Wie sexpositiv ist Deutschland?

Sexpositivität Sexpositives Leben ist überall. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des Online-Magazins LUST, welche die 50 größten Städte Deutschlands hinsichtlich ihrer sexuellen Offenheit untersucht hat.

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In welcher Stadt geht es besonders lustvoll zu? Und was bedeutet Sexpositivität im Jahr 2022 eigentlich konkret? Eine Bestandsaufnahme.

Historisch betrachtet, ist der Begriff „Sexpositivität“ alles andere als neu. Er kam bereits in den 1970er Jahren in feministischen Diskussionen darüber auf, wie eine patriarchale Gesellschaft hin zu einem liberalen und gleichberechtigten Zusammenleben verändert werden konnte. Während sich die einen klar gegen sexualisierte Darstellungen in den Medien aussprachen, formierte sich erstmals eine Bewegung, die den Versuch unternahm, Sexualität positiv zu denken.

Die Sexualwissenschaftlerin Laura Mérrit erklärt dazu in einem Essay: „Ab 1979 gründeten sich antipornografische Gruppen, die tatkräftig und gesetzlich gegen objektivierende und gewaltvolle Darstellungen von Frauen loszogen und ihren Wirkungsbereich auf Prostitution und SM ausdehnten. Das rief Aktivist*innen aus verschiedenen Bereichen in die Öffentlichkeit, die sich als sexpositive Bewegung formierten: Zensurgegner*innen, LGBTI*-Personen, Sexradikale und Aktivist*innen, BDSM und Sexarbeit praktizierende oder befürwortende Feminist*innen und andere antiautoritäre Frauenbewegte.“

Und auch heute, rund 50 Jahre später, ist die feministische Bewegung immer noch zweigeteilt was die Themen der Prostitution und Pornographie betrifft. Während die einen den Sexkauf nach nordischem Vorbild grundsätzlich verbieten möchten, setzen sich die anderen für einen liberalen Umgang damit ein.

Die mediale Rezeption der Studie „Sexpositives Deutschland“ des Online-Magazins LUST macht den Zwiespalt hierzulande deutlich. Häufig genannter Kritikpunkt in den Medien: Die Studienmacher:innen, die sich laut eigenen Angaben für eine Entstigmatisierung der Sexarbeiter:innen-Branche einsetzen, hätten es gewagt, Prostitution als Kriterium für sexpositives Leben zu denken.

So äußert die Neue Osnabrücker Zeitung Zweifel an der Aussagekraft der Studie. Interessanterweise jedoch nicht aufgrund der genannten Daten – sondern einzig und allein, weil in der Studie die Anzahl der örtlichen Sexarbeiterinnen und Bordellen überhaupt eine Rolle spielt. Neben zehn weiteren Kriterien (wie u.a. LGBTIQ-Einrichtungen, Sex Shops, Gesundheitsangebote, PrEP-Stellen).

Auch das Wiesbadener Online-Portal wiesbadenaktuell.de fragt eher rein rhetorischer Natur: „Aber ist Prostitution wirklich positiv?“, um dann die Prostitutionsaussteigerin Huschke Mau zu zitieren: „Frauen landen in der Prostitution, weil sie in Notlagen sind, keine Alternative sehen und Gewalterfahrungen mitbringen, die das Verhältnis zum eigenen Körper schwer gestört haben.“ Frauen, die als Sexarbeiter:innen tätig sind, müssten also „schwer traumatisiert“ sein.

Zu welchen Ergebnissen die Studie eigentlich kommt, z.B. dass Köln Deutschlands sexpositivste Stadt sein soll, und dass vor allem kleinere Städte die Osnabrück, Freiburg und Mannheim im Ranking überzeugen, weil sie gerechnet pro Einwohner mindestens ebenso viel sexpositiven Lifestyle zu bieten haben wie Berlin, ist dann eher zweitrangig.

Viel interessanter ist die Tatsache, dass sexpositives Leben hierzulande immer noch diskussionswürdig ist.Und das selbst im Jahr 2022.

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