Man soll ja die Dinge auch mal positiv sehen. Also: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat den für sie idealen Chef. Sigmar Gabriel repräsentiert die Gesamtheit der SPD in geradezu perfekter Weise. In seiner Person bildet sich die Partei mit all ihren Flügeln und Flügelchen fast vollständig ab. Ihm ist es gelungen, die streitenden Strömungen zumindest in einer Frage zu einen. Wie bitte? Sie haben genau das Gegenteil gehört? Sie haben gelesen, dass Gabriel sich ständig selbst widerspricht? Dass er die unterschiedlichen Positionen in der Partei gerade nicht klärt, sondern sich beim Reden mal in diese Richtung neigt und mal in jene? Richtig! Aber genau das macht ihn zum passgenauen Repräsentanten einer Partei, die nicht mehr weiß, wo rechts und links ist. Das hat natürlich den einen oder anderen Nachteil. Zum Beispiel den, dass der SPD-Chef am Ende nichts tut, was seiner Kanzlerin missfällt. Und auch die Einigkeit bezieht sich leider nur auf einen Punkt: Über innerparteiliche Lagergrenzen hinweg wächst die Überzeugung, dass man die traditionsreichste Partei Deutschlands so nicht führen kann.
Das wäre alles mit Ironie und Schulterzucken zu ertragen, wenn Gabriel nicht jede Menge Verantwortung trüge: Seine Aufgabe wäre es, für Alternativen zur herrschenden Politik zu werben. Er tut das Gegenteil und hilft fleißig, Angela Merkels anmaßende These von der „Alternativlosigkeit“ ihrer Politik Wirklichkeit werden zu lassen. Er führt die SPD auf den Weg der programmatischen Entkernung. Mag er auch hier und da links blinken – am Ende landet er meistens da, wo die Kanzlerin und ihre Union schon sind: In jener ominösen Mitte, wo das Merkel’sche „Weiter so“ nun schon seit fast zehn Jahren regiert.
Man sollte diese Praxis angesichts der rhetorischen Kapriolen des SPD-Vorsitzenden nicht vergessen. So einig sich rechte und linke Flügelleute auch in ihrer Empörung sind, die Gründe unterscheiden sich gewaltig: Der Wirtschaftsflügel um Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz weiß zwar Gabriel inzwischen auf seiner Seite, sieht das „Mitte“-Projekt aber durch dessen Auftreten gefährdet. Die verbliebenen Parteilinken dagegen sehen nicht nur ihren Einfluss schwinden, sondern auch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit von Überzeugungen, die der Chef nur als leere Worte im Munde führt.
So gesehen ist das, was alle so ärgert, nur die halbe Wahrheit. Es ist das, was man neudeutsch Performance nennt. Die allerdings ist in der Tat oft katastrophal, wie sich keineswegs nur in den jüngsten Kapiteln der Griechenlandkrise gezeigt hat.
Da war zum Beispiel das Freihandelsabkommen TTIP. Einerseits twitterte Gabriel die kritischen Worte: „Die Freiheit der Bürger darf nicht durch die Monopolmacht von Unternehmen eingeschränkt werden.“ Andererseits nannte er die TTIP-Kritiker „hysterisch“ oder „putzig“. Da war das Thema Steuern, bei dem Gabriel das Wahlprogramm von 2013 (höherer Spitzensteuersatz) praktisch im Alleingang abgeräumt hat. Da war die Vorratsdatenspeicherung, bei der der zuständige Justizminister Heiko Maas – und mit ihm die starke parteiinterne Minderheit der Gegner – vom Chef per Radiointerview zum Mitmachen verdonnert wurde.
Und dann Griechenland, zunächst das Referendum. Das war laut Gabriel erst eine gute Idee des griechischen Ministerpräsidenten: „Wir wären gut beraten, Tsipras diesmal zu folgen.“ Aber als das „falsche“ Ergebnis herauskam, hatte Tsipras plötzlich „letzte Brücken eingerissen“. Und dann Wolfgang Schäubles Idee vom vorübergehenden Grexit. Samstags fühlte Gabriel sich vorab informiert und wollte „unvoreingenommen“ prüfen. Sonntags hatte er nie wirklich davon gewusst und knapp eine Woche später fand er dann doch zu einer Meinung, mit der sich zusätzlich ein bisschen Unruhe in die Koalition tragen ließ: „Jede Debatte um einen Grexit muss der Vergangenheit angehören.“
Das war im Bundestag, vor der Abstimmung zum neuen „Rettungspaket“. Und wieder einmal zeigte der SPD-Chef seine Fähigkeit zum entschlossenen Jein. Da war von verfehlter Austeritätspolitik der ersten beiden Hilfsprogramme die Rede, die aber natürlich mit einem dritten fortgesetzt werden muss, weil Investitionen zwar toll wären, aber im chaotischen Griechenland leider nicht funktionierten. Ergebnis – mitmachen bei Merkel, verbunden mit einem zynischen Lob: „Die griechische Regierung hat sich für Hilfe zur Selbstbehauptung entschieden. (…) Wir sind Partner in der Umsetzung des Verhandlungsergebnisses.“ Das ist ungefähr so, als ob der Erpresser zu seiner Geisel sagte: „Danke, Partner, dass du dich zum Mitkommen entschieden hast.“
Zum einen glaubt Gabriel offensichtlich, seine reale Politik – Ja zur Griechenland-Erpressung, zur lächerlichen Erbschaftsteuer-„Reform“ oder zur Vorratsdatenspeicherung – hinter ein paar verbalen Provokationen in Richtung Union verbergen zu können. Zum anderen ist Gabriel ein Stimmungspolitiker. Immer wieder, vor allem beim Griechen-Bashing, biedert er sich bei dem an, was er womöglich für „gesundes Volksempfinden“ hält. Allerdings vergisst der SPD-Vorsitzende: Das kann Angela Merkel viel besser. Sie versteht es nämlich, dabei auch noch seriös zu wirken.
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