Spielerische Satire

Computerspiele Computerspiele sind ein Medium politischer Kommunikation - sagen die Internetaktivisten von „La MolleIndustria“. Sie verbinden Unterhaltung und Gesellschaftskritik

Videogames als Kunstform? Das mag gewöhnungsbedürftig klingen. Hierzulande kreisen die Debatten meist aufgeregt um die vermeintliche Verrohung durch Ego-Shooter oder die angebliche Isolierung der PC-Spieler. Das italienische Programmierer-Kollektiv "La MolleIndustria" kennt solche Vorbehalte nicht. Die Internet-Aktivisten aus Mailand präsentieren seit sechs Jahren beißende Satiren in der Form unterhaltsamer Computerspiele.

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Paolo Pedercini, der die Gruppe 2003 ins Leben rief, sagt: „Die allgemeine Wahrnehmung, mit der wir uns beschäftigen müssen, ist: Spiele sind Unterhaltung – und Unterhaltung ist gleichbedeutend mit Spaß.“ Das sei aber nicht alles, was Computerspiele leisten könnten. "La MolleIndustria" begreift die Spiele als bedeutenden Teil der Alltagskultur. Wie jede andere Kunstform könnten sie Gefühle und Ideen ausdrücken. Folglich sollten sie die soziale Realität widerspiegeln und ein Medium für politische Kommunikation bieten.

Videospiele sind heute Teil einer globalen Kulturindustrie, die Branche setzt mehr um als die Filmwirtschaft. Das unterwerfe die Spiele einer „Diktatur der Unterhaltung“, sagt Pedercini. Doch die Mailänder beklagen nicht einfach die ökonomische Verwertung kultureller Güter – sie betreiben lieber die Wiederaneignung des Videospiels: „Wir glauben, dass der explosive Slogan ‚Don’t hate the media, become the media’ auch auf dieses Medium passt.“
Eingelöst haben die Programmierer diesen Anspruch in einem ihrer bekanntesten Spiele, dem „McVideo Game“, einer Parodie auf die Fast-Food-Industrie. In dieser Wirtschaftssimulation muss der Spieler einen Hamburger-Konzern profitabel leiten. Gerät er zu tief in die roten Zahlen, geht das Spiel verloren. Vier Aufgaben gilt es dabei gleichzeitig zu bewältigen: In einem Land der Dritten Welt verwandelt der Spieler Urwald in Ackerflächen, zudem kontrolliert er die Rindermast im Stall, heuert und feuert das Verkaufspersonal und leitet die PR-Abteilung. Die Pointe des Spiels: Wer nicht bereits nach fünf Minuten Spielzeit Pleite gehen will, muss zu schmutzigen Tricks greifen. Und davon hält das "McVideo Game" einige bereit. Verbraucherverbände können mit Imagekampagnen besänftigt werden, für Sojafelder und Ställe stehen reichlich Gentechnik und Chemiepräparate zur Verfügung. Der Spieler darf wahllos Angestellte entlassen und Hamburger aus kranken Kühen produzieren.

Nicht nur bei diesem Spiel verzichten die Mailänder konsequent auf den erhobenen Zeigefinger. An ihre Stelle treten der satirische Blick auf die Wirklichkeit und tiefschwarzer Humor. Die Respektlosigkeit von "La MolleIndustria" hat zuweilen wütende Reaktionen provoziert. Vor zwei Jahren hievten christdemokratische Parlamentarier ein Spiel der Programmierer auf die Tagesordnung des italienischen Abgeordnetenhauses. „Operation Pedopriest“ karikiert boshaft bis zur Schmerzgrenze die Haltung der katholischen Kirche bei Fällen von Kindesmissbrauch durch Geistliche. Der Spieler leitet eine Task Force des Vatikans, die Zeugen unter Druck setzt und die kriminellen Priester vor der Polizei verbirgt. Die wütenden konservativen Volksvertreter forderten ein Verbot des Spiels. Mittlerweile ist es aber wieder auf der Homepage der Gruppe zu finden.

Nicht nur die Lust an der Provokation sorgt für einigen Spielspaß. Sämtliche Flashgames des Kollektivs sind gut animiert und überzeugen auch grafisch mit einer phantasievoll gestalteten Optik. "La MolleIndustria" will mehr als nur ein Nischenpublikum erreichen, wie Paolo Pedercini betont: „Wir wollen Mainstream sein und gleichzeitig einen alternativen Blickwinkel vermitteln", sagt Pedercini. "‚Die Simpsons’ sind ja auch keine Gegenkultur. Wir machen keine unterhaltsamen Spiele für radikale Menschen, sondern radikale Spiele für Menschen, die Unterhaltung mögen.“

Daher genüge es nicht, die gewohnten Computerspiele mit alternativen Inhalten zu füllen. Schon der Entscheidung für Form und Aufbau eines Spiels wohne ein politischer Charakter inne. „Die Ideologie eines Spiels liegt in seinen Regeln, seinen unsichtbaren Mechanismen und nicht nur in seinen erzählenden Teilen“, schreibt die Gruppe auf ihrer Homepage. Das beherzigt das Programmierer-Kollektiv auch bei seinen beiden jüngsten Kreationen.

Im „Free Culture Game“ – einem sehr minimalistischen Spiel – muss der freie Austausch von Ideen vor dem Zugriff der Copyright-Verfechter geschützt werden. Das Programmier-Kollektiv selbst hat natürlich alle eigenen Spiele unter Creative Commons lizenziert, sie werden außerdem ausschließlich online vertrieben. Auf Kulturförderung verzichten die Programmierer ebenfalls. Ihre Unabhängigkeit möchten sie auch gegenüber Kunststiftungen oder NGOs bewahren.

Aufwendiger als das "Free Culture Game" zeigt sich „Oiligarchy“. Der Spieler übernimmt nach dem Zweiten Weltkrieg die Leitung eines texanischen Erdölkonzerns. Seine Aufgabe ist es, die Ölförderung permanent zu steigern. Zur Spielpraxis gehören üppige Zuwendungen an beide Washingtoner Parteien und reichliche Bestechungsgelder fürs nigerianische Militär, das im Gegenzug die Proteste im Nigerdelta blutig unterdrückt. Mit Umsturzversuchen kann außerhalb der Zugriff aufs irakische Öl erlangt werden - Parallelen der Spielhandlung zu realpolitischen Ereignissen sind natürlich nicht zufällig.

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