Die zerstrittene Ampelkoalition nützt vor allem einem: Olaf Scholz
Machtsystem Die Ampel-Koalition ist sich in vielen Fragen nicht einig. Doch Olaf Scholz hat mit Grünen und FDP vielleicht genau die Partner, die er für seine politische Agenda braucht
Von Meseberg zurück nach Berlin fährt man größtenteils über die Landstraße – da ließe sich doch auch noch eine Autobahn bauen!
Foto: Fabrizio Bensch/Reuters/dpa
Robert Habeck ist dafür bekannt, gern mal seine Meinung zu sagen, auch wenn sie zum Staunen anregt. Aber Humor hat der grüne Wirtschafts- und Klimaminister auch: „Wir arbeiten fachlich gut und effizient“, ließ er direkt vor der Klausur der Ampelregierung zuletzt auf Schloss Meseberg verlauten, und er tat zumindest so, als sei das kein Witz. Wer die Arbeit der Bundesregierung in den vergangenen Wochen verfolgt hat, konnte über die Aussage allerdings gleich beides: staunen und lachen.
Die vielfach nachzulesende Analyse über den Zustand der Koalition ist ja nun wirklich nicht aus der Luft gegriffen: „In der Ampelkoalition kracht es“, „Ampelkoalition über Kreuz“, „Streit in der Ampelkoalition“, das sind nur einige Sch
einige Schlagzeilen der vergangenen Wochen. Kein Wunder, dass Habecks Schönwetter-Sätze demgegenüber ein bisschen putzig klingen.Wobei eingeräumt werden muss, dass der sozialdemokratische Bundeskanzler seinen grünen Minister diesmal an Witzigkeit übertraf. Über seinen autobahnverliebten Kabinettskollegen von der FDP sagte Olaf Scholz: „Volker Wissing ist ein sehr, sehr guter Verkehrsminister. Er wird Spuren in Deutschland hinterlassen.“ Fahrspuren, ganz gewiss, aber das sagte der Kanzler nicht.Ziemlich ernst ist allerdings die Frage, welche politischen Grundkonflikte hinter dem Hickhack über fast alle Themen stehen, die hier und da aus dem Schatten der Auseinandersetzungen über den Ukrainekrieg und die Waffenlieferungen treten. Liegen die Streitereien daran, wie oft behauptet, dass FDP-Chef Christian Lindner sein Heil in der Rolle des Vetoministers gegen alles sucht, was Geld kostet und nach ökosozialer, also rot-grüner Reform aussieht? Oder ist es eher ein Machtkampf „Grüne gegen FDP“ um die Führungsrolle im bürgerlich-liberalen Lager, dem Olaf Scholz in Äquidistanz zu beiden oft still zuschaut wie ein Schiedsrichter, dem die Pfeife abhandengekommen ist?An beidem ist sicher etwas dran, aber die ganze Wahrheit ist es womöglich nicht. Eine dritte Deutungsmöglichkeit – außer „FDP gegen alle“ und „Grün gegen Gelb“ – kommt hinzu und ist vielleicht treffender als diese beiden: Der Kanzler hat genau die Regierung, die er für seine politische Agenda braucht. Die Marktradikalen am Kabinettstisch dienen Scholz als eine Art Bremskraftverstärker für alle Forderungen vom linken Flügel seiner Partei oder von den Grünen, die auf eine entschiedene und womöglich gar schnelle Transformationspolitik hinauslaufen könnten. Als Garantie sozusagen für das Reform-Tempolimit, das bei einem rechten Sozialdemokraten wie diesem schon ab Werk eingebaut ist.Wissing will’s wissenDa wir schon wieder beim Auto sind: Diese Konstellation lässt sich nicht zuletzt am Beispiel des Mannes beschreiben, der sich als Minister für Automobilität unter besonderer Berücksichtigung von Verbrennungsmotoren versteht und dieses Amtsverständnis durch entschiedenes Reißen aller Klimaschutz-Vorgaben demonstriert, des bereits erwähnten Volker Wissing.Der FDP-Mann streitet schon seit längerem allen Ernstes mit den Grünen über die Frage, ob Autobahnbau mitten im Klimawandel von „überragendem öffentlichen Interesse“ ist und deshalb beschleunigt werden muss oder nicht. Auch er hatte in Meseberg offenbar einen Clown gefrühstückt und verkündete laut Tagesschau, „er könne nicht den Straßenbau reduzieren, wenn sich durch den Internethandel und ein geändertes Konsumverhalten etwa die Zahl der Paketsendungen vervielfache“. Sicher, ganz im Ernst, das geht natürlich nicht, denn um Güterströme umzulenken und die Zahl der Transportkilometer auf der Straße zu reduzieren, müsste man womöglich das zentrale Heiligtum des Freidemokratismus angreifen: den Markt.Dass die Grünen die Sache ganz anders sehen, ist bekannt, sie wollen Beschleunigung nur da, wo sie vonnöten ist: beim Ausbau klimaschonender Infrastruktur, also vor allem bei der Schiene. Aber was ist eigentlich mit der SPD? Nicht auszudenken, wie der Streit aussähe, würde sie allein mit den Grünen regieren. Dann nämlich müsste sich die Sozialdemokratie womöglich offen zu einer gewissen FDP-Nähe bekennen, die sie jetzt allenfalls verklausuliert durchscheinen lässt: In einem Positionspapier der Bundestagsfraktion aus dem Januar ist allgemein von einer Beschleunigung beim Bau von „Verkehrswegen“ die Rede, und nur wer ein bisschen sucht, findet Hinweise auf ungebrochene Zuneigung zum Auto. So zündete Fraktionsvize Detlef Müller erst kürzlich im Bundestag die klassische Nebelkerze, mit der das seit Jahrzehnten politisch bevorzugte Verkehrsmittel Auto vor angeblicher Benachteiligung geschützt werden soll: „Es ist kontraproduktiv, Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen.“ Letzter Witz in diesem Text: Müller ist ausgebildeter Lokomotivführer.In der Regel und in der großen Öffentlichkeit wahrnehmbar ist es aber die FDP, die der Sozialdemokratie die Rolle der Autolobby abnimmt. Genau deshalb dürfte Olaf Scholz so froh sein, dass er sie hat. Mag sein, dass dem Kanzler die Eskapaden hier und da zu weit gehen. Das dürfte zum Beispiel der Fall sein, wenn Volker Wissing das Ende des Verbrennungsmotors mit seinen E-Fuel-Fantasien blockiert, wohl wissend, dass diese synthetischen Kraftstoffe ohne CO₂-Belastung kaum massenhaft herzustellen sein werden. Aber an vielen Baustellen kann dem Kanzler die FDP als Bremskraftverstärkerin nur gelegen kommen.Das gilt erst recht für das Kernelement in der marktliberalen Ideologie, die Haushaltspolitik. Hier nimmt die FDP dem Kanzler im öffentlichen Diskurs oft die unangenehme Arbeit ab, das beliebteste Doppel-Mantra dieser Ideologie gegen alle Forderungen nach Umverteilung von oben nach unten zu verteidigen: „schwarze Null“ (von kreditfinanzierten Schattenhaushalten etwa für Rüstungsprojekte abgesehen) und Ablehnung von Steuererhöhungen selbst am obersten Ende der Reichtumsskala. Es dürfte spannend werden, wie sich das zum Beispiel beim Streitthema Kindergrundsicherung am Ende auswirkt.Gewollte AbhängigkeitOb Scholz bereit wäre, ein Machtwort für eine wirksame Ausgestaltung dieses sozialen Kernprojekts der Grünen zu sprechen, auch wenn das jährlich zwölf Milliarden Euro kostet (also nur knapp mehr als die Erhöhung des Wehretats, die der SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius zusätzlich fordert), steht in den Sternen. Wie hart die Grünen selbst für ihr Projekt kämpfen werden, ist nach bisherigen Erfahrungen mit der Ampel auch noch nicht sicher. Wenn es nichts wird, war es halt die FDP.Die gewollte Abhängigkeit dieser Regierung von den ideologischen Blockaden des kleinsten Partners wäre eventuell wirklich witzig, ginge es nicht um die drei großen Krisen unserer Zeit: die drohende Klimakatastrophe, den vom Ukrainekrieg beschleunigten Zerfall globaler Sicherheitsstrukturen und die skandalöse Spaltung zwischen Arm und Reich auf nationaler und globaler Ebene, auf deren Humus der Autoritarismus gedeiht. Es ist ja nicht so, dass die Ampelregierung vollständig reformunfähig wäre. In der Summe aber wird das stets gebremste Agieren zumindest in ökologischen und sozialen Fragen bei weitem nicht reichen, um sich den selbst zuerkannten Titel „Fortschrittskoalition“ zu verdienen.