Der Erzfeind hat noch Reserven

Riskantes Spiel Äthiopien sieht sich nach der Intervention in Somalia mehr denn je als künftige Regionalmacht am Horn von Afrika

Jährlich feiert Äthiopien den bedeutendsten Sieg einer afrikanischen Armee über europäische Kolonialtruppen. Mit einer Niederlage in der Schlacht von Adwa bezahlte vor gut 100 Jahren das italienische Königshaus seine Expansionsgelüste in Afrika. Rom hatte seine Kolonie Eritrea nach Süden erweitern wollen, doch General Oreste Baratieri und seine knapp 20.000 Mann mussten einer äthiopischen Übermacht weichen. Auch danach konnte das ostafrikanische Kaiserreich seine Unabhängigkeit gegenüber europäischen Begehrlichkeiten verteidigen. Unter Diktator Mussolini kehrte Italien zwar 1936 in das damalige Abessinien zurück und besiegte die Armee Haile Selassies - vermochte jedoch nie, das Land wirklich zu kontrollieren. 1941 zogen die Patriots genannten Partisanen gemeinsam mit den Briten in Addis Abeba ein.

Heute ist Äthiopien kein Kaiserreich mehr, aber die Regierung von Premier Meles Zenawi lässt selten eine Gelegenheit aus, nationales Selbst- und Traditionsbewusstsein zu demonstrieren und öffentlich von regionaler Macht am Horn von Afrika zu träumen. Deshalb auch der Feldzug gegen Erzfeind Somalia - ein Krieg, den Addis Abeba gern zum Akt der Selbstverteidigung verklärt.

Beide Länder verbindet eine innige Feindschaft, seit Mogadischu Ende der siebziger Jahre unter dem damaligen Präsidenten Siad Barre versuchte, dem Nachbarn die östliche Provinz Ogaden gewaltsam zu entreißen. Mit sowjetischer und kubanischer Hilfe wehrte Äthiopien seinerzeit eine von den USA unterstützte Intervention ab. Ogaden allerdings blieb ein Zankapfel zwischen beiden Staaten. In der Region siedeln hauptsächlich ethnische Somalis, die als Muslime zur zweitgrößten religiösen Gemeinschaft Äthiopiens zählen. Mit der Ogaden National Liberation Front (ONLF)operiert dort eine von vier separatistischen Guerilla-Formationen, die sich unlängst zu einer Art Dachverband zusammengeschlossen haben, dem auch Teile der zivilen Opposition angehören. Frontmänner der von den äthiopischen Truppen Ende Dezember aus Mogadischu vertriebenen Union der Islamischen Gerichte (UIC) hatten gleichfalls wiederholt Ogaden beansprucht. Ein Staat wie Äthiopien mit einer großen ethnischen und religiösen Vielfalt empfindet derartige Begierden nur allzu gern als Bedrohung, doch dürfen hinter dem Schlag gegen die islamistischen Gottestkrieger Somalias auch andere Absichten vermutet werden.

Tor der Tränen

In Äthiopiens Nachbarschaft laufen bedeutende Nervenstränge der regionalen und globalen Ökonomie zusammen. Der Westen sucht hier nach einem zuverlässigen Residenten, dessen Einsatz nicht unvergolten bleiben soll. Am Horn von Afrika nähert sich der schwarze Kontinent bis auf 27 Kilometer der arabischen Halbinsel. Bei Djibuti verbindet die Meerenge Bab al-Mandab - das "Tor der Tränen" - den Indischen Ozean mit dem Roten Meer. Täglich sind in dieser Gegend Öltanker von Asien nach Europa unterwegs, beobachtet und flankiert von deutschen wie amerikanischen Marine-Patrouillen der Mission Enduring Freedom. Die Ölfelder Saudi-Arabiens liegen nicht weit entfernt. Beidseitig der Meerenge, im Jemen wie in Somalia, werden weitere große Vorkommen des schwarzen Goldes vermutet.

Überdies gilt Äthiopien als Bindeglied zwischen dem muslimischen Norden und dem eher christlich geprägten Süden Afrikas. 40 Prozent seiner Bürger bekennen sich zum Islam, 55 gelten als orthodoxe Christen. Die USA hofieren die Regierung von Meles Zenawi als verlässlichen Bündnispartner, seit die sich im Anti-Terror-Kampf so entschlossen exponiert wie augenblicklich in Somalia. Als Gegenleistung darf der äthiopische Premierminister von seinem Gönner und Geldgeber wohlwollendes Wegsehen erwarten, falls in Addis Abeba wieder einmal Polizisten auf Oppositionelle schießen, weil Wahlergebnisse umstritten sind. Auch auf diplomatischem Parkett benötigt man Beistand. Im Krieg mit Eritrea hat Äthiopien den für seinen Außenhandel wichtigen Zugang zum Roten Meer verloren und pocht deshalb auf eine Revision des Friedensvertrages aus dem Jahr 2000.

Im großen Stil

Ein weiterer Global Player hat seine Fühler nach Ostafrika ausgestreckt. "Unser verlässlichster Partner", sagt Handelsminister Girma Biru in Addis Abeba dem Wall Street Journal, "ist China. Wir können viel von Peking lernen, nicht nur ökonomisch, auch politisch." Die Volksrepublik unterhält eine der größten Botschaften in der äthiopischen Kapitale, chinesische Unternehmen investieren seit Ende der neunziger Jahre im großen Stil beim Ausbau von Straßen und Kraftwerken, in Mobilfunknetze und die Pharmaindustrie. Für Äthiopien ein Segen und die Verheißung einer möglicherweise strategischen Partnerschaft. Schließlich verfügt das Land kaum über nennenswerte Rohstoffe und ist vorwiegend agrarisch geprägt. Mehr als die Hälfte der Äthiopier lebt von weniger als einem Dollar pro Tag. Immerhin ist das Bruttoinlandsprodukt im Vorjahr um 8,5 Prozent gewachsen, der Export gar um 20 Prozent. Regierungschef Zenawi spricht von einem Aufschwung, auch wenn er militärisch zu verspielen droht, was ökonomisch erreichbar scheint.

Schon jetzt finanziert Addis Abeba eines der größten stehenden Heere Afrikas und leistet sich eine modern ausgerüstete Luftwaffe. Treten die geschlagenen islamistischen Milizen in Somalia wie mehrfach angekündigt zu einem zermürbenden Guerillakampf gegen die Besatzer an, kann die äthiopische Präsenz ebenso schnell ausbluten, wie es vor fast anderthalb Jahrzehnten den Kontingenten der UNOSOM-Mission beschieden war. Ein Krieg nach irakischem Muster wäre für Äthiopien ökonomisch nie zu verkraften, geschweige denn politisch. Jeder in Somalia gefallene äthiopische Soldat stärkt die Opposition gegen Meles Zenawi in Addis Abeba und nicht nur dort. Auch die Separatisten in der Provinz Ogaden dürften nicht untätig bleiben, sollte sich das äthiopische Regime mit seinen regionalen Ambitionen übernommen haben.


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