Gespenstische Schlachtfelder

Antimilitarismus "Elender Krieg": Schonungslos und detailfreudig zeigt der Comiczeichner Jacques Tardi das Töten und Sterben im Ersten Weltkrieg

Jacques Tardi gehört zu den Galionsfiguren des politischen frankobelgischen Comics. Der Zeichner leuchtet die Schattenseiten der französischen Gesellschaft aus und setzt dabei grafisch zumeist auf hartes Schwarz-weiß. Eine Konstante in seinem langjährigen Schaffen bildet die Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg. Ungeschönt hat er das Soldatenleben gezeigt, er hat surreale Geschichten rund um diesen Waffengang erzählt und dessen Nachwirkungen bis in die zwanziger Jahre verfolgt. In Elender Krieg unternimmt er jetzt eine zweibändige Gesamtschau der Jahre zwischen 1914 und 1919.

Tardis Zugang ist frei von Gedenktagsromantik und Heldenkult; Patriotismus oder die Faszination für Stahlgewitter sind ihm fremd. Auch die echten oder vorgeschobenen Kriegsgründe streift er nur am Rande. Zu Beginn zitiert er den Bischof Alfred Baudrillart, der im August 1914 erklärt, Frankreich könne sich „nicht anders erneuern als durch den Krieg, der es reinigt“. Diesen Unsinn konfrontiert Tardi fortan mit der schmutzigen Wirklichkeit des täglichen Sterbens an der Front.

Wir erleben die Ereignisse aus der Sicht eines Pariser Schlossers, der als einfacher Fußsoldat dient. Seine schnoddrigen Kommentare führen durch den Krieg an der deutschen Westfront. Der namenlose Soldat spricht teils derb, aber immer unverblümt und direkt. Mit beißendem Sarkasmus versucht er zu bewältigen, was man nicht verarbeiten kann.

Auch die Kolonialregimenter

Schon beim Abmarsch 1914 zeigt er inmitten des allgemeinen Jubelpatriotismus keinen Enthusiasmus: „In diesem Moment begann das wahre 20. Jahrhundert, mit seiner Kriegsbegeisterung und Fantasielosigkeit. Aber ich, ich hatte zu viel Fantasie. Ich sah mich als Leiche, gegen meinen Willen von einer Horde von Schwachköpfen mitgerissen, zusammen mit Tausenden anderer Leichen, und mir war nicht im Geringsten zum Lachen zumute.“

Die Alltagssprache des Ich-Erzählers kontrastiert Tardi mit einer strengen Komposition. Er ordnet fast durchgängig drei gleich große Panoramabilder auf einer Seite an. Dabei gelingen ihm eindrucksvolle Parallelmontagen. Gleich zu Anfang zeigen auf einer Doppelseite links drei Bilder den französischen Aufbruch in den Krieg, rechts drei Bilder den deutschen: Die Szenen gleichen sich. Erinnern sie noch an die bekannten historischen Fotos, liefert Tardi gleich auf der folgenden Seite das Antidot zum Heroismus: tote Pferde mit aufgerissenen Unterleibern, Schlachthofszenen, Leichen auf einem Sommerfeld.

Sein Antimilitarismus hindert Tardi nicht an der detailfreudigen Rekonstruktion des Kriegshandwerks. Historische Genauigkeit ist ein Markenzeichen dieses Künstlers, und auch in diesem Band stimmt jede Einzelheit, von Waffentechnik und Uniformen bis zu Stadtbildern und Alltagsgegenständen. Tardi unterschlägt die Kolonialregimenter aus Marokko und dem Senegal nicht. Und er zeigt den Übergang von der traditionellen Feldschlacht, bei der noch Kavalleristen mit Lanzen antreten, zum industrialisierten Krieg, als erstmals Giftgas wabert und Panzer rollen. Weitere Details und Hintergründe ergänzt der Historiker Jean-Pierre Verney in seinen beigefügten mehrseitigen geschichtlichen Abrissen.

Der Alltag an der Front

Klug dosiert Tardi die Farben. Anfangs kontrastiert er in leuchtenden Bildern einen strahlenden Sommer mit dem sinnlosen Sterben. Später dominieren in gedeckten Tönen gehaltene Winterszenen auf gespenstischen Schlachtfeldern. In dieser trostlosen Zeit lässt Tardi alle Farben verblassen und ins Gräuliche spielen, nur der Himmel ist in Rot getaucht.

Der für Tardi unübliche Einsatz von Farbe korrespondiert mit einer Erzählhaltung, die es dem Leser nicht einfach machen will. Tardi spart nichts aus, der Horror von Granateinschlägen im Schützengraben wird vollfarbig und ungeschönt gezeigt, umher fliegende Körperteile und spritzendes Blut inklusive. Aber der Ekel dient bei Tardi nicht dem Effekt, sondern soll eine aufklärerische Funktion erfüllen. Denn selbst eine kritisch gemeinte Darstellung läuft Gefahr, den Krieg bloß abzubilden oder gar Faszination für das Geschehen zu wecken. Tardi vermeidet diese Falle, indem er möglichst naturalistisch zeigt, was war. Gerade dadurch gelingt ihm eine beeindruckende Stellungnahme gegen den Krieg, den er als abstoßendes Gemetzel schildert.

Seine Aufmerksamkeit gilt dem kaum verkraftbaren Alltag an der Front. Er zeigt die Kälte, die Flöhe und die ständige Angst vor dem Tod, die mit billigem Alkohol mehr schlecht als recht betäubt wird. Während der eigentliche Kampf unübersichtlich bleibt oder mit Distanzwaffen ausgetragen wird, vergeht die Zeit mit Warten. Und hinter den Linien lauert die Feldpolizei auf Kriegsmüde, um sie den Erschießungskommandos zu übergeben. Den ganz Verzweifelten bleibt nur die Selbstverstümmelung, um die Heimreise antreten zu können. Tardi beschreibt die Brutalisierung ehemals freundlicher Männer, die nun ohne Zögern töten. Das nennt sein Protagonist unumwunden: Mord.

Elender Krieg 1914-1915-1916/Elender Krieg 1917-1918-1919 Jacques Tardi/Jean-Pierre Verney Aus dem Französischen von Martin Budde, Edition Moderne, Zürich 2009/2010, je 72 S., je 19,80

Steffen Vogel schrieb im Freitag zuletzt über die Comic-Adaption von Fahrenheit 451

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