum der Romantik nach, in der sie sich dem komplexen Verhältnis von Liebe und Kapitalismus widmet. Zwar untermauert Illouz´ Untersuchung die These Adornos vom Einfluss des Kapitalismus auf die Liebe - seinen Pessimismus mag die Autorin aber nicht teilen.

Illouz zeichnet detailliert die historische Verschmelzung von Liebe und Konsum nach. Dabei stellt sie die erotische Praxis des Rendezvous´ in den Mittelpunkt. Denn dieses hat die traditionellen Formen der Liebe (wie das werbende Vorsprechen bei der Familie) abgelöst und den weltumspannenden Siegeszug der Freizeitindustrie eingeleitet, als die Liebe die häusliche Privatsphäre verließ und fortan in den Tempeln der Vergnügungsindustrie, in Kinos, Bars und Tanzhallen, zelebriert wurde.

Für die Autorin stellt die moderne "heterosoziale" Freizeitwelt, die um das Ideal der freien Partnerwahl und der individuellen Liebe herum entstand, eine emanzipatorische Errungenschaft dar. Sie verschweigt aber nicht deren Kehrseite: nämlich die buchstäbliche Vermarktung der Romantik. In kurzer Zeit wurde die Vorstellung von inniger Zweisamkeit zu einer neuen amerikanischen Religion: Kein Kinofilm verzichtete auf eine Lovestory, und auch die neue Werbeindustrie verkaufte ihre Produkte über die Verheißungen romantischer Erfahrungen. Spannend sind vor allem die verborgenen Verbindungen, die Illouz zwischen Konsum und Liebe aufdeckt: Wer hätte schon den großen Einfluss des ersten Fließbandautos auf die Kulturgeschichte der Liebe vermutet? Und wem war bekannt, dass bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein medialer Diskurs über den Zusammenhang von Scheidungsrate und Haushaltsgeld im Gange war?

Illouz beschreibt, wie im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts eine "Romantisierung der Waren" dazu führte, dass die Aura des Produkts dessen konkreten Nutzwert überlagerte: Romantik, fortan über luxuriöse Produkte kommuniziert, fiel damit der Verdinglichung anheim: "Liebe wird zum Ausgangspunkt für vielfältige Konsumakte, die sich gegenseitig stärken."

Vom Verdinglichungsprozess der Romantik springt die Untersuchung in die Jetzt-Zeit, um die postmodernen Formen der Liebe unter die Lupe zu nehmen. Die Studie orientiert sich dabei an Einzelinterviews, in denen Illouz Personen aus den unterschiedlichsten sozialen Bereichen, vom einfachen Arbeiter bis zur wohlhabenden Künstlerin, über ihr Liebesverständnis befragt. Dabei kommt die Autorin zu so erstaunlichen Ergebnissen, dass man schnell dem Reiz erliegt, die eigenen romantischen Vorstellungen mit den Aussagen der Befragten zu vergleichen. Auch in den zahlreichen verborgenen kulturellen Widersprüchen, die sich in den geschilderten romantischen Erlebnissen finden, macht Illouz die Grundsituation des Menschen in der Postmoderne ausfindig: die Ambivalenz. Zur theoretischen Fundierung ihrer empirischen Erhebungen greift die Autorin auf das ganze Spektrum der modernen und postmodernen soziologischen Größen zurück.

Erschreckend ist vor allem die Affirmationsgewalt der Konsumsphäre. Diese legt die Analyse der romantischen Träume und Sehnsüchte der Studienteilnehmer offen. Konsum steuert selbst die Handlungen, die uns selbst als antikonsumistisch und subversiv erscheinen. Die Bilderwelt des Kapitalismus hinterlässt Spuren: Einsame Strände und andere unberührte Naturlandschaften, die wir den Werbespots entnehmen, bebildern unsere zeitgenössischen kollektiven Träume. Mit Hilfe von Victor Turners Ritualsoziologie zeigt Illouz, dass die Sehnsucht nach romantischen Utopien in temporären Ritualen (Schwellenritualen) ausgelebt wird: Am Naturstrand in Mexiko oder in einem Pariser Boheme-Café befriedigt insbesondere die Mittelklasse ihre "universellen und klassenlosen Sehnsüchte nach Authentizität, Freiheit und Gefühl". Abgesichert ist der rituelle Ausbruch aus der Monotonie des Alltags selbstverständlich durch eine Visa-Card. Der Markt hat sich unsere antikonsumistisch-romantischen Gefühlswelten längst einverleibt, lautet Illouz unromantische Diagnose.

Illouz nimmt aber noch andere Aspekte zeitgenössischer Romantik aufs Korn: So verströmen Langzeitbeziehungen in den Schilderungen der Befragten fast durchweg den Schweißgeruch von Arbeit, wohingegen die Affäre zwar emotionale Maßstäbe setzt, gerade deshalb aber ironische Distanz erzeugt. Denn insgeheim will seinen Gefühlen keiner so recht trauen; wir ahnen, dass die Sprache des Kinos unsere Gefühlswelten längst bis ins Innerste hinein steuert.

Auf ein Happy End muss Illouz darum verzichten. In der Tradition Pierre Bourdieus beleuchtet sie die Klassenstrukturen, die auf die Partnerwahl wirken, und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Liebe wie eh und je als sozialer Reproduktionsmechanismus dient - wobei kulturelles Kapital die Bedeutung ökonomischer Faktoren verdrängt hat. Denn wahre Liebe und wirtschaftliches Kalkül, darin ist sich das Gros der Interviewten einig, sind trotz aller Aporien der Romantik nicht vereinbar. (Übrigens ist auch das ein Ideologem der kulturellen Verwertungsmaschine schlechthin: Hollywood.) Interessegeleitet läuft die "soziale Reproduktion" nicht unbedingt ab. Illouz hält sich an Bourdieus Habitus-Begriff und spricht von einer unbewussten Harmonisierung von Wünschen und Möglichkeiten der Menschen. Sie zieht das Fazit: "Menschen wollen nur das, was sie bekommen können." Das hinterlässt ein mulmiges Gefühl beim Leser.

Illouz redet aber dennoch keinem Kulturpessimismus das Wort, sondern überlässt es dem Leser, aus den Ergebnissen der Studie seine Schlüsse zu ziehen. Gleichwohl klingt in ihren abschließenden Betrachtungen die Hoffnung an, dass der Mensch sich irgendwann vom Kapitalismus emanzipieren möge; vorerst bleibe aber die kommerzialisierte Sprache der Selbstverwirklichung die einzige, in der wir unsere Ideen von Liebe und Utopie auszudrücken vermögen.

Eine zentrale Schwachstelle dieses Highlights der soziologischen Literatur ist, dass Illouz sich auf das weiße und heterosexuelle Amerika fixiert. Methodische Gründe lassen sich dafür zwar sicherlich finden; allerdings müsste der Anspruch einer zeitgenössischen Sozialwissenschaft dahin gehen, der Vielfalt der Lebensstile Rechnung zu tragen.


In die "fremde" Welt interkultureller Liebe taucht der österreichische Erziehungswissenschaftler Dietmar Larcher ein. In seinem Buch Liebe in Zeiten der Globalisierung stellt er Lebens- und Liebesformen vor, die beispielhaft zeigen, wie kulturelle Differenzen im praktischen Zusammenleben überbrückt werden können. Dafür hat Larchers Forschungsteam 27 Menschen, die in einer interkulturellen Partnerschaft leben, über Erfahrungen und Lernprozesse befragt, die aus dem intimen Zusammentreffen verschiedener kultureller Denk- und Handlungsmuster erwachsen. Obwohl das Buch noch vor den aktuellen Entwicklungen in Afghanistan und im Irak verfasst wurde, versteht es sich als Kampfansage an Vertreter der "Cultural Clash"-Theorie von Samuel P. Huntington. Somit ist die Studie brandaktuell.

Der Autor wendet sich vehement gegen eine Globalisierung der Romantik, die kulturelle Traditionen verschüttet. Ihr setzt er ein Modell kultureller Differenz entgegen, das er von Jacques Derrida herleitet. Für Larcher repräsentieren interkulturelle Paare ein herrschaftsfreies Modell von Globalisierung, dessen Balance täglich neu ausgehandelt werden muss. Liebe gelingt es demnach, die tradierten Kategorien von Fremdheit in Frage zu stellen und eine tiefere Akzeptanz für den Anderen zu begründen.

Larchers explizite Positionierung ist seiner Studie jedoch nicht selten abträglich. Seine theoretischen Exkurse, die nahezu alle postmodernen und globalisierungskritischen Autoren einbeziehen, klingen allzu didaktisch. Besonders unangenehm ist, dass der Leser den Eindruck gewinnen muss, die Ergebnisse der Studie hätten schon vor der Befragung der Gewährspersonen festgestanden. Obwohl Larcher wiederholt vor einer Idealisierung interkultureller Partnerschaften warnt und seine seminarhaften Exkurse lediglich als theoretische Rahmung des empirischen Materials verstanden wissen will, ist die Intention an vielen Stellen überdeutlich.

Neben sehr spannenden Interviewpassagen, in denen die Befragten über die Notwendigkeit berichten, im Alltag ihre jeweiligen kulturellen Handlungsmuster zu überprüfen - beim ersten Date genauso wie später bei der Haushaltsführung -, gibt es doch auch viele Momente bei der Lektüre, wo sich der Eindruck aufdrängt, dass der Autor selbst auf der Suche nach exotischen Traditionen ist, die im Leben der Migranten keine Rolle mehr spielen. Trotz dieser Einschränkungen vermittelt das Buch ein Bild verschiedener kultureller Vorstellungen von Liebe und ergänzt damit Illouz´ Untersuchung an entscheidender Stelle.

Eva Illouz: Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Aus dem Hebräischen von Andreas Wirthensohn. Campus, Frankfurt am Main 2003, 297, 24,90 EUR

Ditmar Larcher: Die Liebe in den Zeiten der Globalisierung. Konstruktion und Dekonstruktion von Fremdheit in interkulturellen Paarbeziehungen. Drava Verlag. Klagenfurt 2000, 247 S., 19,50 EUR


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