Grasinseln auf Urwaldflüssen

AFRIKA, SCHWARZ-WEISS UND BUNT In den europäischen Bildern vom Schwarzen Kontinent spiegeln sich das erfolgreiche »Eigene« und latenter Rassismus

Die Bilder, die hiesige Vorstellungen von Afrika prägen, sind wie Photos - entweder schwarz-weiß oder bunt. Zum einen wird der Kontinent als Block gesehen, dem eine mehr oder weniger einheitliche »afrikanische Kultur« zugeschrieben und der zuvorderst mit Armut, Kriegen, Krisen und Katastrophen in Verbindung gebracht wird. Oder es dominiert ein ethnologischer Blick gerichtet auf ein Afrika der »Ethnien« und »Sprachgruppen«. Beide Bilder bewirken Ähnliches: Sie verstellen die Sicht auf reale Gegenwart in Afrika und festigen die Projektionen vom »Anderen«.

Der oft angeführte Gegensatz zwischen den »künstlichen«, weil mit dem Lineal konstruierten afrikanischen Nationalstaaten einerseits und den »natürlichen« Ethnien andererseits zielt lediglich auf einen »Fehler« der Geschichte, der von den einstigen Kolonialstaaten inzwischen mehr oder weniger selbstkritisch eingestanden wird. Die afrikanischen Staaten, heißt es dann, seien nicht »gewachsen«, sondern willkürlich durch die Kolonialverwaltungen konzipiert worden. Im Umkehrschluss erscheinen die europäischen Nationen als naturhafte Strukturen, die ein »Volk« zusammenhalten. Sie werden dem »multiethnischen« afrikanischen Staat gegenüber gestellt, dessen innere (ethnische) Konflikte zu Kriegen und Bürgerkriegen führen. Darüber werden andere Ursachen von Kriegen und Armut in Afrika zu zweitrangigen Aspekten: Die (ebenfalls aus dem kolonialisierenden Norden eingebrachte) kapitalistische Wirtschaftsweise und die ungleichen Besitzverhältnisse sind aber in hohem Maße mitverantwortlich für Kriege in Uganda, Liberia, Sierra Leone und im Kongo oder die Landkonflikte in Simbabwe und Südafrika. Diese Auseinandersetzungen sind in erster Linie Kämpfe um ökonomische Ressourcen, wobei spezifisch regionale Gründe für diese Konflikte nicht zu vergessen sind.

Die eurozentrierte Analyse der afrikanischen »Misere« setzt gern bei den endogenen (und damit wieder »spezifisch afrikanischen«)Ursachen an. Misswirtschaft, Korruption und ethnische Konflikte werden für Armut und Kriege oft als allein verantwortlich definiert und Schuldige schnell gefunden, wie das Beispiel Simbabwes und seines »unzivilisierten Führers« Robert Mugabe zeigt. Die koloniale Vergangenheit, selbst wenn sie in Simbabwe erst 20 Jahre zurückliegt, die weltwirtschaftlichen Konstellationen, die terms of trade, die Preise für Kaffee, Gold oder Kupfer seit Jahren in den Keller fallen lassen, oder die sozialen Auswirkungen der IWF-Strukturanpassungsprogramme bleiben meist außen vor.

Die Zeit resümiert in ihrer Ausgabe vom 18. Mai: »Jetzt fegen wieder schwere Stürme über Afrika und entfachen die selbst zerstörerischen Energien des Erdteils. (...) Im Herzen des Kontinents sind ganze Landstriche in die Unentdecktheit zurückgesunken; sie treiben ziellos dahin wie Grasinseln auf Urwaldflüssen. (...) Die schwarzen Machtcliquen bedienen sich wie weiland die weißen Kolonialherren. Aasvögel, die den Kontinent ausweiden. (...) Die Hauptschuld am tragischen Zustand des Kontinents tragen die Afrikaner selber.«

Die Perspektive offenbart zweierlei: Rassistische Bilder bestehen fort, und die Schuldzuweisung an »die Afrikaner selbst« entlastet »die Europäer« oder - wie es besagter Zeit-Artikel in zeitgeistiger Euro-Identität formuliert - »uns«, denn »wir haben die Erneuerer (Afrikas) und ihre Visionen gewaltig überschätzt.« Die Projektionen von Rückständigkeit, archaischem Lebensstil und Faulheit dienen dazu, die Frage nach Ursachen von Krisen zu verschieben.

Eine Analyse dieser europäischen Stereotype darf freilich nicht in das andere Extrem verfallen, indem die endogenen Ursachen der Krise vollends ausgeblendet werden. Denn die Dependenz-Theorie produziert gleichfalls ein einseitiges Bild: Sie fixiert einen Kontinent, der auf seine Opferrolle in den weltwirtschaftlichen Strukturen reduziert ist und auf den ein rein ökonomistischer Blick geworfen wird.

Gern wird die Entwicklungshilfe angeführt, um zu zeigen, dass »wir« unseren Teil zur Entwicklung Afrikas beizutragen bereit sind. Allein: Der Ressourcentransfer findet seit jeher eher umgekehrt von Afrika nach Europa statt. Wie hoch der Kapitalfluss von Süd nach Nord ist, lässt sich schwerlich in Zahlen ausdrücken. Für den Zeitraum von 1965 bis 1975 etwa wurde anhand offizieller US-Daten errechnet, dass allein die in Afrika tätigen US-Konzerne im Durchschnitt 25 Prozent mehr an Kapital in direkter Form ausführten als sie dort investierten.

In vielen afrikanischen Staaten sind zudem die allermeisten gewinnbringenden Ressourcen (Erdölfelder, Gold-, Diamanten-, Kupfer- oder Zinnminen sowie die ertragreichsten Ländereien) in der Hand weniger Besitzer, die ihre Erträge nicht selten in den Norden transferieren. Da die erwähnten Entwicklungshilfe-Zahlungen in der Regel Kredite sind, kann auch hier kaum von einem Nord-Süd-Transfer geredet werden. Die Schuldenrückzahlungen waren schon in den achtziger Jahren doppelt so hoch wie die einfließenden Nettokredite. Die durch Strukturanpassungsprogramme des IWF erzwungene Liberalisierung der Märkte jedenfalls konnte kaum die erhofften Erfolge bringen. Im Gegenteil: Liberalisierung und Strukturanpassungsprogramme haben die Umwälzung des Kontinents weiter vertieft, ohne dass sie für tiefgreifendes Wachstum gesorgt hätten. (*)

Die Analyse europäischer und nordamerikanischer Afrika-Politik - egal ob sie die Kolonialgeschichte, die postkoloniale Einflussnahme durch Strukturanpassungs- und Entwicklungshilfeprogramme oder direkten Handel betrifft - zeigt deutlich, dass es eine entscheidende (Mit-)Verantwortung an der unbestreitbaren Misere gibt. Die Schuldzuschreibungen an »die Afrikaner selbst« machen dabei vor allem eines deutlich: Die Misere darf nicht in einer Fehlentwicklung durch kapitalistische Expansion, durch die erzwungene Übertragung europäischer Vorstellungen von Staat, Verwaltung und Markt sowie durch die weiter anhaltenden ökonomischen Interessen an und in Afrika zu suchen sein. Wenn also nicht die Strukturen verantwortlich sein dürfen, müssen im Gegenteil die Gründe in ihren Trägern - den Menschen und ihren Lebensformen - gesucht werden.

Auch wenn die Bilder Afrikas und der europäische Rassismus sich nicht allein damit erklären lassen: Die permanente Betonung des »Anderen«, des »Fremden« und des »Exotischen« ist wie das Negativ eines Bildes von Europa. In der Projektion des unfähigen Afrika spiegelt sich das erfolgreiche »Eigene«.

Es liegt also in der »Natur der Sache«, dass in den europäischen Bildern von Afrika häufig das Gegenstück von dem zu finden ist, was die Selbstwahrnehmung ausmacht. Afrika gilt als ein Kontinent der Natur, damit quasi als geschichtslos - Europa als Wiege der Kultur. Aus Afrika kommen handwerkliche Produkte, in Europa dominiert die industrielle Produktion. Afrikaner leben eher nach ihrem Gefühl, sie tanzen, trommeln, können schnell laufen und meistern ihr Leben durch Improvisation. Europäer sind Kopfmenschen, planen, organisieren und schreiben. Dieser Dualismus klingt platt, klischeehaft und veraltet. Die Bilder über Afrika sind jedoch voll von diesen Zuschreibungen.

Der erwähnte Zeit-Artikel nutzt gerade Begriffe der Natur, um die Zustände im »Urwaldmeer« zu beschreiben: Ganze Landstriche seien »wie Grasinseln auf Urwaldflüssen«, »die Straßen endeten im Nichts«. »Dieser Kontinent ist aus den Fugen geraten, und die Hälfte seiner Länder müsste unter Kuratel gestellt werden, Flächenstaaten wie der Sudan oder Angola, die Glutwüsten Somalias, der endlose Dschungel des Kongo« (Zeit). Diese naturhafte Symbolik trifft zu auf einen ganzen »Kontinent, der sich selbst zu zerfleischen droht« (Frankfurter Rundschau).

Der häufige Rückgriff auf das Naturhafte vermittelt noch Vorstellungen von Schicksal. Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Dürre, ertragsschwere Böden oder die Ausbreitung von Krankheiten durch Insekten lenken zwar auch von benennbaren Gründen und Verantwortlichkeiten ab, diese Wahrnehmung unterscheidet sich jedoch von den teilweise offen rassistischen Tönen und Bildern, mit denen derzeit immer häufiger die »Schuld« der Afrikaner beschrieben wird. So gelten inzwischen »Bevölkerungsexplosion« und »Aids-Epidemie« als Hauptursachen afrikanischen Elends. Obwohl »der US-Kongress Millionen für die Aids-Bekämpfung bereitgestellt hat« (Frankfurter Rundschau), breitet sich die Krankheit rasant aus, und obwohl eine Vielzahl von Entwicklungshilfe-Projekten sich der »Bevölkerungskontrolle« (!) verschreibt, breiten sich die Menschen ebenso rasant aus. Der Grund wird auch hier in der Natur gefunden - und zwar in der menschlichen mit ihrer vermeintlich spezifisch afrikanischen Ausprägung.

Der naturhafte massenhafte Trieb, dem ohne Rücksicht auf heraufdämmernde Katastrophen und Epidemien gefolgt wird, projiziert gleichzeitig das vernünftige Andere: Die Kontrolle und Ordnung, die in Europa Bevölkerung und Krankheiten in Schranken zu halten wissen.

Extrem wird dieser Dualismus in der Beschreibung der kriegerischen Konflikte von Weiß und Schwarz. Ein Text von Kordula Dörfler in der taz vom 13. Mai über die Landbesetzungen in Simbabwe könnte auch als Erlebnisbericht des Tierfilmers Grzimek durchgehen: »Sehen kann man sie nicht vom Haus aus. Aber man spürt, dass sie da sind. Sie - die Besetzer, die Kriegsveteranen, die Landlosen, der Mob, die Partei. Nachts hört man sie trommeln. Manchmal kommen sie dem Haus sehr nahe.«

Den bedrohlichen stehen romantisierende Bilder von purer Lebensfreude, ekstatischem Tanz und ungehemmter Sexualität, wie sie uns zunehmend in der Werbung begegnen, vermeintlich gegenüber. Die »positiv« rassistischen Zuschreibungen, die diese Vorstellungen vermitteln, zeigen lediglich, dass »die« Afrikaner zwar spontaner, rhythmischer und emotionaler sind, dafür aber auch auf andere Annehmlichkeiten zu verzichten haben. Sie sind es folglich, die zu wenig diszipliniert bei der Arbeit, zu desorganisiert im Staat und zu korrupt im Handel sind - und damit verantwortlich für die Misere Afrikas. Europas »Verantwortung« kann es daher nur sein, Marktwirtschaft, Infrastruktur und Entwicklung nach Afrika zu bringen. Eine neue Herausforderung, für die (alte) Projektionen und Bilder ganz gewiss nicht revidiert werden müssen.

(*) s. Robert Kappel: Afrikas Wirtschaftsperspektiven. Strukturen, Reformen und Tendenzen. 5Institut für Afrika-Kunde, Hamburg 1999.

Unser Autor ist Redakteur bei der Zeitschrift iz3w.

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