Beim Weltwirtschaftsforum brauchten die Entwicklungsländer dieses Jahr nicht im toten Winkel der Weltpolitik abgeholt zu werden. Ihre Rolle beim Scheitern der WTO-Millennium Round im November hat sie deutlich an Statur gewinnen lassen. "Wie das Fiasko von Seattle gezeigt hat", so der Gründer des Davos-Forums, Klaus Schwab, "sind Schwellen- und Entwicklungsländer immer seltener bereit zu akzeptieren, dass sich die Globalisierung einzig entlang der Prioritäten entwickelt, die von den USA und Europa gesetzt werden."
Auch Präsident Clinton vergaß bei seiner Grundsatzrede vor dem Forum im Hotel Belvedere nicht zu erwähnen, dass ein Schulden-Erlass für die ärmsten Länder wichtiges Ziel künftiger Politik sein müsse. Damit scheint sich fortzusetzen, was bei verschiedenen Anlässen im Vorjahr bereits erkennbar war: Die Position von Ländern der "Dritten Welt" in den Welthandels- und globalen Finanzstrukturen wird besser. Optimisten bezeichnen 1999 schon jetzt als "Jahr der Entwicklungsländer", teilweise gar als Wende in der Politik multinationaler Organisationen. Beim G7-Gipfel im Frühjahr hatten die Regierungschefs der mächtigsten Industriestaaten den 41 ärmsten, hochverschuldeten Ländern die Streichung von bis zu 70 Milliarden Dollar an Verbindlichkeiten zugesagt. Im September stellte der IWF dann sein "Armutsbekämpfungsprogramm" vor. Ausgerechnet jene Organisation, die bislang durch knallharte Auflagen jeglicher Sozialpolitik der verschuldeten Staaten harte Grenzen gesetzt hatte, schien plötzlich ihre soziale Ader entdeckt zu haben. Erstmals sind nun die Bedingungen für einen Schuldenerlass nicht mehr nur an die Strukturanpassungsprogramme des Währungsfonds gebunden, die vor allem eine Reduzierung der Staatsausgaben und damit zumeist auch der Sozial-, Gesundheits- und Bildungsausgaben vorschrieb. Bolivien etwa, das Ende Januar seinen "Vier-Säulen-Plan" zur Bekämpfung der Armut in Washington der Weltbank vorlegte, orientiert sich neben dem obligaten Wirtschaftswachstum, der Senkung von Staatsausgaben und mehr Produktivität auch auf ein verbessertes Erziehungs- und Gesundheitssystem sowie eine flächendeckende Versorgung mit Strom und Wasser - Ausgaben also, die an der Grundversorgung der Bevölkerung ansetzen. Dennoch wird das Land seinen Sparkurs fortsetzen, will es den Spagat zwischen Spar- und Sozialprogramm riskieren. Wie das jedoch konkret aussehen soll, kann die bolivianische Regierung ebensowenig erklären wie IWF.
Die Option auf beides - Armutsbekämpfung und eine neoliberale Wirtschaftspolitik - dürfte jedenfalls auf die Kritik an den IWF-Auflagen während der jüngsten Asienkrise wie auch im Umfeld des Rubel-Crashs in Russland (August 1998) zurückzuführen zu sein. "Die Verlautbarungen des Währungsfonds", so eine Einschätzung von WEED, "bewegen sich zwischen dem vorsichtigen Eingeständnis, mit den bisherigen Maßnahmen Armut nicht wirklich reduziert zu haben und dem Festhalten an seinen üblichen Stabilisierungspolitiken". Noch sei nicht abzusehen, inwieweit der IWF Abweichungen seiner Empfehlungen (Deflationspolitik, Ausgabenkürzungen, Privatisierungen und Liberalisierungen) hinnehmen werde. Immerhin ist der Fonds bereits von seiner jahrelangen Praxis abgewichen, sich jeglicher Schuldenstreichung zu widersetzen. Das bringt den betroffenen Staaten zumindest kleine Gestaltungsmöglichkeiten. Mosambik beispielsweise wird seinen jährlichen Schuldendienst von 71 auf 48 bis 62 Millionen US-Dollar reduzieren können. Ein Ziel der Entschuldungsinitiative sieht vor, den Schuldenstand der betroffenen Staaten schon 2001 auf ein Limit von weniger als 150 Prozent der jeweiligen Exporteinnahmen zu senken. Neben den Schulden bei der Weltbank sollen auch bilaterale Verbindlichkeiten erlassen werden. Großbritannien hat Mitte Januar angekündigt, die Außenstände bei den 41 ärmsten Staaten komplett zu streichen - immerhin 3,06 Milliarden Dollar. Ein von Präsident Clinton ebenfalls zugesagter 100prozentiger Erlass ist dagegen vom Kongress ausgebremst worden. Statt der beantragten über 320 wurden nur 123 Millionen Dollar zur Finanzierung einer Entschuldungshilfe bewilligt. Wie überhaupt - sowohl bei den USA wie auch der EU - der Schuldenerlass mit einer massiven Kürzung von Entwicklungshilfe korrespondiert.
Unter dem Strich werden die Kölner G7-Initiative und die dadurch forcierte Reform der IWF-Politik zwar vielen der ärmsten Staaten eine Reduzierung der Netto-Zahlungen und kleinere Spielräume für eine verbesserte Sozialpolitik ermöglichen. Auf die grundsätzliche neoliberale Ausrichtung internationaler Strukturpolitik wird dies jedoch keinen Einfluss haben. Das wurde auch auf dem Forum in Davos deutlich. Dort zeigte der US-Präsident zwar Verständnis für die Sorgen der Entwicklungsländer - doch, so Clinton, "die Vorstellung, dass es uns allen besser gehen würde, wenn wir einen weniger freien, von Regeln bestimmten Handel hätten, ist von Grund auf falsch". Er ermahnte die Entwicklungsländer denn auch, ihren Widerstand gegen eine neue Welthandelsrunde aufzugeben - und stellte damit unmissverständlich klar, dass ihre "neue Macht" klare Grenzen hat.
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