In Doha steht der am besten gesicherte Gipfel aller Zeiten bevor. Die US-Marine hält im Golf nicht nur Schiffe zur möglichen Evakuierung ihrer Delegation bereit, sondern fährt auch schweres Kriegsgerät inklusive Raketen- und Flugabwehrsystemen auf. Geheimdienst und Militär sichern seit Monaten die nähere und weitere Umgebung des Kongresszentrums. Schon bei der Wahl des Tagungsortes spielten Sicherheitsüberlegungen eine gewichtige Rolle. Denn anders als beim Treffen 1999 in Seattle oder jetzt im Sommer während des G 8-Gipfels in Genua sollten militante Proteste und große Demonstrationen möglichst im Vorfeld unterbunden werden. Katar schien insofern die perfekte Wahl: Wollen dort Delegationen aus den 142 WTO-Mitgliedsstaaten beraten, sind sie vor kritischen Meinungsäußerungen weitgehend geschützt. Die nämlich verbietet der Wüstenstaat, in dem es nicht einmal ein Parlament gibt. Doch seit dem 11. September und mehr noch seit dem Beginn des Krieges in Afghanistan haben sich die geographischen wie politischen Koordinaten grundlegend verschoben. Jetzt liegt der Golfstaat nicht mehr abseits der "Globalisierungs-Gegnerschaft", sondern in deren Zentrum - umringt von "Schurkenstaaten": Afghanistan, Iran und der Irak im Norden wie auch der Jemen und der Sudan im Süden sind so nah, dass die Organisatoren sich nicht einmal vor Raketen geringer und mittlerer Reichweite sicher fühlen. Doha hat sich vom idyllischen Refugium zum Sicherheitsrisiko gewandelt. So reduzieren die westlichen Staaten die Zahl ihrer Delegierten, die USA gar von ursprünglich geplanten 157 auf nur noch 50 Teilnehmer. Und trotz langem Security-Check zeigt sich WTO-Generaldirektor Mike Moore weiter "sehr besorgt" und schließt auch eine spontane Verlegung nicht aus - Singapur bietet sich als relativ sicherer Ersatz an.
Marktfundamentalismus ohne Alternative
Das Gerangel um den Austragungsort ist dabei mehr als eine der Folgen des Anschlags in den USA. Die Entscheidung für das autoritäre Scheichtum symbolisiert nachdrücklich das Verhältnis der WTO zu Demokratie und Kritik, das eher als Nicht-Verhältnis zu bezeichnen ist. Die Organisation ignoriert die Kritik an den ökologischen und sozialen Konsequenzen der Globalisierung und schottet sich mit polizeilichen und militärischen Mitteln ab. Die Wagenburgmentalität trägt zu dem eindimensionalen Bild bei, die Welthandelsorganisation und die sie dominierenden Länder des Nordens allein seien die "Macher des Freihandels" - ein herrschaftliches Selbstbild, das manche Globalisierungsgegner gern zum Feindbild hochstilisieren. Weltwirtschaft und Neoliberalismus werden dabei nicht strukturell kritisiert. Die USA oder gar einzelne Personen gelten als Verantwortliche der globalen Krise, und die Attentate vom 11. September als "Angriff auf den Kapitalismus".
Nahezu spiegelbildlich verhält es sich mit der Propaganda, wie sie etwa der italienische Staatschef Berlusconi betreibt, aber auch aus der WTO selbst zu hören ist: Danach sind all diejenigen "Terroristen", die sich gegen eine kapitalistisch gefärbte Globalisierung stellen; von den Demonstranten in Genua und Seattle bis zu den Taleban und Osama bin Laden. Die Art und Weise, wie die WTO und die Protagonisten des Neoliberalismus dem Terrorismus den "freien Markt" und die "liberale Gesellschaft" gegenüberstellen, zeigt, dass sie ihre Politik für die einzig tolerierbare halten. Ihr Marktfundamentalismus duldet keine Alternativen.
Das Aus für viele Landwirte in Europa
Das zeigt sich auch beim jetzigen Gipfel. Die dortigen Ziele sind nicht weniger umstritten als die der gescheiterten Millennium-Runde von Seattle 1999. Während beispielsweise die Industriestaaten auf die Einhaltung des internationalen Patentrechts und die Ratifizierung des WTO-Teilabkommens über "handelsrelevante Patentschutzbestimmungen" (TRIPS/ s. Text) drängen, fordern zahlreiche Entwicklungsländer zumindest Ausnahmen. Anfang des Jahres immerhin konnten sie eine Sonderregel durchsetzen. Damals hatten Pharmakonzerne afrikanische Staaten verklagt, weil diese billige AIDS-Medikamente - entgegen der TRIPS-Vereinbarung - im eigenen Land produzierten. Nach wochenlangen Protesten zog die Pharmaindustrie die Klagen schließlich zurück, wehrte sich aber zugleich gegen jegliche Ausweitung solcher Ausnahmen auch auf andere Medikamente. Denn die westlichen Konzerne wollen ihre Produkte weltweit und konkurrenzlos absetzen.
Auch im Dienstleistungssektor steht eine forcierte Liberalisierung ins Haus: Das GATS - das Allgemeine Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen - soll nach Vorstellungen der EU und USA nun endlich umgesetzt werden. Zahlreiche NGO befürchten damit jedoch weitere Verteuerungen durch die im GATS vorgesehenen Privatisierungen etwa im Bildungsbereich oder in der Wasserversorgung. Der Zugang zu Schulen und Universitäten, aber auch die Wasserversorgung und die Kanalisation drohen extrem teuer zu werden, wenn dies alles den Gesetzen des Marktes untergeordnet wird. Und auch bei der weiteren Liberalisierung des Agrar- und Textilienmarktes findet die WTO wenig Unterstützung in der Bevölkerung. Hier stehen die Vorzeichen allerdings umgekehrt: Ende Oktober beschlossen die in der Gruppe G 77 zusammengeschlossenen Entwicklungsländer sowie zuvor die Cairns-Staaten (s. Text), in Doha nur dann einer neuen Liberalisierungsrunde zuzustimmen, wenn die EU ihre Märkte für Agrarprodukte und Textilien öffnet. Für viele Landwirte in Europa würde ein solcher Schritt das Aus bedeuten. Gewinnen würde allerdings weniger der Kleinbauer im Süden als vielmehr die industrialisierte Landwirtschaft, die allein so billig und so viel produzieren kann, dass auch hohe Transportkosten abzufedern sind.
Im Grunde verfolgen alle Verhandlungsstaaten dasselbe Ziel: mehr Markt - allerdings jeweils den eigenen Interessen folgend. Der Rest ist Verhandlungssache. Zumindest die USA und die EU haben bereits Kompromissbereitschaft gegenüber den G 77 signalisiert: Für einige Agrar- und Textilprodukte könnten weitere Zollschranken fallen, wenn die Entwicklungsländer im Gegenzug den Dienstleistungssektor öffnen. Angesichts einer drohenden weltweiten Rezession dürfte diese Bereitschaft noch steigen, erhoffen sich die Industriestaaten von einer neuen Liberalisierungsrunde doch einen Wachstumsschub. Die Reise von Bundeskanzler Schröder nach Indien und China fand insofern nicht zufällig direkt vor der WTO-Tagung statt. Die Staaten mit den größten Märkten weltweit sollen nicht nur ins gemeinsame Boot gegen den Terrorismus, sondern auch des Freihandels geholt werden. Die Proteste chinesischer Industriearbeiter und indischer Bauern machen jedoch deutlich, die Opposition gegen diese Politik ist groß - sie sieht in einer neuen Liberalisierungsrunde keinen Schritt in Richtung Freiheit und gegen den Terror, sondern hin zu weltweit verschärfter Ungleichheit. Kein Wunder also, dass die Kritiker zu Hause bleiben müssen.
Times New Roman"">Anteile der Entwicklungsländer
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