Die andere Seite des Altherrenwitzes

Kommentar Wie die politische Kultur auf den Hund kommt, wenn Populisten regieren. Steffen Vogel über eine Zensur-Posse in Italien

Es klingt wie eine Provinzposse und ist doch viel mehr. Getreue des angeschlagenen italienischen Premiers Silvio Berlusconi aus der Region Veneto wollen kritische Autoren mit einem Bann belegen. Zunächst wies der Kulturbeauftragte eines Landkreises die Bibliotheken an, die Bücher zahlreicher Schriftsteller aus den Regalen zu nehmen und keine Lesungen mit ihnen zu orga­nisieren. Kurz darauf forderte die regionale Bildungsministerin die Schulen auf, die genannten Literaten nicht mehr im Unterricht zu behandeln und ihre Werke aus den Schulbüchereien zu entfernen.

In Ungnade gefallen ist der Philosoph Giorgio Agamben genauso wie Tiziano Scarpa, der 2009 noch mit dem renommierten Premio Strega geehrte wurde. Als unerwünscht gelten der Erfolgsschriftsteller Daniel Pennac und der Fantasy-Autor Valerio Evangelisti. Entfernt werden sollen neben einem Nanni Balestrini auch die Noir-Krimis von Massimo Carlotto. Den Vorwand für den Bannstrahl gegen diese und weitere Autoren liefert ein Aufruf aus dem Jahr 2004 zugunsten Cesare Battistis. Der gehörte in den siebziger Jahren einer linken Untergrundgruppe an und wurde in Abwesenheit wegen Mordes verurteilt. Battisti floh zunächst nach Frankreich, wo er sich eine Existenz als Schriftsteller aufbaute, und dann nach Brasilien. Als eine seiner letzten Amtshandlungen verhinderte Präsident Lula da Silva vor einigen Wochen die Auslieferung an Italien.

Einschüchterungsversuch

Zur Nebensache bei der Affäre gerät, ob Battistis Verfahren, gestützt auf die Aussagen von Kronzeugen, dubios war, wie Fred Vargas kritisiert, oder ob seine teils prominenten Unterstützer romantischen Illusionen aufsitzen, wie jüngst Antonio Tabucchi beklagt hat. Den Initiatoren des Bannes – ehemalige Aktivisten des neofaschistischen MSI, heute Mitglieder von Berlusconis Volk der Freiheiten – geht es um mehr. Carlo Lucarelli hat Recht, wenn er schreibt, hier solle der „Dissens zensiert“ werden. Der Krimi-Autor gehört nicht zu den Unterzeichnern des inkriminierten Aufrufs, fühlt sich aber an das Vorgehen einer „dummen Diktatur“ erinnert. Tatsächlich sollen die Bücher dieser Literaten nicht wegen ihrer Inhalte aus den Regalen und Klassenzimmern verschwinden – sondern wegen des Engagements ihrer Verfasser.

Ganz offensichtlich will die regierende Rechte ihre Macht nutzen, um kritische Intellektuelle abzustrafen und einzuschüchtern. Das ist keine neue Entwicklung: Unter der Hand werde schon länger Druck ausgeübt, unliebsame Bücher aus den Beständen zu nehmen, berichten Bibliothekare. Diese Werke blieben zwar im Katalog gelistet, stünden für eine Ausleihe aber dauerhaft nicht zur Verfügung. Ins Visier der Rechten ist wenig überraschend auch Roberto Saviano geraten, der jüngst auf Mafia-Verbindungen der Lega Nord hingewiesen hatte. Es ist dieselbe Lega, die den Regionalpräsidenten des Veneto stellt.

Nicht nur der offenkundige Machtmissbrauch gibt Anlass zur Besorgnis. Die Affäre zeigt exemplarisch, wie die politische Kultur eines Landes verroht, wenn Populisten regieren. Sexskandale kommentiert Berlusconi mit Altherrenwitzen. Ermittelt die verhasste Justiz, versucht er sich mit maßgeschneiderten Gesetzen zu schützen. In Italien, schreibt Roberto Ferrucci im Corriere della Sera sei heute – im Negativen – alles möglich. Auch, dass regierende Politiker zur Zensur aufrufen und trotzdem im Amt bleiben. Mit diesem Erbe wird Italien noch zu kämpfen haben, wenn Berlusconis Regierung schon Geschichte ist.

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