Butter bei die Fische!

SPD Martin Schulz surft auf einer Welle der Zustimmung. Aber das wird nicht reichen. Ihm fehlt bisher der Mut für einen klaren Politikwechsel
Ausgabe 11/2017
Gottkanzler?
Gottkanzler?

Foto: DeFodi/Imago

Der User „thueringen“ hat sich wohl zu früh gefreut. „Der Lack ist ab“, prophezeite er dieser Tage auf Twitter, aber noch sagt die Demoskopie etwas anderes: Martin Schulz strahlt weiter so hell, dass manche seiner Parteifreunde zu glauben scheinen, er sei bereits Bundeskanzler. Allerdings: Wenn er es wirklich werden will, wird der glänzende Anstrich allein nicht mehr lange genügen.

Der Tweet bezog sich auf einen Auftritt des sozialdemokratischen Schnellaufsteigers in Würzburg. Dort hatte Schulz nach seiner Rede ein paar Jusos zu „Martin, Martin“-Rufen aufgefordert, weil das Publikum sich erdreistet hatte, lediglich zu klatschen. In der Tat eine ziemlich peinliche Aktion, die vor allem eines zeigt: Der Wanderprediger von Würselen muss aufpassen, nicht abzuheben.

Noch ist der Lack des Kanzlerkandidaten nicht ab. Und er wird glänzen wie selten zuvor, wenn die SPD an diesem Sonntag die Wahl zum Parteivorsitzenden und die offizielle Kandidatennominierung zelebriert: Die Parteitagsdelegierten werden ihr „Martin, Martin“ sicher besser draufhaben, als die Basis in Würzburg.

Wenn es allerdings wirklich eine politische Wende geben soll in diesem Land, dann werden die Sozialdemokratie und ihr Kandidat bald mehr bieten müssen als langen Applaus und längeres Arbeitslosengeld. Der Aufschwung, den sie genießen, hängt einstweilen an der bemerkenswerten Ausstrahlung des Kandidaten und einigen schönen Überschriften, wie zum Beispiel „Gerechtigkeit“. Sollte die SPD aber tatsächlich einen Politikwechsel wollen – und das ist mehr als ein Kanzlerwechsel –, dann muss sie erstens bald zeigen, was unter der Lackschicht steckt. Sie wird, zweitens, die Frage beantworten müssen, in welcher Konstellation sie den Wechsel durchzusetzen gedenkt. Und damit sie das tut, wird drittens noch einiger Druck aus der Gesellschaft notwendig sein.

Was den programmatischen Teil betrifft, ist noch so gut wie gar nichts klar – abgesehen von der vernünftigen Idee, verstärkte Qualifizierungsanstrengungen für Arbeitslose mit einer Verlängerung des Arbeitslosengelds I zu verbinden. Steuern, Sozialsysteme, Umwelt und Klima, innere und äußere Sicherheit, Euro und Europa: All diese Themen und vieles mehr hat die SPD noch nicht ausformuliert. Aber gerade beim Thema Arbeit deutet sich an, dass Martin Schulz und seine Partei vor der Wiederholung vergangener Fehler noch lange nicht gefeit sind.

So erfreulich es ist, dass nun endlich hörbar von „Fehlern“ bei der Agenda 2010 gesprochen wird, so unzulänglich erscheint bisher die Bereitschaft, entschiedene Korrekturen vorzunehmen. Stattdessen spricht vieles dafür, dass die SPD sich für eine allzu enge Orientierung an den „arbeitenden Menschen“ entscheiden könnte statt für ein umfassendes wirtschafts- und sozialpolitisches Reformprogramm.

Schulz selbst wird nicht müde, den entsprechenden Ton anzuschlagen. „Die Menschen, die mit harter Arbeit ihr Geld verdienen, dürfen nicht schlechter gestellt sein als die, die nur ihr Geld für sich arbeiten lassen“, lautet sein Standardsatz. Von Hartz IV dagegen ist nur dann die Rede, wenn es darum geht, für möglichst viele den Absturz ins Arbeitslosengeld II zu vermeiden. Die Menschen, die sich bereits in dieser Lage befinden, kommen kaum vor.

Man könnte das für eine besonders intelligente Strategie rot-rot-grüner Arbeitsteilung halten: Die SPD bedient das „hart arbeitende“ Volk, die Grünen decken den bürgerrechtlich-ökologischen Teil des Spektrums ab – und die Linkspartei sorgt sich um die Schicht der „Abgehängten“. Wenn das so wäre, bedürfte es allerdings der eindeutigen Klärung, dass die Sozialdemokraten ein rot-rot-grünes Reformbündnis wollen und keine neue Mittel-/Oberschicht-Koalition mit der Union. Wer sagt, dass die SPD mit Martin Schulz nicht die entscheidenden Prozente gewänne, wenn man klarstellen würde: Kanzler will er werden, aber nicht mit CDU und CSU? Wer sagt, dass es besser ist, aus Angst vor neoliberalen Interessengruppen und Medien diesen Schritt zu unterlassen?

Die demoskopischen Befunde lassen sich so deuten, dass das Risiko allzu groß nicht wäre, wagte Schulz diesen Schritt. Schon das simple Label „Gerechtigkeit“ hat offensichtlich Menschen mobilisiert, die zum Neoliberalismus light der Großen Koalition ein anderes Kontrastprogramm suchen als es die selbsternannte „Alternative für Deutschland“ anbietet. Aber noch immer haben sie Grund, an der Entschiedenheit der SPD zu zweifeln. Ihnen ein eindeutiges inhaltliches Angebot zu machen, verbunden mit einer klaren Machtperspektive – das könnte der Weg zur Wende sein.

Allerdings: Es wird nicht gehen, wenn kein entsprechender Druck „von unten“ kommt. Zu viele Menschen, die sich als links verstehen, winken angesichts der bürgerlich-liberalen europäischen Vergangenheit des Kandidaten ab. Und umgekehrt sind die Kräfte, die einen Linkskurs verhindern wollen, sehr stark – nicht zuletzt innerhalb der SPD.

Man kann natürlich resignieren angesichts dieser Konstellation. Aber man kann – als Gewerkschafter, NGO-Aktivist, Parteimitglied – auch versuchen, die Räume für Veränderung zu nutzen und auszubauen, die diese Kandidatur schon jetzt eröffnet hat. Das ist jedenfalls besser als abzuwarten, bis der Lack ab ist.

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