Als mit „Where are we now?“ ein erster Vorbote des neuen Bowie-Albums wie aus dem Nichts im Internet auftauchte, gab es ein Medien-Bohei, das im entzauberten Popzirkus dieser Tage wohl einmalig ist. Nicht, weil der Thin White Duke – der nach seiner Herzattacke ganze zehn Jahre im Privatleben abgetaucht war – anstelle eines Paukenschlags mit einer feinsinnigen, zurückhaltenden Ballade zurückkehrte. Nein, der Grund für das mediale Getöse war eindeutig, dass der Song und das dazugehörige Video mit sentimentalen Verweisen auf Bowies zwei Jahre und drei Alben währenden, sagenumwobenen Aufenthalt im geteilten Berlin Ende der Siebziger Jahre gespickt sind.
Pünktlich zum Rücktritt „unseres“ Pontifex von Amt und Identifikationswürden beschenkt uns eine der wenigen noch lebenden, wahren Pop-Legenden mit einer Hommage an Deutschlands einzige Metropole – und da, wenn es um die Wurst geht, selbst die vom Hauptstadtneid zerfressensten Restdeutschen ein bisschen Berlin sind, seufzt die gesamte deutsche Popkritik ergeben „Wir sind David Bowie“. Solchermaßen eingeschworen, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn auch Bowies neues Album The Next Day jetzt in himmlische Sphären gejuchzt wird. Zumal bereits das Frontcover sich von Heroes – jenem wegweisenden mittleren Album seiner so genannten Berlin-Trilogie – nur durch ein weißes Quadrat über dem Gesicht des nach einem Gemälde Erich Heckels posierenden Protagonisten unterscheidet.
Dass The Next Day tatsächlich Überraschendes zu bieten hat, liegt allerdings nur bedingt an den zahlreichen Reminiszenzen an die Vergangenheit seines Schöpfers – immerhin hat Bowie bereits mit dem Flop-Album Hours (1999) darauf verzichtet, sich als Avantgarde zu gerieren und sich, statt wie zuletzt Dancefloor-Nischenmusik in den Rock-Mainstream zu transferieren, lieber ausgiebig selbst zitiert.
Wenn er sich hier nun also quer durch die Siebziger bis hinein in die Achtziger vorarbeitet – und damit jene Periode abdeckt, in der er anfangs mit jedem neuen Album weitestgehend unbesiedeltes Land erschloss und schließlich die Errungenschaften von Punk und New Wave einem Millionenpublikum zuführte – dann ist das eigentlich Erstaunliche, wie frisch und frei von verklärender Nostalgie das Ergebnis ist. Der Mann spielt derart nuanciert mit den Ausdrucksmöglichkeiten seiner Stimme – da kommt nicht der leiseste Verdacht auf, er müsse beweisen, auch mit 66 Jahren gesanglich noch voll auf der Höhe zu sein. Zwar gibt es neben „Where Are We Now?“ zwei weitere Balladen, die fraglos zu den herausragendsten Songs des Albums zählen, aber der wahre Höhepunkt ist das verquere „How Does The Grass Grow“ mit seinem kreischenden Feedback-Klimax. Überhaupt sägen in einem Großteil der Songs die Gitarren, dass es eine helle Freude ist. Mehr als einmal schimmert dabei Bowies Vorliebe für die Pixies durch, und zwar ohne, dass er ihnen dafür, wie auf dem als kommerzielles Comeback gefeierten Heathen (2002), mit Coverversionen huldigen muss. Was zeigt: Bowie lässt noch immer weit mehr als das eigene Vorbild gelten. So erinnern etwa die anspielungsreichen, gerne mal kryptischen Texte sicher nicht grundlos an das sperrige Spätwerk Scott Walkers – die Beziehung der beiden Ausnahmemusiker ist seit jeher von großem gegenseitigen Respekt geprägt.
Zugeständnisse ans Formatradio macht David Bowie auf The Next Day ebenso wenig, wie an jene Fans, die ihn als im ständigen Wandel befindlichen, großen Reformator sehen wollen. Stattdessen punktet er mit nachhaltigeren Qualitäten wie Konsequenz, Stil und Haltung. Von der außerweltlichen Aura, die ihn spätestens seit der Inthronisierung seines Ziggy-Stardust-Alias umgab, ist vor allem eines geblieben: In künstlerischer Hinsicht scheint Bowie weiterhin völlig über den Dingen zu stehen. Vielleicht sogar mehr denn je.
The Next Day erscheint am 8. März. Bis dahin kann das Album bei Itunes gestreamt werden.
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