Der 23. Juni markiert einen Triumph für die Rechtsparteien in Europa. Durch den Sieg des Brexit-Lagers ist in ihren Augen mit Großbritannien der erste Dominostein gefallen. Weitere sollen folgen, bis die ihnen verhasste EU schließlich Geschichte geworden ist. Entsprechend unverhohlen fiel der Jubel im rechten Lager aus. Nigel Farage von der britischen Ukip verkündete, sein Land sei nun „unabhängig“ geworden und habe dazu „nicht eine einzige Kugel“ abfeuern müssen. Die tödlichen Schüsse, die mutmaßlich ein britischer Nationalist auf die proeuropäische Labour-Abgeordnete Jo Cox abgab, übersah Farage dabei geflissentlich.
Andere europäische Rechtsausleger reagierten ähnlich wie Farage. Schon kurz nach Bekanntgabe des Endergebnisses frohlockten sie auf Twitter: Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National rief dort den „Sieg der Freiheit“ aus und erneuerte ihre Forderung, auch in Frankreich über die EU-Mitgliedschaft abstimmen zu lassen. Ihr niederländischer Verbündeter, der Rechtspopulist Geert Wilders stieß ins gleiche Horn: „Hurra den Briten! Jetzt sind wir dran.“ Fast wortgleich sekundierte Matteo Salvini von der italienischen Lega Nord. Und Christos Pappas von der neofaschistischen Goldenen Morgenröte erklärte: „Wir wollen unser Land zurück.“ Der Deutlichkeit halber fügte der Grieche noch eine Grafik hinzu: Über einem ausgestreckten Mittelfinger steht dort auf Englisch: „Ruhe bewahren und scheiß auf die EU!“
Volksentscheide als Waffe
Die vollmundig ausgerufene Offensive gegen das vereinte Europa kommt zu einer Zeit, da die Rechtsparteien des Kontinents sich auch zunehmend besser vernetzen. Erst gut eine Woche vor dem britischen Referendum versammelte der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache in Wien gleichgesinnte Parteiführer und Abgeordnete zu einem „patriotischen Frühling“. Zur illustren Schar zählte neben Marine Le Pen und Wilders auch AfD-Mann Marcus Pretzell. Zudem funktioniert die länderübergreifende Zusammenarbeit immer besser.
Im Europaparlament etwa besteht neben einer Fraktion um Nigel Farage auch ein noch weiter rechts angesiedelter Zusammenschluss um Marine Le Pen. Noch vor wenigen Jahren waren solche Fraktionen stets an widerstreitenden Nationalismen gescheitert. Das ist mittlerweile anders. Ohnehin kopieren Europas Rechtsaußen schon länger ihre jeweiligen Erfolgsstrategien. Marine Le Pen beispielsweise lernte von der FPÖ, dass Populisten breitere Milieus ansprechen können als linientreue Rechtsextreme. Dementsprechend verordnete sie – gegen den Willen ihres Vaters und Parteigründers Jean-Marie – dem Front National ein geschickteres Auftreten.
Geradezu enthusiastisch reagieren diese Kräfte, wenn es einer Schwesterpartei gelingt, Mehrheiten für ihre Anliegen zu organisieren. Da ihnen das bei Wahlen noch nicht gelingt, bauen sie zunehmend auf Volksentscheide. In der Schweiz hat die SVP vorgemacht, wie auf diese Weise parlamentarische Mehrheiten übergangen werden können. Die Plebiszite gegen den Bau von Minaretten 2009 und gegen Zuwanderung 2014 dienen Europas Rechten als gelungene Beispiele. Kampagnen gegen Muslime und Migranten gehören seit Jahren zum Repertoire dieser Parteien.
Nun werden sie nach diesem Muster gegen Europa trommeln. Direkte Demokratie soll den Volkszorn über die Brüsseler Eliten bringen, Referenden sollen zu Misstrauensvoten gegen die jeweiligen etablierten Parteien werden. Marine Le Pen hat bereits angekündigt, im Wahlkampf 2017 gegen die EU agitieren zu wollen. Auch in Italien könnte Europa zum Kampagnenthema werden: Dort muss Premierminister Matteo Renzi im Oktober ein Verfassungsreferendum gewinnen, mit dem er sein politisches Schicksal verbunden hat. Und die größten Oppositionsparteien in Rom wollen entweder raus aus der EU wie die Lega Nord oder zumindest über den Verbleib im Euro abstimmen lassen wie die diffuse – wenn auch nicht rechte – 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo.
Noch ernster klingen die Drohungen aus Wien. Dort hofft FPÖ-Mann Norbert Hofer, bei einer möglichen Wahlwiederholung doch noch Bundespräsident zu werden und so Parteifreund Strache den Weg ins Kanzleramt zu ebnen. Gegenüber der Zeitung Österreich stellte Hofer bereits ein EU-Referendum binnen Jahresfrist in Aussicht.
Zugute kommt den Rechten dabei der verbreitete Frust über die EU, der sich keineswegs nur aus rassistischen oder nationalistischen Motiven speist. Denn die Haltung vieler Brexit-Befürworter findet sich auch anderswo in Europa: Viele Arbeitnehmer, Arbeitslose oder Einwohner des armen englischen Nordens vertrauen der politischen Elite in London schlicht nicht mehr. Als nahezu das gesamte britische Establishment gegen den Brexit eintrat, stimmten sie erst recht für den Austritt.
Gerade die englischen und walisischen Arbeitnehmer fürchten zudem ökonomische Nachteile durch EU-Einwanderer. Schuld daran trägt nicht allein der durchaus vorhandene Rassismus, betonen auch Labour-Linke wie Owen Jones und Paul Mason, sondern ebenso die verschärfte Konkurrenz infolge der neoliberalen Politik.
Großbritannien ist damit kein Sonderfall. Europas Gesellschaften haben sich in den Krisenjahren unbarmherzig in Gewinner und Verlierer gespalten: Während Thatchers Erben in London aus eigenem Antrieb kürzten und sparten, setzte vor allem die Bundesregierung europaweit einen Austeritätskurs durch. Doch die EU-Krisenpolitik attackiert nicht nur den Sozialstaat und Schutzrechte für Arbeitnehmer, sie hat zudem eine antidemokratische Schlagseite. Denn gerade im Umgang mit Griechenland wurde im vergangenen Sommer ein Strukturproblem der EU deutlich: Was die Bürger auf nationaler Ebene an Gestaltungsmöglichkeiten verloren haben, wurde auf europäischer Ebene nicht kompensiert. Die Griechen fühlen sich daher verständlicherweise um ihr Nein zur Sparpolitik betrogen, ihre traditionelle Europabegeisterung ist in den vergangenen Monaten merklich abgekühlt. EU-Gegner nutzen das, um die „Fremdbestimmung“ aus Brüssel zu geißeln, die von Leuten wie Farage denn auch als „EUdSSR“ geschmäht wird.
Bedauern aus Ungarn
Wenn das vereinte Europa jetzt unter Druck von rechts gerät, so ist dies ganz wesentlich dem Versagen seiner politischen Eliten geschuldet. Jahrelang haben sie die Märkte entfesselt und eine immer stärkere gesellschaftliche Spaltung in Kauf genommen. In der Krise schützten sie dann die Banken – oder das deutsche Exportmodell –, während in Südeuropa Hunderttausende in die Armut stürzten. Auf den ökonomischen Egoismus folgte offener Nationalismus. Nun vereinen die Rechten zahllose Verlierer dieser Politik im Zorn auf ebendiese Eliten. Und der Zorn trifft Konservative und Sozialdemokraten in ähnlichem Maß.
Derart unter Beschuss geraten, werden es die etablierten Parteien schwer haben, jetzt glaubwürdig für die Vorzüge des vereinten Europas zu werben. Das gilt umso mehr, als die erstarkte Rechte derzeit nicht wirklich beweisen muss, dass nationale Abschottung tatsächlich ökonomische und politische Vorteile bringt. Zumindest solange London mit der EU über den Ausstieg verhandelt, kann sich die Rechte weiterhin auf bloße Behauptungen verlegen. So kann sie einstweilen weiter davon träumen, die EU von innen zu zersprengen – und dabei womöglich gar an die Macht zu kommen.
Nicht alle nationalistischen Parteien aber freuen sich über die Entscheidung der Briten. Ungarns Premier Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński von der polnischen Regierungspartei PiS reagierten sogar bedauernd. Denn so sehr sie die Werte des vereinten Europas ablehnen, wissen sie doch, dass ihre Länder sich einen EU-Austritt schlicht nicht leisten können. So verlieren sie mit Großbritannien nun einen wichtigen Mitstreiter für eine beschränkte EU. Doch auch Orbán hat ein Referendum in petto: Noch in diesem Jahr will er über die EU-Flüchtlingsquoten abstimmen lassen. Europa kommt nicht zur Ruhe.
Steffen Vogel ist Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik
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