Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm. „Eine überwältigende Mehrheit hat der AfD eine klare Absage erteilt“, schrieb der Kommentator der Frankfurter Rundschau nach der Wahl in Hessen. Man solle die Gefahr von rechts zwar nicht verniedlichen, aber: „Man darf die Hetzer auch nicht größer machen, als sie es sind – in diesem Teil der Republik jedenfalls.“ Mit „diesem Teil“ waren die westlichen Bundesländer gemeint, und es ist ja richtig: Von parlamentarischen Mehrheiten ist die AfD wenigstens dort weit entfernt. Aktionen wie „Unteilbar“ deuten zudem auf ein beachtliches Widerstandspotenzial in der Gesellschaft hin.
Aber man kann diese Beruhigungsformeln auch anders lesen, denn ungewollt verweisen sie gerade auf die Dramatik der Situation: Eine rechte, rassistische Partei ist mit regelmäßig zweistelligen Ergebnissen in allen Parlamenten von Bund und Land vertreten. Das ist offenbar schon so normal geworden, dass manche Beobachter sich mit dem einstweiligen Minderheitsstatus der AfD im Westen trösten zu können glauben.
Rot-grün war die erste GroKo
Es ist sicher nicht falsch, vor Übertreibungen zu warnen – vorausgesetzt, das bringt den Widerstand nicht zum Erlahmen. Und sinnvoll erscheint es, den Provokationen der AfD mit kühler Analyse zu begegnen statt mit einem aufgeregten (Medien-)Hype. Das gilt auch dann, wenn die AfD sich bei den 2019 anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zur noch stärkeren parlamentarischen Kraft aufbaut.
Die Parlamentarisierung der extremen Rechten hat jedoch weit größere Auswirkungen auf die politische Konstellation, als ihre Wahlergebnisse es auszusagen scheinen. Und zwar nicht nur deshalb, weil ihre Idee vom national abgeschotteten Bollwerk gegen eine humanitäre Globalisierung inzwischen weit in den politischen Diskurs der „Mitte“ und in die politische Praxis vorgedrungen ist. Sondern auch, weil mit der AfD die Ära einer bestimmten Politik und damit auch Parteienkonstellation ihr Ende findet. Es wäre zwar übertrieben, die AfD für die Auslöserin der Verschiebungen im Parteiensystem zu halten, die mit den Wahlen in Bayern und Hessen noch deutlicher geworden sind als davor. Aber sie trägt dazu bei, diese Entwicklungen zu beschleunigen und zu forcieren.
Die Erosion der beiden ehemaligen Volksparteien hat ihren Ursprung wenn nicht schon in der Frühzeit des Neoliberalismus, so doch zumindest in der Zeit der Regierung unter Gerhard Schröder. Die „rot-grüne“ Agenda 2010 war in Wahrheit das erste Projekt der großkoalitionären Epoche, die jetzt zu Ende geht: Dieses Projekt entstand nicht nur dadurch, dass die SPD sich den neoliberalen Denkmodellen anpasste (und die Grünen mit ihr). Es wurde auch erst möglich durch die tatkräftige Unterstützung der Union.
Was folgte, waren drei schwarz-rote Koalitionen in vier Legislaturperioden unter der Kanzlerin Merkel, die laufende mitgerechnet. Sie stehen nicht zuletzt – allen sozialpolitischen Linderungsmaßnahmen zum Trotz – für eine gefühlte und reale Ent-Sicherung von Lebensverhältnissen, wie sie jahrelang als „alternativlos“ dargestellt wurde. Dass diese Politik ebenso zum Aufschwung der AfD beitrug wie die Enttabuisierung der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben.
Hinzu kam der Siegeszug des Rechtsnationalismus in großen Teilen Europas. Ein zumindest europäischer, wenn nicht global angelegter Internationalismus, der zugleich eine erkennbar soziale Dimension besessen hätte, war praktisch nirgendwo zu erkennen. Stück für Stück entstand der fatale Eindruck, Globalisierung sei ein Projekt der Begüterten und Privilegierten, während der Rest sein Heil in nationalen Schutzräumen suchen müsse. Die Linke wagte es nicht – und wagt es bis heute nicht –, sich geschlossen für das Projekt eines sozialen Internationalismus einzusetzen, statt den Rückzug ins Nationale auf ihre Weise nachzuvollziehen.
So zog die Rechte europaweit die Unzufriedenen und Verunsicherten an. Das hat zu dem verbreiteten Eindruck geführt, es gehe nur noch darum, den demokratisch-liberalen Block (von links-liberal bis konservativ) gegen den drohenden Siegeszug der rechten Nationalisten zu einen.
Was hat das mit der AfD zu tun? Sie ist, wie gesagt, nicht nur Ergebnis dieses Prozesses, sondern bestärkt ihn insofern, als ihre Anwesenheit in den Parlamenten zu „Großen“ Koalitionen zwingt, solange (mit Recht) niemand gemeinsam mit ihr regieren will. Wobei „groß“ keineswegs nur Schwarz-Rot meint, sondern auch Bündnisse wie das hessische Schwarz-Grün oder die großen Dreier-Konstellationen.
Das Fatale ist, dass dies zu einem sich selbst verstärkenden Prozess zu werden scheint: Je mehr die Etablierten sich gezwungen sehen, relativ breite Bündnisse zu schließen, desto mehr droht ihre Ununterscheidbarkeit, die vermeintlich einzige, also die rechte „Alternative“ zu begünstigen. Dagegen gibt es nur ein Rezept: Die Mehrheit diesseits der AfD muss sich wieder ausdifferenzieren. Solange eine linke Alternative – sowohl zum Nationalismus als auch zum Internationalismus der Neoliberalen – nicht erkennbar ist, wird der Teufelskreis nicht zu durchbrechen sein.
Natürlich geht das nicht von jetzt auf gleich. Schon gar nicht, wenn sowohl die Grünen als auch die SPD sich in die Gefangenschaft eines profilschwachen „bürgerlichen Lagers“ begeben. Es gibt derzeit keine linken Mehrheiten, wie Hessen zeigt. Aber warum wagt es niemand in Deutschland, inhaltlich passende Bündnisse zu bilden, die es notfalls als Minderheitsregierung versuchen? Der Lebendigkeit des demokratischen Prozesses würde das nicht schaden. Aber gerade deshalb vielleicht der AfD.
Kommentare 4
Die Überlegung ist sicher richtig, dass sich mancher Wähler zur AfD flüchtete oder nicht mehr wählen geht, weil das übrige Parteieangebot bezüglich der Migrationspolitik gleichgeschaltet erscheint und auch bis heute eine Generaldebatte im Bundestag über die Migrationspolitik verweigert.
So gesehen ist in Deutschland der Umgang mit Migration zwar nicht die Mutter aller Probleme, aber zumindest die Barriere, welche die AfD von "allen anderen Parteien" trennt.
Dagegen verblassen alle anderen früheren oder gewünschten Trennungslinien wie z.B. zwischen neoliberal versus links, Konsumorientierung versus Umwelt- und Klimaschutz, Digitalisierung versus Beharrung auf bekannten Lebensformen, Sicherheit versus Freiheit, Wehrhaftigkeit versus Friedensliebe, Selbstverantwortung versus Vergesellschaftung usw.
Um eine Balance der politischen Kräfte herzustellen, müssten sich also noch mindestens zwei der im Bundestag vertretenen Parteien eindeutig nationalistisch und ausländerfeindlich positionieren, ohne in den bräunlichen Sumpf der AfD abzugleiten. Wer will denn sowas? Selbst der CSU kann man ja nicht unterstellen, dass sie auf Flüchtlinge schießen lassen und die Zeiten von Adolf wieder aufleben lassen möchte.
'humanitäre Globalisierung', wo gibt es denn sowas? Habe ich die letzten 50 jahre geschlafen oder leben Sie schon auf Erde 2. Seit Jahrzehnten zerstören wir die Lebensgrundlagen, drücken den Menschen einen Dollar in die Hand/Tag und die UN verkündet die Armut sei gesunken. Die geistige Armut dieser Apologeten ist ja noch größer als die finanzielle der 'Geholfenen'.
DieMacht des Volkes ist längst zu einer Phrase in Sonntagsreden verkommen. In den westlichen Demokratien herrscht nicht mehr das Volk oder hat noch nie geherrscht, sondern das Kapital. Die Schuldenkrise basiert auf unserem Geldsystem, das von Menschen gemacht, aber auch von Menschen geändert werden kann. Allein das bedingungslose Grundeinkommen kann eine zukunftsfähige Gerechtigkeit im Umgang miteinander schaffen. Die parlamentarische Demokratie ist nicht in der Lage, hier Lösungen anzugehen, da sie sich so stark vom Kapital abhängig gemacht hat.
Vollgeld, bedingungsloses Grundeinkommen und die direkte Demokratie können nur gemeinsam die heutigen gravierenden Mängel beheben.
Solange die Linke so widersprüchlich denkt, wie das mE auch Ihnen hier unterläuft, wird das nichts mit linker Politik. 'humanitäre Globalisierung': siehe die Antwort von SaveTimE, die rechte Idee ist die Pseudolösung „vom national abgeschotteten Bollwerk gegen eine INhumanitäre Globalisierung“. Sie sagen ja selbst, ein „Internationalismus, der zugleich eine erkennbar soziale Dimension besessen hätte, war praktisch nirgendwo zu erkennen“. Wieso nennen Sie es nicht intuitive Einsicht, sondern einen fatalen „Eindruck, Globalisierung sei ein Projekt der Begüterten und Privilegierten, während der Rest sein Heil in nationalen Schutzräumen suchen müsse“? Und wieso meinen Sie, daß der internationale Widerstand gegen eine sozialere Ordnung geringer und leichter zu überwinden sei als der nationale, die internationale Solidarität wirkmächtiger als die nationale? Richtig ist, daß man, wenn man die nationale Ebene in den Vordergrund stellt, die internationale nicht ausblenden darf, wie man umgekehrt bei einem internationalistischen Vorgehen die nationalen Befindlichkeiten nicht ignorieren darf. Ich würde keineswegs ausschließlich auf die nationale Karte setzen.
Es stimmt ja: „Solange eine linke Alternative – sowohl zum Nationalismus als auch zum Internationalismus der Neoliberalen – nicht erkennbar ist, wird der Teufelskreis nicht zu durchbrechen sein.“ Und: „Es gibt derzeit keine linken Mehrheiten“. Aber: „inhaltlich passende Bündnisse zu bilden, die es notfalls als Minderheitsregierung versuchen?“ könnten nur einen Gewinn, einen Schritt in die richtige Richtung bringen, wenn sie unter der Führung einer starken Linkspartei stünden. Die dem geballten Gegendruck standhielte, konsequenter als die derzeitige Thüringische Koalition, deren flackerndes Kerzenlicht bald wohl ausgeblasen wird. Derzeit gibt es für die Linke nur etwas in der dezidierten Opposition zu gewinnen, gegen rechts und gegen bürgerliche Mitte.
Es gibt keinen anderen Weg als eine eigenständige echte linke Alternative aufzubauen.