Auf die Frage, warum die „Fortschrittskoalition“ so wenig Fortschritt zustande bringt, haben die Fans regierungsgrüner Realpolitik eine unwiderlegbare Antwort: Die Grünen haben bekanntlich nicht die absolute Mehrheit im Bundestag. Sie müssen sich beim Regieren mit einer nicht sehr grünen SPD und einer gar nicht grünen FDP herumschlagen, und da ist nun mal nicht mehr zu erreichen.
Wer so argumentiert, wird das Wegbaggern des nordrhein-westfälischen Dorfes Lützerath als notwendiges Opfer dafür akzeptieren, dass mit Mühe einige andere Orte vor den Braunkohle-Baggern gerettet werden konnten. Wer so denkt, wird es mehr oder weniger schulterzuckend hinnehmen, dass FDP-Verkehrsminister Volker Wissing unter skrupelloser Missachtung europä
europäischer Gepflogenheiten eine Hintertür für den Fortbestand von Verbrennungsmotoren auch nach dem eigentlich geplanten Aus im Jahr 2035 aufgestoßen hat (Stichwort: E-Fuels). Wer ein solches Politikverständnis teilt, wird den Autobahnausbau als angemessenen Preis für die Förderung der Schiene betrachten. Wer sich dem Primat des Pragmatismus verschrieben hat, wird die Quertreiberei der FDP beim Umbau der Wärmeversorgung dulden, damit überhaupt etwas geschieht. Bei Grundsicherung, Pflege, Steuern, Flüchtlingspolitik und anderem sieht es ganz ähnlich aus.Stillstand überallLeicht ist es für die Grünen in der Regierung wirklich nicht. Es hat sich herumgesprochen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kein Verbündeter ist im Kampf gegen eine FDP, die überall für Stillstand kämpft, nur nicht auf der Autobahn. Noch mehr als Grüne wie Wirtschaftsminister Robert Habeck repräsentiert der sozialdemokratische Kanzler eine Epoche, in der größere Reformziele schnell unter Ideologieverdacht gestellt werden, während kaum jemand merkt, dass der Pragmatismus selbst schon lange zur Ideologie geworden ist.Es geht schon längst nicht mehr nur um pragmatische Kompromisse, die weitere Räume für das Erreichen größerer Ziele öffnen (und nur dann geschlossen werden, wenn sie genau das tun). Das wäre ja durchaus legitim. Aber sich nur noch an das zu halten, was politisch unter den Bedingungen einer bestimmten Parteienkonstellation erreichbar ist – das ist zu wenig.Ein Mann wie Robert Habeck versteht sich zwar sicher mit ehrlicher Überzeugung als Kämpfer für ökologisch-sozialen Fortschritt, jedenfalls mehr als sein Regierungschef von der SPD. Aber er ist eben typisch für die grüne Variante eines Hyper-Pragmatismus, den er gemeinsam mit der aktuellen Partei-Elite ganz sicher für alternativlos hält. Die einzig gute Idee, die der FDP-Vorsitzende Christian Lindner je hatte – Besser nicht regieren als schlecht regieren –, liegt leider auch dem Wirtschaftsminister fern. Aber hätte er denn eine Alternative?Ja, die gäbe es. Zum Beispiel, indem die Grünen die Möglichkeit des Ausstiegs aus der Ampel-Koalition wenigstens mal in den Raum stellten. Zunächst allerdings würde es wohl schon reichen, das eigene Regierungshandeln nicht immer nur an den Machtverhältnissen in einer Koalition der Unvereinbarkeiten zu messen. Sondern eben auch an den eigenen Idealen – wenn es sie denn noch gibt. Und zugleich an einer Wirklichkeit, in der sich die notwendige Radikalität an den Ängsten und Beharrungskräften in der Gesellschaft reibt.Am Streit über die postfossile Neuausrichtung der Gebäudeenergie zeigt sich beispielhaft, wie das nicht geht. Offensichtlich hatte Robert Habeck nach all den als Kompromisse verkauften Niederlagen mal das Bedürfnis, endlich mal wieder ein kräftiges grünes Zeichen zu setzen. Er versuchte Tatsachen zu schaffen, die den Umbau der Heizungen vorantreiben sollten. Dass er dabei die erwartbaren Einwände der Liberalen nicht vorauseilend vorwegnahm, sollte ihm nicht vorgeworfen werden. Dass es aber „gelang“, die Gesellschaft bis weit in die obere Mittelschicht hinein mit der Angst vor den hohen Kosten für das Auslaufen der Gasheizungen alleinzulassen, darf entweder als handwerklicher Dilettantismus betrachtet werden oder, weniger freundlich, als Zeichen für die zunehmende soziale Sehschwäche der Grünen.Die hitzige Debatte darüber hat eindrucksvoll gezeigt, dass Klimaschutz ohne Umverteilung von Reichtum nicht funktionieren wird. Dass die Bundesregierung davon weit entfernt ist, kann nicht allein den Grünen angelastet werden. Aber so defensiv, wie sie den Bremsparteien SPD und FDP gegenübertreten, sind sie in dieser Ampel-Regierung leider gut aufgehoben.