Augenhöhe

Neue Linke Chronik einer angekündigten Hochzeit

Die Sitzordnung im Bundestag spricht Bände. Anfang 2005 nehmen die fraktionslosen PDS-Abgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch erneut ihre Stühle am hinteren Rand des Plenarsaals ein. Im 15. Jahr ihres Bestehens behauptet sich die PDS mühsam am Rand der bundespolitischen Bühne. Auch von dort würden sie viele gern durch vehementen Boykott oder eisige Ignoranz vertreiben und zwar endgültig.

Ein knappes halbes Jahr später ist Schluss mit dem Schattendasein. Bei Landtagswahlen hat die SPD soeben ihre einstige Hochburg Nordrhein-Westfalen verloren und Kanzler Schröder unmittelbar danach Neuwahlen angekündigt. Die gerade erst als Partei formierte WASG verbucht auf Anhieb beachtliche 2,2 Prozent, während die PDS mit einem Stimmenanteil von 0,9 Prozent ein weiteres Mal konstatieren muss: Die Westausdehnung bleibt ein frommer Wunsch.

Zwei Tage nach der NRW-Wahl verlässt Oskar Lafontaine nach 39 Jahren die SPD und befürwortet einen gemeinsamen Antritt von Wahlalternative und PDS. Auch Gregor Gysi erklärt wenig später, sollte das Bündnis zustande kommen, werde er kandidieren - Demoskopen prognostizieren einen Stimmenanteil von zehn Prozent. In der Folge müssen beide Parteien über ihren Schatten springen: Die Demokratischen Sozialisten benennen sich Mitte Juli 2005 in "Linkspartei" um. Das bisherige Kürzel "PDS" rangiert künftig als optionale Beigabe. Zuvor hat die WASG auf einen eigenständigen Antritt zur Bundestagswahl verzichtet, will aber auf den Listen der Linkspartei kandieren. Beide Entscheidungen sorgen intern für Unmut, werden aber von klaren Mehrheiten getragen. Während des Bundestagswahlkampfes verzeichnet die Wahlalternative etwa 4.000 Neueintritte - die PDS 800. Auch das Medieninteresse wächst rapide, ein Hamburger Nachrichtenmagazin befürchtet die Wiederkehr von Karl Marx.

"Die Phase der ›Nachfolgepartei‹ geht zu Ende, und das ist gut so", folgert der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow, als Ende August 2005 in Berlin-Neukölln das Wahlprogramm debattiert wird. Die Zusammenkunft sei "ein historisches Datum", urteilt Oskar Lafontaine: "Ich spreche hier zum ersten Mal als ehemaliger SPD-Vorsitzender auf einem Bundesparteitag der PDS." In jenen Wochen steht der Saarländer wegen der so genannten Chemnitzer "Fremdarbeiterrede" in der Kritik und verteidigt sich entschieden: "Ich bin Internationalist, und ich lasse mir von niemandem meine Ehre beschneiden!" Er schließt mit einem Zitat von Victor Hugo, das den Wahlkampf prägen soll: "Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist."

Drei Wochen später erringen Linkspartei und WASG mit ihren gemeinsamen Listen auf Anhieb 8,7 Prozent bei der Bundestagswahl. Den Erfolg im Rücken, arbeitet man weiter an der von Lothar Bisky beschworenen "Vereinigung auf Augenhöhe". Ein Konvent in Dresden beschließt im Dezember das "Kooperationsabkommen III" und vereinbart Urabstimmungen.

Deutliche Spannungen treten Anfang 2006 auf. Die WASG-Landesverbände in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern beschließen - gegen die Beschlusslage der WASG - einen Alleingang bei den Landtagswahlen im Herbst - und bleiben klar unter fünf Prozent, doch in der Hauptstadt muss auch die Linkspartei herbe Verluste hinnehmen. Für Aufregung sorgt die Frage, ob kommunales Eigentum privatisiert werden darf. Nachdem Lafontaine dem eine deutliche Absage erteilt, sehen einige Medien einen Ost-West-Streit im linken Bündnis köcheln. Unterdessen treten zahlreiche Plattformen und Netzwerke innerhalb der beiden Formationen hervor.

Unaufgeregt behandeln Linkspartei und WASG im Herbst eine leicht kuriose Formalität: Um fusionieren zu können, müssen beide in einen eingetragenen Verein (e.V.) umgewandelt werden. Mit der gemeinsamen Kampagne für einen Mindestlohn von acht Euro pro Stunde sind zur gleichen Zeit die ohnehin vorhandenen Sympathien im Gewerkschaftslager weiter gewachsen. Im parlamentarischen Betrieb schlägt der Fraktion zwar weitgehend Ablehnung entgegen, doch intern kooperieren die Parlamentarier von Linkspartei und WASG ohne nennenswerte Konflikte.

Verabschieden die Parteitage in Dortmund wie erhofft die Gründungsdokumente, steht fest: Zwischen dem 30. März und dem 18. Mai läuft unter den Mitgliedern von Linkspartei und WASG eine Urabstimmung. Ergibt sich daraus ein zustimmendes Votum, soll es am 15. Juni in Berlin zwei parallele Konvente geben und einen Tag darauf die Gründung der neuen Partei, für deren Vorsitz neben Lothar Bisky wohl Oskar Lafontaine kandidieren dürfte.


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