Die neuen Leiden der digitalen Z.

Zeitungskrise Warum die Presse den Medienwandel endlich als Chance begreifen sollte
Die neuen Leiden der digitalen Z.

Foto: Otto für Der Freitag

Nun erschien die Financial Times Deutschland zum letzten Mal. Es ist das Ende eines ambitionierten Projekts und die weitere Abwicklung einer profilierten überregionalen Tageszeitung. Wir erleben in diesen Tagen eine moralinsauren Debatte um die drohende Apokalypse des so genannten „Qualitätsjournalismus“, in der gerne viele gut gemeinte Ratschläge, aber auch düstere Prognosen gegeben werden.

Doch was wir brauchen, sind keine neuen Propheten, sondern nüchterne Reflektionen. Den Medienwandel kann man auch als Chance begreifen. Dafür sind aber konstruktive Ideen notwendig, die die gegenwärtige Übergangszeit der schöpferischen Zerstörung mit Pioniergeist erfüllen.

Last-Minute-Journalismus

Es gibt sicher einige Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, die besonders verwundbar sind, die vieles falsch gemacht haben und nach wie vor eine kindliche Abwehrhaltung gegenüber dem Internet an den Tag legen. Trotzdem sollten wir nicht verfrüht von einer „kollektiven Zeitungskrise“ sprechen. Noch steht uns der Kollaps der Presse nicht bevor, noch sollten wir keinen Last-Minute-Journalismus betreiben. Zwar mag das Verfallsdatum der Papierzeitung, wenn man sich die Auflagen und die Gewohnheiten der Nutzer ansieht, bald überschritten sein. Doch sollte man dies nicht als Niedergang der Holzpresse verstehen, sondern als Neuanfang der digitalen. „Viele Tageszeitungen könnten eine Zukunft haben“, meinte Zeit-Online-Chef Wolfgang Blau neulich, „aber nur, wenn sie das Netz nicht als ihren Feind empfinden.“

So manch einer vermutet in den befürchteten Insolvenzen weiterer Qualitätsblätter schon den nahenden Zusammenbruch der intellektuellen Reflektion und des gesellschaftlichen Diskurses. Dies ist ein Trugschluss, das zeigen schon die leidenschaftlichen Debatten und die Transparenz, die das Internet immer zu bieten hatte. Nein, die Zeitung ist wahrlich nicht der einzige Ort für politische Diskussionen. Denn erst das Netz hat die Distanz zwischen den Medien und ihrem Publikum auf ein basisdemokratisches Maß geschrumpft.

Zeitung bleibt Zentralorgan

Aber richtig ist auch: Nur die Grundidee der Zeitung vermag es, der andauernden Spaltung der Mediennutzer etwas Wirksames entgegenzusetzen. Dort, wo durch Twitter, Facebook und YouTube immer nur jeweils individuelle Teilöffentlichkeiten entstehen, kann die Presse eine konsistente Öffentlichkeit stimulieren. Die Zeitung, ob gedruckt oder in digitaler Form, wird alleine schon deshalb das Zentralorgan der Gesellschaft bleiben, weil sie die unzähligen versprengten Informationen und Nachrichten des Tages professionell zusammenführt, einordnet und bewertet.

Dieser Tag hat bekanntlich nur 24 Stunden. Durch den ständigen Zuwachs an mobiler Kommunikation steigen Leistungsdruck und Reizüberflutung, unsere Aufmerksamkeit wird in der digitalen Arena zur kostbarsten Ressource. Der Zeitungsjournalismus profitiert von dieser Aufmerksamkeitsökonomie, er entschleunigt Debatten und liefert uns am Ende auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Gerade in diesem Ritual der Verbindlichkeit, das sich mit der Presse seit Anbeginn der Demokratie verbindet, liegt nach wie vor auch der Schlüssel ihres Erfolgs. Denn diese Synchronisationsfunktion, breite Teile der Bevölkerung auf gemeinsame Themen und Ereignisse zu verpflichten, wird ihr so schnell keiner nehmen. Die Presse hat zweifellos ihre besten Zeiten noch vor sich – aber nur, wenn sie sich auf die Zukunft einlässt.

Voraussetzung dafür ist allerdings ein radikales Umdenken in den Medienkonzernen. Denn schon heute zeichnet sich ab, dass sich der Journalismus künftig nicht mehr ausschließlich am Markt orientieren wird. Vier Faktoren spielen bei dem Versuch, den Journalismus im digitalen Zeitalter neu zu positionieren, eine zentrale Rolle:

Der Markt Natürlich wird sich der Großteil journalistischer Angebote weiterhin über den Markt finanzieren müssen. Nur die Kaufkraft der Konsumenten kann eine unabhängige, staatsferne Presse garantieren – allerdings gilt der Erfolg von Bezahlschranken, Gateway-Modellen oder virtueller Leserclubs dauerhaft nur für gut funktionierende Medienmarken wie Spiegel, Economist, Financial Times oder die New York Times.

Der Staat Daneben müssen wir heute verstärkt sanfte Formen staatlicher Eingriffsformen diskutieren, wonach der Journalismus als gesellschaftliches Allgemeingut zu betrachten ist, das es zu schützen und zu erhalten gilt. Ich denke hier aber weniger an Beihilfen als vielmehr an die Ausweitung einer öffentlichen Haushaltsabgabe auf alle journalistischen Qualitätsmedien – also nicht nur wie bisher beschränkt auf den den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Die Masse Journalistische Qualität kann auch durch Crowdfunding gesichert werden. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Finanzierung über die „Crowd“, also die Masse der Bürger und Konsumenten. Crowdfunding-Plattformen in den USA zeigen, dass in dieser Form von Klein- und Kleinstspenden noch viel Potenzial für die Finanzierung spezieller journalistischer Angebote steckt.

Die Mäzene Auch in Deutschland wird inzwischen über Finanzierungsalternativen jenseits von Markt, Staat und Masse nachgedacht. Dabei geht es, ähnlich wie in den USA, um private Mäzene und politikferne Stiftungen, die sich als zivilgesellschaftliche Agenten für Aufbau und Erhalt einer unabhängigen Qualitätspresse einsetzen. Dass solche Modelle funktionieren, zeigen seit langem Non-Profit-Redaktionen wie ProPublica oder California Watch.

Dritter Weg

Man kann dem US-Medienmarkt dabei durchaus eine Trendsetter-Funktion zuschreiben. Die Medienkrise, die dort wesentlich früher einsetzte, hat das journalistische Angebot inzwischen stark verändert. Auch hierzulande müssen wir deshalb dringend über alternative Finanzierungsformen nachdenken. Insbesondere in der Förderung des Journalismus durch Stiftungen und Mäzene stecken große Chancen zur Qualitätssicherung und zur Stärkung einer tragenden Säule der Zivilgesellschaft.

Es geht bei diesem „Dritten Weg“ nicht um eine großflächige Dauersubvention der Presse wie dies beispielsweise in Österreich der Fall ist, sondern um Finanzierungsalternativen für bestimmte journalistische Bereiche, die sich am Markt in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht mehr behaupten können. Es geht aber auch um besonders kostbare journalistische Nischen, die der gesamten Branche wichtige Impulse geben könnten. Drei Bereich sollten gefördert werden:

Recherche Gerade die kostenintensive Recherche von investigativen Themen ist defizitär und chronisch unterfinanziert. Ein Engagement über zusätzliche Anreizsysteme wie etwa Stipendien oder die Zusatzförderung von aufwändigen Recherchereisen wäre deshalb sicherlich sehr hilfreich.

Innovation Hier gibt es großen Nachholbedarf. Und es wäre mittelfristig viel zu gewinnen. Denn die Förderung von Media Labs an Hochschulen und Akademien über Fellowships könnte durchaus die erhoffte Impuls-Wirkung für Verlage und Sender haben.

Qualität Schließlich sollte man darüber nachdenken, eine Stiftung Qualitätsjournalismus zu gründen, die anspruchsvolle journalistische Projekte fördert, aber auch selbst publizistisch aktiv werden kann. In den USA gibt mit ProPublica oder der Knight Foundation längst erfolgreiche Modelle.

Der mäzenatische Journalismus ist sicher kein Allheilmittel gegen das Zeitungssterben – aber ein Anfang, um ein wenig den ökonomischen Druck aus dem Kessel zu lassen, während sich das journalistische Handwerk weiterentwickelt. Immerhin wird die Ko-Existenz von Print und Internet trotz des fundamentalen Umbruchs noch eine Weile funktionieren. Aber ohne den notwendigen Pioniergeist wird die gedruckte Zeitung geschwächt, während im Netz immer mehr Kostenlos-Angebote mit den Verlagen konkurrieren.

Wie also sieht die Zukunft aus? Wir werden wahrscheinlich eines Tages feststellen, dass sich die Medienwelt so sehr verändert hat, dass die Debatten um das Erbe der Papierzeitung einfach verschwunden sind. Der Journalismus wird als Beruf nicht aussterben. Aber das handwerkliche Können wird tiefer in der digitalen Sphäre verwurzelt sein. Und es werden nicht mehr die gleichen Produkte auf Bildschirm und Papier angeboten werden.

Die Hoffnung ist natürlich auch, dass bis dahin die Gratiskultur im Internet Vergangenheit ist. Dies wird spätestens dann der Fall sein, wenn sich die Gesellschaft darüber klar geworden ist, wie essentiell eine unabhängige Presse für das Funktionieren der Demokratie ist. Es ist nichts Anrüchiges daran, dass sich der Journalismus nicht aus sich selbst heraus finanzieren kann. Im Gegenteil, der Journalismus ist im Laufe seiner langen Geschichte schon immer quersubventioniert gewesen. Das wird auch künftig nicht anders sein – nur mit dem Unterschied, dass die Finanzierungsquellen nicht mehr alleine über den (Anzeigen)Markt, sondern über die Gesellschaft im Ganzen erschlossen werden müssen.

Stephan Weichert ist Professor für Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Hamburg

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