"Alternativlosigkeit" gibt es für Yanis Varoufakis nicht
Illustration: der Freitag
Von wem stammt das folgende Zitat? „Ich bin Feminist, weil ich schon in jungen Jahren überzeugt war, dass niemand frei sein kann, solange auch nur eine Person in Ketten liegt. Es war nicht schwer, daraus zu folgern, dass Männer nicht frei sein können, solange die Unterdrückung der Frauen existiert.“
Ja, das hat Yanis Varoufakis gesagt, der ehemalige griechische Finanzminister. Mann will es kaum glauben und Frau erst recht nicht: War das nicht der Typ, der vor einem Jahr als Motorrad-Macho über alle Bildschirme raste? Der Lederjacken-Lümmel, der sich auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise von seinen europäischen Amtskollegen so gar nicht beeindrucken ließ?
Es stimmt schon: Zu dem Bild, das die meisten Medien über den politisieren
nfobox-1Es stimmt schon: Zu dem Bild, das die meisten Medien über den politisierenden Wirtschaftsprofessor aus Athen verbreitet haben, passt ein Bekenntnis zum Feminismus ganz und gar nicht. Aber ob das an Varoufakis liegt? Begegnet man ihm zum Interview, dann kommen zumindest Zweifel an der dominierenden Medienerzählung auf. Sein Auftreten wirkt eher zurückhaltend, wenn auch selbstbewusst in der Sache. Von herrenwitzigem Poltern, wie es ja auch in der deutschen Politik vorkommen soll, ist nichts zu spüren.Wie auch immer: Bei den persönlichen Eigenschaften des Athener Spieltheoretikers sollte sich nicht allzu lange aufhalten, wer nicht in die Falle seiner politischen Gegner laufen will. Schlimm genug, dass sich mit den gängigen Klischees befassen muss, wer ihn näher betrachtet. Die Betonung äußerlicher und persönlicher Eigenschaften hat – leider ziemlich erfolgreich – das politische Wirken des Yanis Varoufakis in der öffentlichen Wahrnehmung wenn nicht überdeckt, so doch im Übermaß verfärbt. Und zwar mehr noch, als es ohnehin üblich ist in der medialen Inszenierung von Politik als Personality-Show.Varoufakis selbst hat kürzlich noch einmal an die Medien appelliert: „Attackiert ruhig meine Ansichten, aber redet nicht über die Frage, was ich anziehe. (…) Waren die Leute, die über meine Kleidung schreiben, vielleicht glücklich mit Politikern, die Griechenland in den Abgrund geführt haben und dabei die besten Armani-Anzüge trugen?“ Sicher: Es wäre noch besser gewesen, hätte er auch die teils irrationale Verehrung, die ihm von manchen Anhängern widerfährt, als Problem benannt. Doch ist ihm zuzustimmen, wenn er eine politische Auseinandersetzung mit seinen Positionen verlangt.Ökonomisches EinmaleinsBetrachtet man also das politische Denken des Yanis Varoufakis, dann lässt sich sagen: Gäbe es derzeit den Hauch einer Aussicht, dass die wirtschaftspolitischen Vorstellungen dieses Mannes in EU-Europa mehrheitsfähig werden, dann wäre der Kontinent schon ein Stück weiter. Wer der Ideologie des Pragmatismus noch nicht ganz verfallen ist, wird sich freuen, wenn es überhaupt noch Figuren mit Charisma gibt, die demokratische und soziale Grundwerte im Gespräch zu halten suchen.Yanis Varoufakis ist zu einem der wichtigsten Fürsprecher einer linken Idee von Europa geworden. Gar nicht so sehr in seiner kurzen Zeit als griechischer Finanzminister von Januar bis Juli 2015 – da ging es vor allem um den letztlich gescheiterten Abwehrkampf gegen das Dogma der Austerität. Aber jetzt, als Politiker ohne Anstellungsvertrag, scheint sich der Professor in einer Art Suchbewegung bei laufendem Betrieb zu befinden: Stück für Stück entwickelt er in Texten, Vorträgen und Diskussionen die Elemente eines Konzepts, das während der Auseinandersetzungen um Kredite und „Hilfspakete“ oft kaum zu erkennen war.Man muss hier und da ein bisschen in pathetischen, gelegentlich auch etwas selbstbezogenen Formulierungen kramen, um sich in Varoufakis’ Gedankengebäude zurechtzufinden. Wer sich aber darauf einlässt, stößt zwar nicht auf eine philosophisch fundierte Idee wie etwa bei Jürgen Habermas oder auch Slavoj Žižek, sehr wohl aber auf nützliche Requisiten für eine Neueinrichtung des europäischen Hauses.Natürlich geht es zunächst weiter um Widerspruch gegen das Diktat der einseitigen Ausgaben-Reduzierung, das die EU, die EZB und der Internationale Währungsfonds nicht nur Griechenland auferlegt haben. Varoufakis wird nicht müde, die ökonomische Unsinnigkeit dieser Politik vorzuführen: „Für eine große Volkswirtschaft ist es furchtbar, wenn der Staat seine Ausgaben aggressiv reduziert, während die Investitionen abnehmen, die Schulden nicht zurückbezahlt werden können und private Unternehmen sowie Haushalte weniger Geld ausgeben“, sagte er etwa im Februar in einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. „Wenn der private Sektor und der Staat ihre Ausgaben reduzieren, dann sinkt logischerweise die Summe aus beiden. Damit schrumpft auch das Nationaleinkommen. (…) Das ist nicht Austerität, sondern ein verfehlter Versuch, Schulden zu reduzieren, der die Schulden in Wahrheit steigert.“Man mag das als pure Selbstverständlichkeit sehen, als x-te Variante des kleinen ökonomischen Einmaleins. Aber die Widersinnigkeit europäischen Krisenmanagements zeigt sich ja gerade darin, dass solche Selbstverständlichkeiten von der herrschenden Politik schlicht ignoriert oder gar geleugnet werden. Und genau deshalb ist jemand wie Varoufakis so wichtig. Mit der Fixierung auf seine Person haben die regierenden Sparkommissare ihm und seiner Sache in Wahrheit auch einen Gefallen getan: Die Prominenz, so negativ sie für viele gefärbt sein mag, macht seine Stimme selbst in einer Öffentlichkeit hörbar, die alternativen Europa-Entwürfen sonst negativ oder gleichgültig gegenübersteht.Und diese Entwürfe sind es, an denen Varoufakis sich nun versucht – über die Kritik an der herrschenden Politik hinaus. Da sind zunächst Forderungen wie diejenige nach einem Schuldenschnitt und Investitionsprogrammen, die Varoufakis auch als Finanzminister schon erhob. Aber seit seiner Demission vor knapp einem Jahr arbeitet der Ökonom gemeinsam mit anderen daran, Ideen nicht nur für eine andere Wirtschaftspolitik, sondern auch für eine neue, demokratische Union insgesamt zu entwickeln.Hier und da finden sich die entsprechenden Ansätze schon in Varoufakis’ Rückblicken auf die Zeit als Minister. Im Guardian hat er jüngst einen Text zu seinem neuen Buch And the Weak Suffer What They Must? veröffentlicht, in dem es unter anderem um die Begegnungen mit Wolfgang Schäuble geht. Zwar kommt Varoufakis auch hier nicht ganz ohne kokettierende Selbstdarstellung aus. Zum Beispiel, wenn er seinen Widerstand gegen Schäuble mit Sophokles überhöht, der in seiner Antigone gelehrt habe, „dass gute Frauen und Männer eine Pflicht haben, Regeln zu widersprechen, denen es an politischer und moralischer Legitimität fehlt“. Aber viel wichtiger ist die Botschaft, die hinter solchen Ausschmückungen steckt: Der griechische Ex-Minister entwickelt aus der damaligen Situation eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage der Legitimität und der demokratischen Legitimation europäischer Institutionen. Schäuble sowie Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und die anderen EU-Finanzminister hätten auf seinen Widerspruch gegen ihre oktroyierten Bedingungen eine „Standardantwort“ gehabt, erzählt Yanis Varoufakis, nämlich: „Das sind die Regeln!“ Was natürlich nichts anderes bedeutet als das berühmte Diktum von der „Alternativlosigkeit“.Lob von Noam ChomskyErstaunlich auf den ersten Blick: Diesem Diktum stellt der bekennende Europäer und Brexit-Gegner ausgerechnet in einem britischen Blatt die Forderung nach Wahrung der „nationalen Souveränität“ aller EU-Mitgliedstaaten gegenüber. Nicht ohne sich – in einem geradezu literarisch anmutenden biografischen Brückenschlag – auf seine Kindheitserinnerungen an den griechischen Militärputsch von 1967 und den „Fußabdruck“ der USA in der angeblich unabhängigen griechischen Politik zu berufen: Varoufakis erzählt von seinem Onkel Panayiotis,einem Siemens-Manager und Deutschland-Freund, den die Obristen verhaften ließen. Er erzählt von seinen Eltern, die in der Zeit der Diktatur heimlich die Deutsche Welle hörten, was Deutschland für den sechsjährigen Yanis wie einen großen, guten Freund erscheinen ließ. Und er berichtet von einer Botschaft des Onkels aus dem Knast, die aus nur einem Wort bestanden habe: „Souveränität“.Ein „Mindestmaß an nationaler Souveränität“, schreibt Varoufakis, habe er auch 50 Jahre später gegen die europäischen Institutionen verteidigen wollen. Daraus allerdings entwickelt er – Dialektiker, der er ist – nicht etwa eine Gebrauchsanweisung zur Rückkehr in nationale Kleinstaaterei. Im Gegenteil: Souveränität, so das Plädoyer, geht nur in und nicht ohne Europa, mit anderen Worten: Nur die Abgabe von Souveränität an einen demokratischen Staatenbund kann dazu beitragen, Souveränität dort zu erhalten, wo Nationalstaaten sie auch in Zukunft brauchen.Briten wie Griechen, schreibt Varoufakis seinen Lesern ins Stammbuch, hätten nur drei Optionen: Unterwerfung unter Brüssel, Austritt – oder: „in der EU zu bleiben, um eine grenzüberschreitende Allianz der Demokraten zu schaffen“. Nur diese dritte Option, vor der die Europäer in den 30er Jahren versagt hätten, könne verhindern, „dass die Geschichte sich wiederholt“. Unterwerfung wie Austritt gleichermaßen würden dagegen in eine „dystopische Zukunft“ führen: „in ein Europa, das nur den Fremdenfeinden, den Ultra-Nationalisten und den Feinden demokratischer Souveränität“ passt.Die „grenzüberschreitende Allianz der Demokraten“ ist es, für die Varoufakis jetzt kämpft. Sein Versuch, dafür eine Art institutionellen Rahmen zu schaffen, nennt sich „DiEM 25“. Das Kürzel bedeutet „Democracy in Europe Movement“, also „Bewegung für Demokratie in Europa“. Aber die Anspielung an das lateinische „Carpe diem“ (Nutze den Tag) ist natürlich gewollt, um die Dringlichkeit des Unternehmens zu betonen. DiEM 25 – das ist Varoufakis’ Schöpfung, auch wenn er sich die Bezeichnung „Anführer“ verbittet und prominente Mitstreiter wie Saskia Sassen, Noam Chomsky und Slavoj Žižek ins Feld führen kann.Das Gründungsmanifest mag an manchen Stellen mit der für Varoufakis typischen Poesie irritieren („Warum verliert Europa seine Integrität und seine Seele?“). Aber insgesamt darf es als einer der wenigen Versuche gelten, dem Mangel der EU-Institutionen an demokratischer Legitimation einen Gegenentwurf entgegenzustellen. Der besteht hier und da noch aus sehr allgemeinen Formulierungen – „die EU-Bürokratie dem Willen der souveränen Völker Europas zu unterwerfen“. Aber das ist erklärte Absicht, da Varoufakis und seine Anhänger die endgültigen Forderungen in einem europäischen Diskussionsprozess entwickeln wollen. Gerade wer vermeiden will, dass DiEM 25 zu einer Varoufakis-Show verkommt, täte gut daran, sich an diesen Debatten zu beteiligen.Im April saß Yanis Varoufakis mit Noam Chomsky auf einem Podium in New York. Der große amerikanische Linke lobte den Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders als „ehrliche Person“, was ja „im politischen System sehr selten“ sei. Dann erinnerte sich Chomsky seines Sitznachbarn und sagte: „Vielleicht gibt es ja auch zwei davon auf der Welt.“ Das war selbst für Varoufakis zu viel der Ehre, und er lachte wie über einen sehr guten Witz. Aber zu den wenigen, die dem Bedürfnis nach politischen Alternativen eine hörbare Stimme geben, darf man ihn ruhig zählen.
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