Seine Botschaft war diesmal klar und deutlich zu verstehen: "Ich verkünde einen Waffenstillstand mit den europäischen Ländern, die keine muslimischen Länder angreifen", sagte die Stimme in arabischer Sprache auf einem Tonband, das die beiden Fernsehsender Al Arabija und Al Dschasira am Donnerstag vergangener Woche ausstrahlten. Der vermeintliche Sprecher: Osama bin Laden, den das US-Wochenmagazin Time in dieser Woche als einen der weltweit 100 einflussreichsten Menschen einstufte - neben Persönlichkeiten wie UN-Generalsekretär Kofi Annan, Papst Johannes Paul II. und US-Präsident George W. Bush. Das Besondere an dem ominösen Waffenstillstandsangebot war jedoch weniger, dass die Medien als massenkompatible Plattformen terroristischer Botschaften eingesetzt wurden als vielmehr die Form der publizistischen Übermittlung: Um offenbar mit der europäischen Bevölkerung direkt zu kommunizieren, enthielt der 23 Minuten dauernde TV-Beitrag des Terrorpaten mehrere Texttafeln mit englischen und deutschen Übersetzungen.
Bin Laden wird als Hintermann des schwarzen Dienstag gehandelt; er selbst hat sich niemals persönlich zum Attentat auf das World Trade Center bekannt, sondern lediglich bekräftigt, die Täter des 11. September hätten ganz in seinem Sinne gehandelt, er sei stolz auf sie, und das Paradies sei ihnen sicher. Die damals schon unter Druck geratenen US-Geheimdienste stempelten bin Laden fast zeitgleich mit dem Einsturz des zweiten Zwillingsturmes zum Hauptverantwortlichen der Anschläge. Dankbar nahm ihnen die westliche Medienwelt diese Vorverurteilung ab, und von diesem Zeitpunkt an glich bin Laden immer mehr einem jener übermächtigen Oberschurken aus den James-Bond-Filmen, die im Terroruntergrund die Fäden spinnen und mit allen Mitteln die Weltherrschaft an sich reißen wollen.
Auf der Ebene der Mystifizierung von Terroristen in den Medien ist bin Laden kein Einzelfall. Bevor der Sohn eines saudischen Öl-Milliardärs den Thron des "meistgesuchten Terroristen der Welt" bestieg, rangierte der - seit nunmehr zehn Jahren in Pariser inhaftierte - Venezueler Ilich Ramírez Sánchez alias Carlos - "der Schakal" auf dessen Platz. Carlos´ Überfall im Jahr 1975 auf die OPEC-Konferenz gilt als eine der spektakulärsten Terroranschläge der Nachkriegsgeschichte - und begründete einen neuen Medienmythos. Fast zwei Jahrzehnte lang bombte, überfiel und entführte der "Top-Terrorist" im Auftrag palästinensischer Extremisten, östlicher Geheimdienste und nahöstlicher Diktatoren, darunter Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein. Noch zu Beginn seiner Terroristenkarriere wurde er von den Medien durchaus als charismatischer Revolutionär eingeführt, dessen mediales Konterfei mitunter Ähnlichkeiten mit dem des Guerilla-Führers Ché Guevara hatte. Einige Anschläge und Menschenleben später verlor seine Revoluzzer-Aura jedoch allmählich an Profil; Carlos´ Medienbild musste revidiert werden.
Der Grund: Die ungeschminkte Realität war weitaus banaler, als die Medienwelt zugegeben wollte. In Carlos´ Terrorakten lag kaum eine Spur von politischer Motivation; Revolutionen fanden einzig in den Köpfen einiger Journalisten statt, die ihn nur in seltenen Fällen persönlich getroffen hatten. Carlos war nicht mehr als ein Söldner.
Das mediale Schillern zwischen Robin-Hood-Image und Staatsfeind Nr. 1 treibt manch seltsame Spätblüte: Die Erinnerungen an die radikalen Ansichten der Rote Armee Fraktion sind nach zwei Jahrzehnten fast ganz verblasst; Ende der 1990er Jahre kehrte die RAF als Lifestyle-Phänomen wieder, für kurze Zeit wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof zu Popikonen der Moderne verklärt. Plötzlich galt nicht mehr die politische Ideologie der Systemgegner von einst als Kult, sondern die Woolworth-Pantoffeln Andreas Baaders. Aus dem sinnentleerten T-Shirt-Aufdruck "Prada Meinhof" wurde rasch ein Trendlabel gestrickt, das das neue Lebensgefühl des aus Hamburg stammenden Mode-Mainstreams repräsentieren wollte.
Die geglückte Selbstinszenierung spielte allerdings für die Terroristen der 1970er Jahre schon eine entscheidende Rolle. Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass Terrorismus "primär eine Kommunikationsstrategie" ist, wie der Soziologe Peter Waldmann provokant behauptet. Als Paradebeispiel führen er und andere Terrorismus-Forscher den Überfall der radikalen Palästinenserorganisation Schwarzer September auf israelische Sportler anlässlich der Olympischen Spiele 1972 in München an. Der Terrorgruppe sei es damals gelungen, mit einem Schlag über 800 Millionen Fernsehzuschauer auf sich aufmerksam zu machen. Die aktuellen Anschläge scheinen Waldmann Recht zu geben. Auch die Krisenberichterstattung über die Bomben von Madrid hat ihre Wirkung nicht verfehlt: Angstvoll verfolgte ein europäisches Millionenpublikum die Bergung der Opfer und den Ausgang der Polizeiermittlungen. Und die Attentate von New York und Washington fesselten weltweit sogar Milliarden an die Fernsehschirme: das globale Medienereignis als Matrize für die Terrorbotschaften Al Qaidas - zweifellos ein unfreiwilliger Multiplikationseffekt.
Die Symbiose von Terrorismus und Journalismus erklärt Waldmann damit, dass Massenmedien ein "Transmissionsriemen", also eine Art Sprachrohr für ihre terroristischen Forderungen darstellten. Weil Terroristen bei einer größtmöglichen Anzahl von Menschen einen psychologischen Effekt auslösen wollten, seien sie von den Journalisten abhängig. Umgekehrt gilt das Gebot, dass Journalisten terroristische Ereignisse - aufgrund der Negativqualität - schließlich nicht ignorieren könnten. Fazit: Auch kleine Terrorvereinigungen erreichen so einen maximalen Störeffekt.
Vor allem auch der technologische Sprung der vergangenen Jahre, der heute praktisch überall eine Echtzeit-Übertragung terroristischer Anschläge oder zumindest ihrer unmittelbaren Folgen ermöglicht, haben die Symbiose-These erhärtet. Und damit auch die Vermutung, dass Terroristen ihre Aktionen derart mediengerecht planen, dass sie die öffentliche Aufmerksamkeit automatisch und gezielt auf sich lenken.
"Nur durch Verbreitung der Nachrichten über den Terror und die Greueltaten unter einem viel größeren Publikum können die Terroristen die maximale Hebelwirkung erzielen, die sie benötigen, um fundamentalen politischen Wandel durchzusetzen", glaubt Bruce Hoffman, Berater zahlreicher Regierungen und Unternehmen in Terrorismusfragen sowie Direktor des Washingtoner Büros der RAND Corporation. Hoffman spricht zusätzlich vom "Rausch des Live-Sendens", den Terrorismus zu bedienen wüsste: Gerade das Fernsehen, so Hoffman, präsentiere sich als "leerer Raum voller laufender Kameras und eingeschalteter Mikrofone, der sich geradezu dazu anbietet, von Terroristen ausgenutzt und manipuliert zu werden." Und nachdem ein Ereignis erst einmal existiere, seien beide - Terroristen wie Medien - daran interessiert, dessen mediale Langlebigkeit zu sichern.
"Nicht alle Terroristen wollen Öffentlichkeit", glaubt der Erfurter Orient-Experte Kai Hafez. Viele Terrorzellen würden lieber unbemerkt im Untergrund arbeiten und hassten Publicity. Zudem sei "die Weitergabe von Nachrichten über Terrorakte alternativlos", findet auch Hafez. Man könne die Medien als Überbringer nicht für die schlechte Botschaft verantwortlich machen. Daher fordert Hafez dazu auf, weniger über das "Ob", sondern vielmehr über das "Wie" in der aktuellen Mediendarstellung von Terrorismus nachzudenken - "um Terroristen", so Hafez, "nicht unnötig ein Forum für ihre Absichten zu liefern".
Vor dreieinhalb Jahren lieferte die Geiselnahme der Göttinger Familie Wallert durch die radikal-islamischen Abu-Sayyaf-Rebellen den Beweis dafür, wie überfällig diese Diskussion ist. Damals waren Journalisten so nahe an die Abu Sayyaf herangekommen, dass sich dem Zuschauer der Eindruck aufdrängte, deutsche Journalisten betrieben vor Ort einen sensationslüsternen Geiseltourismus.
Vergessen war die journalistische Sorgfaltspflicht. Was zählte, waren Exklusiv-Interviews mit Geiseln und Terroristen aus dem Krisengebiet im philippinischen Busch - Pietät hin oder her. Sogar einen Pressespiegel mit Artikeln über die Entführung hatten ein paar eifrige Stern-Reporter mitgebracht - und zeigten sie den stolzen Entführern, so dass ihnen das öffentliche Interesse, das der Geiselnahme im Heimatland der Entführten entgegengebracht wurde, nicht entgehen konnte. Dass die Medien auf diese Weise von den Terroristen und zugleich die Wallert-Familie von den Medien instrumentalisiert wurden, passt ins Bild einer symbiotischen Liaison, die zu der (traurigen) Schlussfolgerung führt, Medien und Terroristen sei es in jenem Entführungsfall letztlich um ein und dasselbe gegangen: Aufmerksamkeit und Geld.
Allein, es genügt nicht, Terroristen zu entmystifizieren oder ihnen den Medienzugang zu erschweren - was, je nach Situation, einer Nachrichtensperre gleichkäme. Die Symbiose von Journalismus und Terrorismus hat viele Facetten, angefangen bei der Mystifizierung über die Selbstinszenierung bis zur technischen Infrastruktur. Eine Einschränkung der Pressefreiheit ist sicher keine Alternative. Eine stärkere Selbstkontrolle, mehr Zurückhaltung bei Live-Berichterstattungen und mehr Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit den Bildern und Botschaften von Terroristen ist aber erstrebenswert, gerade auch, was die kritiklose Übernahme vorschneller Generalverdachte, Beispiel Madrid, und die mediale Konstruktion von Freund-Feind-Schemata, Beispiel 11. September, betrifft. Eine größere Transparenz journalistischer Arbeitsweisen, etwa das Offenlegen von Quellen im Falle von Bekennerschreiben oder -videos, sollte dagegen selbstverständlich sein. Dies erhöht nicht nur die Orientierungsleistung für den Zuschauer, sondern gibt ihm vor allem das Gefühl, mit der Terrorberichterstattung nicht alleine gelassen zu werden.
Der moderne Terrorist, hat der Terrorismusforscher Franz Wördemann einmal formuliert, habe sich zu einem Schausteller und Entertainer entwickelt, der das Fernsehen als Bühne benutze. Diese These mag vielleicht etwas überzogen klingen. Angesichts der publizistischen Durchschlagskraft, die ihre unverhofften grausamen Bluttaten jedes Mal haben, scheint den Terroristen allerdings ein Dauerengagement auf dieser Bühne sicher.
Stephan Alexander Weichert arbeitet als Medienwissenschaftler am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg.
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