Rundgänge

Comic Opa mit Radio ...

Opa mit Radio

Erkennt man Comic-Zeichner an ihrem Arbeitsgerät? Sitzen sie mit Tusche und Feder vor weißem Papier? Line Hoven hat für ihr Erstlingswerk einen mühseligeren Weg gewählt: Sie kratzte die Bilder aus Karton und legte kleinste Schichten und Konturen frei - eine ästhetische Technik, die bestens zu ihrem Sujet passt. Liebe schaut weg beleuchtet die Geschichte ihrer deutsch-amerikanischen Familie von den dreißiger Jahren an. Dabei streicht die Autorin inhaltlich wie optisch klare Linien aus dem schwarzen Papier, in dem der Band gehalten ist. Hoven zeigt Momentaufnahmen in kurzen Erzählsequenzen und Einzelbildern, vieles bleibt angedeutet. Politik wird über den Alltag vermittelt, etwa wenn ihr deutscher Großvater noch als Mitglied der Hitlerjugend ein eigenes Radio bastelt und ihm die ersten Töne entlockt. Doch die Musik, der er gebannt lauscht, stammt von dem jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy, und die nachfolgende Ansage schallt Englisch ins Zimmer. Ein vielversprechendes Debüt.

Line HovenLiebe schaut weg. Reprodukt, Berlin 2007, 96 S., 14 EUR


Jungs mit Träumen

Zu den ungewöhnlichsten jüngeren Comic-Künstlern zählt der Italiener Gipi. Seine Alben basieren teilweise auf Ölbildern, über die er fast skizzenhaft wirkende Figuren und Landschaften legt. Der flächige Untergrund und der harte Strich der Zeichnungen erzeugen eine einzigartige Atmosphäre. Gipis Bilderwelt bietet Raum für einen zweiten Blick jenseits der dynamischen Handlung. Die kreist meist um Adoleszenzerfahrungen, die in der Arbeitswelt, im kleinstädtischen Elend oder gar im jugoslawischen Bürgerkrieg angesiedelt sind. Gipi erzählt lakonisch und nuanciert von Geschichten, die das Leben eben schreibt, von begrenzten Rebellionen, von Verlusten und unbestimmten Zukunftsträumen. In 5 Songs wollen vier Jungs der Tristesse entfliehen und gründen eine Rockband. Ihre Familien sind so kaputt, wie Familien das oft sind, und die Realität bleibt nur für die Dauer eines Songs außerhalb des Proberaums. Wie stets zeigt Gipi auch in diesem Album unfertige Menschen, die ihre Unsicherheit übertönen wollen und die ersten Fehler ihres Lebens begehen. Sympathisch sind seine Protagonisten nicht unbedingt, aber sehr glaubwürdig. Man meint, solche Jungs zu kennen. Der differenzierte Blick, das Gespür für die wichtigen Details - gerade in den Dialogen - machen Gipis gelegentlich melancholische, zuweilen heitere Alben zu einem Lesevergnügen.

Gipi5 Songs. Avant, Berlin 2007, 128 S., 17,95 EUR


Antiquar mit Sohn

Die Arbeiten Jacques Tardis muten auf den ersten Blick klassisch an. Der Franzose setzt beinahe immer auf strenges Schwarz-Weiß und klare Panelgrenzen. Tatsächlich aber ist Tardi ein Unikat, sein grafischer Stil bleibt unverwechselbar: Markante Figuren agieren vor bis ins kleinste Detail stimmigen, meist urbanen, Hintergründen. Verwendet Tardi Romane als Vorlage - etwa Krimis von Léo Malet oder Jean-Patrick Manchette -, übertreffen seine grafischen Erzählungen an atmosphärischer Dichte oft das literarische Original. Mit Das Geheimnis des Würgers nach Pierre Siniac liegt ein typischer düsterer Tardi vor. Im Winter 1959 streikt die Pariser Polizei geschlossen, und ein Antiquar beschließt, Menschen zu erwürgen. Ausgerechnet der dickliche Adoptivsohn eines Polizisten ist eingeweiht. Die Motive des Mörders bleiben im Dunkeln: Im letzten Kapitel präsentiert Tardi verschiedene alternative Enden, und lässt dabei seine gelegentliche Neigung zum Surrealen aufblitzen. Davon abgesehen, betreibt der Autor eine akribische Milieustudie im Frankreich der Nachkriegszeit, präzise bis zu den Werbetafeln und ungeschönt, was die sozialen Realitäten der kleinen Leute betrifft. Stimmig auch die Präsentation: Jedes Kapitel des Bandes umrahmen fiktive Zeitungsseiten mit Artikeln gegen den Algerienkrieg, die Todesstrafe oder über die Nouvelle Vague.

Tardi/SiniacDas Geheimnis des Würgers. Edition Moderne, Zürich 2007, 96 S.,
22 EUR

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