Wer liebt sie nicht, diese Momente der Besinnlichkeit? Ein Jahr neigt sich dem Ende zu, ein neues steht bevor, und halb Deutschland folgt dem seit Jahrzehnten vorgegebenen Ablauf, kurz zusammengefasst: sich zuballern und dann reinböllern.
An dieser Stelle muss kurz ein Missverständnis ausgeräumt werden, dem alle unterliegen könnten, die mal die Autobahn 61 benutzt haben: „Rheinböllen“ klingt zwar verdächtig ähnlich wie „reinböllern“, aber das Städtchen an der gleichnamigen Ausfahrt zum idyllischen Hunsrück-Flughafen Hahn, wo niemand fliegt, hat mit der Knallerei nichts zu tun. Nein, liebe Rheinböllerinnen und -böller, wir haben nachgeschaut und können bestätigen: Das „-böllen“ im Städtenamen geht auf irgendetwas mit Hügeln zurück und nicht auf das besinnungslose Abballern von Feuerwerkskörpern im Wert von etwa 130 Millionen Euro, das Deutschland sich auch an diesem Silvester wieder leisten wird.
Knallen, Zischen, Pfeifen
Mal im Ernst: In diesem Land lebt eine erkleckliche Anzahl von Menschen, die gerade vor der tödlichen Version von Feuerwerk geflohen sind. Und nebenbei bemerkt: Das war auch schon vor Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine so. Auch wenn wir uns durch die Kriege in Syrien, im Jemen, in Äthiopien oder wo auch immer auf geradezu zynische Weise unberührt zeigten, hatten es ja auch aus diesen Regionen Menschen geschafft, die abgeschotteten Grenzen Europas zu überwinden. Wie musste, wie muss es sich anfühlen für sie, egal woher sie kommen: dieses Knallen und Zischen und Pfeifen, das ihnen zu Hause nichts anderes ankündigen würde als den nahen Tod?
Es heißt, das Silvester-Feuerwerk sei nun einmal Teil einer alten Tradition, die zu pflegen sozusagen eine metaphysische Notwendigkeit darstelle. Wie das Licht am Weihnachtsbaum die Dunkelheit, so solle das Feuerwerk seit Menschengedenken die bösen Geister vertreiben, die in diesen dunklen Tagen ihr Unwesen trieben. Nun ja, bitte ganz ehrlich: Gehen Sie mal raus und schauen Sie den körperlich und/oder geistig Halbwüchsigen aus möglichst sicherer Entfernung beim Kracherwerfen an der Bushaltestelle zu. Dann werden Sie vielleicht die Frage, welche Geister zuerst zu vertreiben seien, etwas anders beantworten (falls in diesem Zusammenhang überhaupt von „Geist“ gesprochen werden kann).
Einfach verbieten
Die Germanen, lesen wir auf der Kinder-Bildungsseite „Helles Köpfchen“, wollten mit Lärm und Feuer den gefürchteten Kriegsgott Wotan vertreiben, weil sie „glaubten, dass Wotan am 31. Dezember mit seinem wilden Gespenster-Heer durch die Lüfte zog“. Heute wissen wir etwas genauer, wer wo in der Welt mit wilden, aber leider gar nicht gespenstischen Armeen durch die Lande und die Lüfte zieht, ob nebenan in der Ukraine oder gar nicht so viel weiter weg im Jemen.
Vielleicht ist ja vor Silvester noch Zeit zu überlegen, welche Hilfe man dort mit 130 Millionen Euro leisten könnte. Oder auch dort, wo „unser“ Klimawandel für Dürre und Überflutungen sorgt. Das wäre mal ein echter Kracher. Und nächstes Jahr macht jede Stadt ein kleines, professionelles Feuerwerk, der Rest wird einfach verboten.
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